Am 18. Juni stellt Helge Timmerberg sein neues Buch „Bon Voyage. Mit Papas Benz bis nach Marokko“ im Pfefferberg Theater vor. Er erzählt darin – wieder einmal – eine abenteuerliche Geschichte.
Helge Timmerberg war müde. Er zündete sich erst mal eine Zigarette an. Dass man in den Cafés hier – anders als fast überall in Europa – noch rauchen durfte, auch das gefalle ihm an Wien, sagte er und zog an der Kippe, als könne er aus ihr neue Kraft saugen. Es war an einem Sonntagnachmittag Ende Oktober 2015. In der Nacht zuvor hatte Helge Timmerberg ein Buch abgeschlossen. Ein Buch „über Journalismus und Bielefeld, Havanna und den Himalaja“, wie der Mann, der das Image pflegt, der wildeste aller deutschen Journalisten und Reiseschriftsteller zu sein, irgendwie nebenbei erwähnte. Eigentlich wollte er über Geister reden. Über seine Wiener Flaschengeister.
Der deutsche Gonzo-Journalist
Efac, der Geist gegen das vorschnelle Wort. Snemelc, der Geist gegen die Angst vor Alkoholgenuss unter Antibiotika-Einfluss. Resul, der Geist gegen die Fehleinschätzung der Lage. Nestre Mi, der Geist für die ungestörte Lesung. Sumsini Mef, der Geist gegen den bösen Geist. Deeps, der Geist gegen unnötiges Bremsen. Redigür, der Geist gegen die Angst vor der Drittfrau. Sie alle standen vor ihm auf der Marmorplatte des Ecktischs im Café Moser unweit des Stephansdoms, eingesperrt in kleine braune Apothekerfläschchen mit rot versiegelten Korken.
Die Idee hatte ein befreundetes österreichisches Paar. Für ihn selbst sei es zunächst nur „ein Witz“ gewesen, behauptete Timmerberg. Der Witz bestand darin, dass er Beipackzettel schrieb zu den Fläschchen, in denen angeblich Geister waren. „Ich erzähle Märchen auf Beipackzetteln“, das fand er einfach klasse.
Dass der Mann, der in den 80er-Jahren den „New Journalism“ aus den USA nach Deutschland gebracht hat, einen Journalismus, der ohne Distanz erzählt und wegen der verrückten, sehr persönlichen Herangehensweise derer, die ihn betreiben, auch Gonzo-Journalismus genannt wird, auch fabel- und märchenhaft schön schreiben kann, hatte er da schon längst bewiesen. Im „Haus der sprechenden Tiere“ zum Beispiel erzählte er eine Art „Romeo und Julia“-Geschichte zwischen einer Katze und einem Ferkel. Nun hat sein Verlag ein neues Werk angekündigt, „ein ehrliches Buch über zerstochene Reifen und Gespräche mit dem Navi, über Reisemüdigkeit und Glückshormone, die Freiheit des Automobilisten und das ewige Versprechen, unterwegs zu sein“. „Bon Voyage. Mit Papas Benz bis nach Marokko“ lautet der Titel des Buchs. Am 18. Juni wird Helge Timmerberg es im Pfefferberg Theater am Prenzlauer Berg vorstellen. Karten: www.pfefferberg-theater.de.
Timmerberg träumte von der großen Reise über Land, seit ihm sein Vater vor zehn Jahren seinen Wagen vermacht hat, verbunden mit den letzten Worten „Bon Voyage! – Gute Reise!“. „Was macht schließlich spontaner und unabhängiger als der eigene fahrbare Untersatz? Was könnte robuster und stilvoller sein als eine alte Mercedes-Limousine? Womit kommt man entspannter ans Ziel?“, beschreibt der Autor das Geschenk in drei Fragen. Timmerberg startet zu einer Tour durch die Schweiz über Italien, Frankreich und Spanien bis nach Nordafrika. Doch schon auf der ersten Etappe bricht er zwei seiner Regeln: „Fahre nie länger als vier Stunden pro Tag!“ Und: „Meide die Dunkelheit!“. Und so wird, was als Genusstour gedacht war, zum Roadtrip mit Hindernissen, auf dem der Autor sich selbst gründlich neu kennenlernt. Er wird ausgebremst und ausgeraubt, sein alter Benz wird zum Rückzugsort und die Reise mit sich allein zur Isolationshaft auf vier Rädern.
Er hatte offenbar keine Flaschengeister dabei. „Nicht jede schlechte Situation ist wirklich schlecht. Fatal ist oft nur die Fehleinschätzung der Lage. Sind wir stark genug, um zu kämpfen, oder schnell genug, um wegzulaufen, oder ist es ein guter Tag, um zu sterben?“, schrieb Timmerberg auf einen seiner Beipackzettel. „Auf Partys gingen die Dinger weg wie warme Semmeln“, erzählte er. Wobei: „Redigür, das gab sofort Ärger. Ein Geist gegen die Angst vor der Drittfrau provoziert natürlich bei der Erstfrau die Frage: Du hast eine Zweitfrau?“
Frauen spielen in vielen der wilden Geschichten des Helge Timmerberg eine Rolle, ebenso wie Drogen, Partys und Gurus. Erzählt hat er diese Geschichten in seinen Büchern, schrieb aber unter anderem auch für den „Stern“, die „Zeit“, „Tempo“, den „Playboy“. Eine große Journalistenkarriere, sicher. Aber keine, die er geplant hat, versichert Timmerberg in dem Buch, das er in jenem Oktober 2015 abgeschlossen hat: „Die rote Olivetti“. „Ich wollte nie Karriere machen, und planen wollte ich das, was ich nicht wollte, auch nicht“, schreibt er in dem Buch, das er nach seiner alten Reiseschreibmaschine benannt hat.
„Fahre nie länger als vier Stunden am Tag!“
Fleiß und Talent, ja, das seien wichtige Dinge, wenn man Erfolg haben will mit dem, was einem am Herzen liegt. Das Wichtigste aber sei die Leidenschaft. Die hatte er während seiner Ausbildung bei der „Neuen Westfälischen Zeitung“ in seiner Geburtsstadt Bielefeld noch nicht entwickelt. Als er dort auf Vermittlung seines Vaters anfing, war er gerade von seinem ersten jugendlichen Trip aus Indien zurückgekommen. Mit journalistischen Leitsätzen wie „Ein Journalist darf niemals die Augen vor etwas verschließen“ kam er nicht zurecht. Ein Journalist muss sogar seine Augen ab und zu schließen, fand Timmerberg. Denn nur so könne er „nach innen blicken“.
Und „glücklich ist, wer sich dem Fluss übergibt.“ Er selbst sei von Geschichte zu Geschichte geflossen. Irgendwann trieb ihn der Fluss zum Boulevard. Dass er damals vom inzwischen vom Markt verschwundenen Kult-Magazin „Tempo“ zur „Bunte“ wechselte, hielten manche seiner Fans für Verrat. Den sieht Timmerberg nicht. „Wer dem Boulevard unterstellt, ein grundsätzlich giftiges Gewässer zu sein, ist selbst verdeckt reaktionär“, schreibt er. Es komme einfach darauf an, was man aus dem Boulevard macht: „Es ist ein neutrales journalistisches Format, das man gut oder böse, links oder rechts, intelligent oder blöd besetzen kann.“
Timmerberg ließ sich von der „Bunten“ anheuern. Er bekam „ein Wahnsinnsbüro und Wahnsinnskohle“, wollte aber dennoch bald wieder kündigen. Das habe an München, dem Sitz der „Bunte“-Redaktion, gelegen. Er konnte die Stadt nicht leiden. Und er musste dringend mal wieder weg aus „der industrialisierten Gesellschaft“. Sein damaliger Chefredakteur, der legendäre Franz Josef Wagner, der sich später als Kolumnist der „Bild-Zeitung“ nicht unbedingt mit Ruhm bekleckern sollte, habe das eingesehen.
Er wollte seinen Star-Schreiber halten und sagte: „Du kannst von überall schreiben.“ Timmerberg entschied sich für Havanna. Fortan wurden ihm Informationen aus München per Fax nach Kuba geschickt. Er machte daraus Geschichten und faxte sie zurück. Das Schreiben wurde wieder zur Party, inklusive Alkohol- und Drogen-Exzessen. Der Fluss seines „ziemlich wilden Lebens zwischen Bielefeld, Havanna und dem Himalaja“, wie der Untertitel des „Roten Olivetti“-Buches lautet, trieb Timmerberg irgendwann auch wieder von der „Bunten“ und von Kuba weg. Inzwischen lebt er in St. Gallen in der Schweiz.
Er glaube zu 93 Prozent nicht an Geister, hat Helge Timmerberg, inzwischen 73 Jahre alt, damals im Wiener Café „Moser“ gesagt. Aber manchmal „übernehmen die sieben Prozent“, schob er nach. „Und wenn ich dann spüre, dass da etwas ist, dann habe ich keine Angst.“