In den Parteizentralen läuft der Countdown. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat auf einem Parteitag der Saar-CDU für einen umfassenden Wechsel geworben. In Berlin steckt die Union für die Zwischenphase noch in einem Dilemma.
Olaf Scholz wird nicht müde, an die Endspurtjagd der SPD im letzten Wahlkampf zu erinnern. Die CDU will sich davon aber nicht beeindrucken lassen. Sie setzt auf „Kurswechsel“ und „Regierungswechsel“, und das mit „CDU pur“. So gibt es zumindest Generalsekretär Carsten Linnemann vor.
Was er darunter versteht, hat er unlängst als Gastredner bei der CDU Saar ausgeführt und dabei gleich noch einen „Mentalitätswechsel“ eingefordert. „Es gibt keinen anstrengungslosen Wohlstand“, war eine seiner Überschriften, unter denen er forderte: Wer Sozialleistungen bezieht und arbeiten kann, dürfe nicht erwarten, dass Leute für ihn bezahlen, die jeden Tag arbeiten gehen. Deutschland brauche auch eine „Einfach-mal-machen-Mentalität“. Man müsse wieder stolz auf Deutschland und „Made in Germany“ sein können. Oder: „Der Rechtsstaat muss durchgesetzt werden“. Junge Frauen würden schließlich deshalb rechts wählen, weil sie sich nachts nicht auf die Straße trauen. Kurzum: Die CDU wolle, „dass dieses Land wieder in Ordnung kommt“. Für den intensivsten Applaus aber sorgte sein Bekenntnis: „Ich persönlich halte nichts von Gendern“. Folgerichtig sprach sich auch die Landespartei in einem Antrag dafür aus, Gendern in saarländischen Behörden zu verbieten.
„Nicht kirre machen lassen“
Es ist das konservative Profil, das sich die CDU unter Friedrich Merz mit dem neuen Grundsatzprogramm gegeben hat, und für das sich der Generalsekretär mächtig einsetzt. Wenn der CDU jetzt vorgeworfen werde, konservativ zu sein, dann dürften sich die Mitglieder „nicht kirre machen lassen“. Im Gegenteil. Der Wahlkampf müsse „komplett CDU pur“ sein, höchstens zehn Prozent sollte man sich damit beschäftigen, über das Versagen der Ampel zu reden, stattdessen „90 Prozent darüber, was wir besser machen“. Die grundlegende Richtung für die Wochen Winterwahlkampf ist damit klar: „CDU pur“ und „Wechsel“ sind die Hauptworte.
Dabei lässt sich eine ausgesprochene Wechselstimmung oder große Begeisterung für Kanzlerkandidat Friedrich Merz kaum ausmachen. Umfragen in den Tagen nach dem Bruch der Ampel haben kaum signifikante Verschiebungen bei der berühmten Sonntagsfrage ergeben. Die Union liegt weiter mit über 30 Prozent weit vor allen anderen. Die SPD bleibt bei (plus/minus) 15 Prozent. Die Grünen sind noch im zweistelligen Bereich, die FDP muss weiter um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen.
Drei Wochen nach dem Bruch der Koalition zeigt ein Blick auf die Grafiken seit gut einem halben Jahr ein ziemlich konstantes Bild.
Die CDU konnte zumindest keinen direkt messbaren Profit daraus schlagen, dass sie nach dem Ampelbruch aus einer Position der Stärke heraus auftreten und insbesondere Kanzler Olaf Scholz unter Druck setzen konnte, wie in der Auseinandersetzung um den Wahltermin.
Das Beispiel steht stellvertretend für eines der Probleme, das die Union und ihr Kanzlerkandidat haben. Friedrich Merz neigt dazu, schnell und markant aufzutreten, als entschlossenen Macher mit einer klaren Linie das Gegenbild zum Kanzler zu liefern.
Die Ergebnisse: Der Wahltermin (23. Februar) ist ein klassischer Kompromiss, der vor allem die Realitäten berücksichtigt. Denn so schnell neu wählen zu lassen, wie es Merz forderte, war mit zu vielen Unwägbarkeiten und Risiken be der Vorbereitung und Durchführung verbunden. Das hätte Merz mit etwas Bedacht und Beratung sehen können.
Beim Deutschlandticket hatte sich diesmal CSU-Chef Markus Söder ähnlich forsch wie sonst Merz positioniert und alles in Frage gestellt. Merz musste ihn zurückholen. Das Deutschlandticket zu diesem Zeitpunkt platzen zu lassen hätte die Union kaum durchhalten können.
Unlängst eröffnete Merz zudem eine neue Diskussion um die Schuldenbremse. Es ist noch gar nicht so lange her, dass das bei Merz ganz anders geklungen hat. Jetzt deutet er zumindest eine Modifizierung an. Auch das ist den Realitäten und einem stückweit einer veränderten Haltung von Experten aus den eigenen Reihen der Landesverbände und in der Bevölkerung geschuldet.
Merz könne auch bescheidener auftreten
Einschätzungen zu überdenken, wenn sich die Dinge anders entwickeln, und Kompromisse finden und eingehen zu können, gehört zum Wesen der Demokratie und ist alles andere als verwerflich. Nur ist es schwer, das mit dem Bild in Übereinstimmung zu bringen, das Merz bislang von sich selbst gezeichnet hat.
Das Dilemma zieht sich durch eine Reihe von Sachthemen, die vor dem Koalitionsbruch eigentlich verabschiedungsreif verhandelt waren. Beispielsweise eine Reform des Bürgergeldes, mit stärkeren Anreizen zur Arbeitsaufnahme und Mitwirkungspflichten. Der echte Missbrauch wird in unterschiedlichen Studien mit unter zwei Prozent der Empfänger angegeben. Es ist zumindest eine weitaus geringere Zahl, als durch den CDU-Wahlkampf suggeriert wird. Und so vermutete schließlich auch ein „Capital“-Kommentar, am Ende könne Friedrich Merz auch in diesem und anderen Feldern „etwas bescheidener“ auftreten.
Daniel Goffart, der zusammen mit Jutta Falke-Ischinger ein politisches Portrait über Friedrich Merz veröffentlicht hat, beschreibt Merz als „Angriffsspieler“, und betont: „Manchmal reagiert er sehr schnell, was für seine Mitarbeiter und seine Partei auch überfordernd sein kann“.
In Umfragen können Merz und seine CDU vor allem einen deutlichen Vorsprung in Sachen Wirtschaftskompetenz verbuchen. Ein Thema, das – zumindest nach aktuellem Stand der Dinge – für die nächste Wahl dominierend sein dürfte. Die Umfragen zeigen aber die Diskrepanz: Während knapp die Hälfte (48 Prozent) der Befragten (Forschungsgruppe Wahlen, November) sich eine CDU-geführte Bundesregierung wünschen, hält gleichzeitig über die Hälfte (54 Prozent) Merz nicht für einen geeigneten Bundeskanzler. Auch das ist sicherlich mit ein Grund dafür, dass bei aller Erleichterung über das Ampel-Aus keine ausgemachte Wechselstimmung zu verzeichnen ist.
Ob sich das dadurch ändert, dass Generalsekretär Carsten Linnemann das Wort vom „Wechsel“ in unterschiedlichsten Varianten zu einem Hauptwort macht, vom Regierungs- über den Politik- bis zum Mentalitätswechsel, werden die nächsten Wahlkampfwochen zeigen.
Und der wird für alle Beteiligten eine Herausforderung der besonderen Art. Im Winterwahlkampf ist es ohnehin mühseliger, Menschen zu erreichen. Die haben in der Weihnachtzeit in der Regel sowieso Gedanken für alles Mögliche, aber kaum für parteipolitische Werbeaktionen.