Die Tischtennisspielerinnen des TTC Eastside holen in einer wahren Achterbahn-Saison zwei Titel. Nur im Kampf um die deutsche Meisterschaft müssen sie sich knapp geschlagen geben. Die „jungen Wilden“ machen auf sich aufmerksam.
Am Ende gab der TTC Eastside Berlin seinen Triple-Traum buchstäblich auf. Das Rückspiel des Finals um die deutsche Meisterschaft gegen den TTC Weinheim 1946 wurde durch eine Aufgabe des Hauptstadtclubs beim Stand von 0:2 entschieden. Da die Berliner Tischtennisspielerinnen das Hinspiel schon mit 3:6 verloren hatten, sahen sie nur noch geringe Erfolgschancen in den noch ausstehenden Einzelspielen. Zumal die Bedingungen in der Halle mit einer gemessenen Temperatur von 38,8 Grad Celsius laut Eastside-Manager Andreas Hain grenzwertig gewesen sein sollen. „Bei den Temperaturen wäre es unverantwortlich gewesen, unser Team weiterspielen zu lassen“, sagte Hain dem Tagesspiegel: „Alles andere ist Spekulation.“ Ein Protest der Berliner vor dem Spiel wurde abgeschmettert. Den Weinheimerinnen war das egal, sie feierten ihre erfolgreiche Titelverteidigung. Den Rivalen aus der Kurpfalz hatte Hain schon vorher als „eine Nummer zu groß“ bezeichnet, da Eastside erneut ohne die deutschen Nationalspielerinnen Nina Mittelham und Shan Xiaona auskommen musste.
„Alles andere ist Spekulation“
Doch auch die Berlinerinnen mussten kein Trübsal blasen, schließlich war ihre Achterbahn-Saison doch noch höchst erfolgreich. In der vorentscheidenden Phase im April sah es nämlich danach aus, als ob der Hauptstadtclub fast alles verspielen könnte. Im Champions-League-Halbfinale hatte Eastside zu Hause gegen den Titelverteidiger KTS Tarnobrzeg eine 1:3-Klatsche kassiert, und beim nahezu aussichtslos erscheinenden Rückspiel in Polen musste auch noch die am Rücken verletzte Spitzenspielerin Mittelham ersetzt werden. Die Nationalspielerin hatte im Hinspiel den einzigen Punkt für das deutsche Team geholt. „Nun brauchen wir ein Superwunder“, sagte Club-Präsident Alexander Teichmann mit Blick auf das Duell bei Tarnobrzeg, das seit Jahren international dominiert. Teichmanns wenig inspirierende Hoffnung vor dem Rückspiel lautete daher: „Wir wollen es ordentlich über die Bühne bringen und zumindest einen Punkt holen.“
Was TTC Eastside dann aber leistete, war viel mehr als das. Es war vielleicht sogar das von Teichmann heraufbeschworene „Superwunder“. Die Berlinerinnen zwangen die Titelverteidigerinnen durch Siege von Shan Xiaona, Sabina Surjan und Mia Griesel mit einem klaren 3:0 in die Knie und erzwangen damit ein sogenanntes „Golden Match“. Beflügelt, ja fast schon berauscht von der eigenen Leistung, setzten sie sich auch hier mit 2:0 durch. Shan und Surjan holten die entscheidenden Punkte. „Das war einfach eine Superleistung von allen“, sagte ein jubelnder Teichmann hinterher: „Wir hatten eine Chance von einem Prozent, die haben wir zu 100 Prozent genutzt.“

Den Schwung aus der Königsklasse nahm Eastside dann auch in die Bundesliga mit. Im Play-off-Viertelfinale gegen die DJK Kolbermoor gelang ein Erfolg, der nicht als selbstverständlich angesehen werden konnte. Schließlich hatte der deutsche Renommierclub die Hauptrunde nur auf Platz sechs abgeschlossen. Doch die sportliche Wiederauferstehung in Polen führte zu einer spürbaren Veränderung. Plötzlich war der Traum vom Titel-Triple wieder mit Leben gefüllt, der Pokalsieg Anfang des Jahres sollte nicht der einzige Triumph bleiben. Im packenden Finale im Juni sicherten sich die Hauptstädterinnen gegen Metz TT den sechsten Champions-League-Titel der Clubgeschichte. Nach dem 3:1-Hinspielerfolg gegen Metz reichte eine 2:3-Niederlage im Rückspiel in Lothringen zum Triumph. Nach 2012, 2014, 2016, 2017 und 2021 ging der wichtigste Titel im europäischen Club-Wettbewerb wieder nach Berlin. „Die Champions-League steht über allem“, sagte Eastside-Manager Hain. Die verpasste Meisterschaft in der Liga ist daher auch zu verschmerzen, zumal Berlin fast die gesamte Saison ohne seine beiden Top-Spielerinnen Mittelham und Shan antreten und stattdessen meist auf ein junges Quartett um Josi Neumann, Sabina Surjan, Yuka Kaneyoshi und Mia Griesel setzen musste. „Wir überperformen seit Wochen“, sagte Hain.
Die erst 15-jährige Neumann hatte vor allem im Halbfinale gegen TSV Dachau mit ihren Siegen im Doppel und Einzel großen Anteil am Finaleinzug. Sie gilt als großes Talent im deutschen Tischtennis, die vielen Einsätze in dieser Saison – sowohl national als auch international – waren Gold wert für ihre Entwicklung. Tischtennis-Ikone Timo Boll war schon vorher von ihr begeistert gewesen: „Sie ist schon verdammt weit. Ich weiß nicht, ob ich in dem Alter schon so weit war.“ In Abwesenheit der Topstars sprang die Jugend in die Bresche – und die wusste komplett zu überzeugen.
Die 19-jährige Mia Griesel zum Beispiel, die letzte Saison noch in der 2. Liga am Ball war, entschied das Champions-League-Finale gegen Metz mit ihrem Sieg gegen Charlotte Lutz. Im Halbfinale in Tarnobrzeg hatte sie die sehr erfahrene Fu Yu bezwungen, gegen die sie bei der EM im Vorjahr noch chancenlos war. All das gebe ihr Hoffnung, dass sie „auf sehr hohem Niveau mithalten“ könne, „wenn ich mich noch weiterentwickele“, sagte Griesel, die im Nachwuchsbereich schon etliche internationale Medaillen gewonnen hat. Eastside-Präsident Teichmann ist angesichts der persönlichen und sportlichen Entwicklung des Teenagers begeistert: „Sie wird immer stärker, bleibt mit beiden Beinen auf dem Boden und kann innerhalb eines Spiels taktisch nachjustieren, wenn es nötig ist.“
Immer wieder Verletzungspech
Mittelham hatte sich ihre Rückenverletzung beim World-Cup in Macau zugezogen, als sie aufgeben und auch ihren Start bei der WM in Doha absagen musste. Die 28-Jährige ist inzwischen auf Platz 52 der Weltrangliste abgerutscht, weil sie immer wieder von Verletzungen gestoppt wird. Auch bei Olympia in Paris konnte sie aufgrund von Bandscheibenproblemen nicht teilnehmen. Das wiederum ebnete Shootingstar Annett Kaufmann den Weg zu ihrer famosen Olympia-Premiere. Doch Mittelham will die Wachablösung im deutschen Frauentischtennis nicht kampflos über sich ergehen lassen. Die Europe-Top-16-Siegerin von 2021 muss zunächst aber vollständig fit werden, um sich den Status der Nummer eins im deutschen Damen-Tischtennis zurückzuerobern. „Das ganze Team wünscht Nina von Herzen gute Besserung. Wir hoffen, dass sie schon bald wieder fit ist“, sagte Bundestrainerin Tamara Boros.
Um für Ausfälle wie die von Mittelham und Shan in Zukunft besser gerüstet zu sein, hat der Club auf dem Transfermarkt zugeschlagen. In der kommenden Saison schlägt die Nummer eins in Polen, Natalia Bajor, für TTC Eastside Berlin auf. Pikant an dem Wechsel ist, dass Bajor zuvor für den polnischen Spitzenclub Tarnobrzeg aktiv war, gegen den Berlin im Champions-League-Halbfinale fast schon sensationell gewonnen hatte. „Mit Natalia Bajor haben wir uns nicht nur in der Breite, sondern auch in der Spitze deutlich verstärkt. Wir werden in den kommenden Spielzeiten wesentlich flexibler agieren können und sind jederzeit in der Lage, auf andere Mannschaften adäquat reagieren zu können“, sagte Eastside-Manager Hain. Bei dieser Verpflichtung soll es aber nicht bleiben. Hain kündigte an: „Zudem soll noch eine asiatische Weltklasseathletin speziell für die Champions-League an die Spree kommen.“