In unserer Serie über außergewöhnliche Studiengänge stellen wir den neuen Masterstudiengang „Nachhaltige Transformationsgestaltung“ an der Fachhochschule Münster vor. Die Leiterin des Studiengangs, Prof. Dr. Maren Urner, über Anforderungen, Projekte und Berufsmöglichkeiten.
Sechs von neun planetaren Grenzen hat die Menschheit bereits überschritten, nämlich die für globale Erwärmung, Biosphäre, Entwaldung, Schadstoffe, Stickstoffkreisläufe und Süßwasser. Sicher ist, dass nachhaltige Lösungen hermüssen, um die ökologischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen in Zukunft zu meistern. Allenthalben fehlt es allerdings an interdisziplinär arbeitenden und denkenden Expertinnen und Experten, die das hinbekommen können.
Dynamischeres Denken ist erforderlich
An diejenige, die sich zu ebensolchen ausbilden möchten, richtet sich der deutschlandweit erste interdisziplinäre Masterstudiengang „Nachhaltige Transformationsgestaltung“ an der FH Münster University of Applied Sciences Center. Angedockt ist der Studiengang am Münster Centrum für Interdisziplinarität (MCI). Zum Wintersemester 2024/25 hat die erste Kohorte das Studium begonnen. „Studierende sollen im Rahmen des Studiums das andere Denken praktizieren und in die Gesellschaft tragen“, sagt Prof. Dr. Maren Urner, die Leiterin des Studiengangs „Nachhaltige Transformationsgestaltung“. Elementar sei, dass in den ersten drei Semestern ein Großteil der Studienleistungen durch das jeweilige Projekt erbracht werde. Das vierte und letzte Semester ist für die Masterarbeit vorgesehen.
Jeder, der sich für das Studium bewirbt und zugelassen wird, sollte die Bereitschaft mitbringen, „anders und dynamisch zu denken“, sagt Maren Urner. Denn genau diese Fähigkeiten würden im Laufe des Studiums trainiert und praktisch angewandt. „Unsere Studierenden sollten vor allem eins mitbringen, nämlich eine Riesenportion Neugier – sowohl auf die Welt als auch auf sich selbst.“ Das eigene Denken und Handeln zu hinterfragen sollte entsprechend selbstverständlich sein. „Ich verweise dabei gern auf das Konzept der intellektuellen Demut, also Demut gegenüber eigener Denkweise, bisheriger Erkenntnisse und Überzeugungen“, erläutert die Neurowissenschaftlerin. Auch sollte die Neugier gepaart sein mit dem Mut, Dinge verändern zu wollen. „Ich lade wirklich Menschen dazu ein, verrückt zu sein. Denn weil wir eine vermeintliche Normalität geschaffen haben, die uns in den absurden Zustand versetzt, unsere eigene Lebensgrundlage zu zerstören, ist genau das dringend nötig“, sagt Maren Urner.

In jedem Semester steht eine übergeordnete Methodik im Fokus, um das „anders Denken“ zu trainieren. Beginnend mit dem aktiven Zuhören im ersten Semester geht es zunächst darum, in den Zuhörer-Modus zu kommen. „Wir unterscheiden in der Kommunikation klassischerweise zwischen Senden und Empfangen. Beim aktiven Zuhören geht es darum, wirklich zu empfangen und so wenig wie möglich zu be- und verurteilen“, erklärt Maren Urner. Zugegeben, das sei sehr anstrengend, sagt sie, also das Empfangen ohne die eigene Brille. Erst wenn man sich selbst weitestgehend zurücknehme, komme man ins aktive Zuhören. Dazu gehört ein weiterer wichtiger Aspekt: das Paraphrasieren des Gesagten. „Im Gespräch sollten wir immer nachfragen, wie das Gesagte gemeint wurde. So können wir uns echtem Verstehen zumindest annähern.“
Im zweiten Semester geht es methodisch um das Lieblingsorgan der Studiengangsleiterin: das Gehirn. Unter dem Motto „Biased Brain“ lernen die Studierenden die „irrationalen“ Denk- und Gefühlsstrukturen, die das menschliche Gehirn mit sich bringt, kennen und schätzen. „Oft übersetzen wir ‚Biases‘ mit kognitiven Verzerrungen. Das klingt aber so, als ob unser Gehirn schlecht funktioniere oder gar ‚böse Absichten‘ habe. Das Gegenteil ist der Fall: Die Biases kommen aus einer Zeit, in der genau diese Verhaltensweisen einen Überlebensvorteil bedeuteten. Darum spreche ich auch gern von unserem Steinzeit-Gehirn.“ In der heutigen Umgebung jedoch funktionieren viele dieser evolutionär unveränderten Überlebensmechanismen nicht mehr. Maren Urner verweist darauf, dass das beste Beispiel der Fokus auf allem Negativen sei. In Zeiten von digitaler Dauerpräsenz könnten entsprechende News und Push-Nachrichten zu einem zu negativen Weltbild, Überforderung und zur Passivität führen.
Schließlich werden die angehenden Absolventinnen und Absolventen im dritten Semester mit der Future Literacy vertraut gemacht. „Der Begriff beschreibt die Fähigkeit, sich die Zukunft vorzustellen, und damit auch mitzugestalten und mitzuentwickeln“, sagt Maren Urner. Nach ihrem erfolgreichen Studium sollten die Absolventinnen und Absolventen unter anderem den aktuellen Nachhaltigkeitsdiskurs bewerten, Nachhaltigkeitstheorien und -strategien auf nationaler und internationaler Ebene sowie Ansätze und Methoden der Transformationsforschung einordnen. Sie sollen technologische Ansätze bewerten und reflektieren, gesamtwirtschaftliche, politische, gesellschaftliche und ökologische Zusammenhänge darstellen und bewerten und zukünftige Entwicklungen und Trends erkennen und in eigene Entscheidungen einbeziehen können. „Die Technik und das Wissen auf den naturwissenschaftlichen Ebenen ist da. Was häufig noch fehlt ist die Umsetzung“, sagt Maren Urner, die auch Bestseller-Autorin ist. Es mangele an Menschen, die das dringend notwendige Umdenken, das auf allen gesellschaftlichen Ebenen benötigt werde, praktizieren und den Mut haben, die Veränderungen aktiv mitzugestalten.
Kreative Ansätze sind im Job später gefragt
Das erste Projekt findet aktuell in Kooperation mit der Stadt Münster statt, die sich ihrerseits zum Ziel gesetzt hat, bis 2030 klimaneutral zu sein. In acht Kleingruppen arbeiten die angehenden nachhaltigen Transformationsgestalterinnen und -gestalter an eigens entwickelten Projekten, die Ende Januar an die Praxispartner Münsters übergeben werden. „Das Ziel ist, dass die Projekte im großen Stil implementiert werden können“, sagt Maren Urner. Eine Projektgruppe nimmt etwa den nachhaltigen Pendelverkehr in der Stadt Münster in den Blick. Das Netzwerk „Müve“ möchte für Unternehmen und die Stadtverwaltung eine Möglichkeit schaffen, Daten zum Pendelverkehr auszutauschen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Über diesen Kommunikationskanal sollen Unternehmen aktiv die städtische Verkehrsgestaltung mitbestimmen können. Eine andere Gruppe will sich die Popularität des Fußballs zunutze machen, um etwa das Bewusstsein für Nachhaltigkeit im Alltag zu stärken. Das Projekt zielt darauf, kreative Ansätze zu entwickeln, die bei Fußballveranstaltungen leicht umgesetzt werden können.
Ab dem zweiten Semester können alle Studierenden ihr zukünftiges Berufsprofil schärfen, indem sie sich auf die erste bereits angebotene Profillinie „Bauen, Wohnen und Mobilität“ spezialisieren. „Wahrscheinlich kommen in Zukunft weitere Profillinien hinzu“, sagt Maren Urner. Noch fehlen Erfahrungswerte zu den Berufsfeldern der Absolventinnen und Absolventen. „Deshalb liegt auf den Projekten ein unterschiedlicher Fokus. Im zweiten Semester steht der Bildungssektor im weitesten Sinne im Fokus, im dritten Unternehmen und damit die klassische Wirtschaft“, sagt sie. Drei Monate nach dem Start des fächerübergreifenden Studiengangs zieht Prof. Dr. Maren Urner eine positive Bilanz. „Ich bin sehr fasziniert von der diversen und durchweg interessierten ersten Kohorte aus 25 Menschen.“ Mittlerweile sei der Vorlesungsbetrieb in vollem Gange, was mit neun beteiligten Fachbereichen ebenfalls viel „anderes Denken“ bei der Planung und Koordination erfordere. Maren Urner lädt jedenfalls alle Hochschulen und Universitäten hierzulande ein, sich den Themen Nachhaltigkeit und Transformation anzunehmen – und im besten Fall einen Studiengang dazu einzurichten.