Es war eine Woche, die es in sich hatte. Die Kanzlerwahl war wahlweise ein „Stolperstart“ oder gleich ein „Desaster“. An viele Gesichter der neuen Regierung wird man sich erst gewöhnen müssen. Die Aufgaben sind jedenfalls klar.
Für die einen ist ein Ergebnis nach vier Wahlgängen eine überraschend schnelle Entscheidung. Für andere ist es ein ziemliches Desaster, dass überhaupt ein zweiter Wahlgang erforderlich wird.
Die Wahl eines Nachfolgers für den verstorbenen Papst Franziskus hat weltweit Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und die wurde nicht geringer, als der Ausgang klar war: Robert Francis Prevost als Papst Leo XIV. war eine ziemliche Überraschung.
Da war für viele schon fast Geschichte, was sich drei Tage zuvor im deutschen Bundestag bei einer Wahl zugetragen hatte. Das hatte durchaus auch für eine gewisse internationale Aufmerksamkeit gesorgt – wenn auch bei weitem nicht vergleichbar mit dem globalen Interesse an der Wahl des katholischen Kirchenoberhaupts.
Dass Friedrich Merz zwei Anläufe brauchte, um endlich am Ziel seiner Bemühungen angelangt zu sein, ist doppelt historisch: einmal, weil es tatsächlich das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik war, zum anderen aber auch, weil es in gewisser Weise selbst bereits Geschichte ist – die aber noch lange ihre Schatten werfen wird.
Die Frage, ob die Koalition zustande kommt und Merz Kanzler wird, ist beantwortet. Jetzt geht es ans Umsetzen. Die Erwartungshaltungen zu Hause und in Europa – und damit auch darüber hinaus – sind in den letzten Tagen und Wochen ausreichend oft als „groß“, „sehr groß“ oder „enorm“ beschrieben worden. Zu Recht.
Gleich doppelt historisch
Folglich stehen gerade die ersten Schritte konkreter Regierungsarbeit unter ganz besonderer Beobachtung.
Internationale Antrittsbesuche sind diplomatisch in der Regel wohlvorbereitete Signale an Nachbarn und Partner, worauf sie sich einstellen können und müssen. Die eigentlichen Signale hatte – auch etwas Historisches – noch der letzte Bundestag in einer letzten Sondersitzung auf den Weg gebracht. Die großen Finanzpakte für Investitionen und Verteidigung wurden einhellig als Zeichen dafür interpretiert, dass sich Deutschland wieder zurückmelden will. Was allseits von den Nachbarn begrüßt wurde.
Ganz im Gegensatz zu den ersten Aktivitätszeichen des neuen Innenministers Alexander Dobrindt (CSU) in Sachen Migrationspolitik und Grenzkontrollen. Die ablehnende Haltung von Nachbarländern wurde bekräftigt, ebenso wie Zweifel daran, ob das mit europäischen Regeln noch vereinbar ist. Derartige Verärgerungen überschatten dann doch, wenn der frisch gekürte Bundeskanzler beim Antrittsbesuch in Brüssel erklärt, seine Regierung werde dafür sorgen, dass Deutschlands Stimme „in Europa und in der Welt“ wieder gehört werde.
In Deutschland selbst sind die Erwartungshaltungen alles andere als euphorisch. Nur gut ein Drittel hält Friedrich Merz für eine gute Besetzung im Kanzleramt. Damit hat sich aber auch nach der außerordentlich holprigen Wahl nicht viel verändert. Der Wert liegt ziemlich genau in einer längerfristigen Einschätzungsreihe.
Überhaupt hat sich an der grundlegenden politischen Stimmungslage in den zwei Monaten seit der vorgezogenen Bundestagswahl – abgesehen von einigen kurzfristigen Ausschlägen – im Grunde kaum etwas verändert, obwohl es zwischenzeitlich ja durchaus einige Ereignisse gab, die für aufgeregte Diskussionen gesorgt haben.
Weniger als die Hälfte der Befragten (42 Prozent, Deutschlandtrend, Mai 2025) hält Schwarz-Rot für gut, etwas mehr als die Hälfte (53 Prozent) für weniger gut oder gar schlecht. Damit startet die Koalition auf einer ziemlich niedrigen Erwartungsbasis im Land selbst.
Bei der Einschätzung dürften die meisten Befragten die bekannten Spitzenakteure der neuen Regierung im Blick gehabt haben. An viele andere Gesichter wird man sich erst gewöhnen müssen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius ist der einzige Bekannte aus der Ampel-Zeit am Kabinettstisch. Was beim immer noch beliebtesten aller Politiker auch von gut Dreiviertel der Befragten begrüßt wird. Ansonsten haben sowohl CDU als auch SPD so manche überraschende Personalentscheidung präsentiert. Im Grunde haben damit CDU-Chef Merz wie auch SPD-Chef Lars Klingbeil ihre Ankündigungen vor beziehungsweise unmittelbar nach der Wahl umgesetzt. Neue Gesichter, Experten als Quereinsteiger, Verjüngung. In großen und traditionsreichen Volksparteien ist sowas aber nicht unumstritten, schließlich bricht es ansonsten fein gesponnene Proporze (Region, Parteiflügel, Geschlecht ...) auf.
Und es ist immer mit einem Risiko verbunden. Große Apparate mit einem gewachsenen Binnengeflecht, wie es Bundesministerien nun mal sind, erfordern durchaus besondere Führungsfähigkeiten. Mancher Quereinsteiger der Vergangenheit ist daran gescheitert, genauso gibt es Gegenbeispiele.
Bemerkenswert war dann schon, wie so mancher Abschied beziehungsweise Wechsel in den einzelnen Häusern bei der Regierungsübergabe ausgefallen ist. Das reichte dann vom eher kühl-korrekten Übergang bis zu Jubel, nicht über den Abgang, sondern als Dank und Anerkennung für den bisherigen Chef. So eindrucksvoll geschehen im Falle von Robert Habeck. Außenministerin Annalena Baerbock übergab ihr Amt an Nachfolger Johann Wadephul in einer eher opulenteren Zeremonie. An anderen Stellen beschränkte man sich auf reine Fototermine.
Niedrige Erwartungen
Bei allem wurde immer wieder Wert auf die Feststellung gelegt: So sieht ein Regierungswechsel in einer funktionierenden Demokratie aus.
Womit auch schon ein wesentlicher Kern der Aufgaben der neuen Bundesregierung beschrieben ist, den viele Beteiligte selbst in den letzten Monaten immer wieder hervorgehoben haben: Vertrauen in demokratische Prozesse und Institutionen zurückgewinnen und festigen gegen Frustrationen und Enttäuschungen, die sich festgesetzt haben aus den Erfahrungen der Ampel-Zeit, die noch durch destruktive Bestrebungen und gezielte Einflussnahmen von außen befördert werden. „Gutes Regierungshandeln“ macht dabei schon länger als Schlagwort die Runde. Was damit in der Regel verbunden wird, ist die Erwartung von gutem politischem Handwerk statt Dauerstreit – und Ergebnisse, die im Alltagsleben sichtbar werden. Die Überschrift über dem Koalitionsvertrag („Verantwortung für Deutschland“) zeigt, dass sich die Partner genau das vorgenommen haben. Die Abläufe bei der Kanzlerwahl lassen aber ahnen, dass dieses Denken bei einigen noch einen Lernprozess erfordert.