Die geplante Krankenhausreform stößt bei den gesetzlichen Krankenkassen auf wenig Begeisterung. Der Knackpunkt ist, dass sie den radikalen Umbau des stationären medizinischen Versorgungssystems finanzieren sollen. Und das geht zu Lasten des Patienten.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gibt sich in der Pressekonferenz wie gewohnt entschlossen und verkündet eine echte Revolution in der medizinischen Grundversorgung der Menschen in den Krankenhäusern Deutschlands. „Nicht jeder Standort muss alles können, sondern die Kliniken müssen sich spezialisieren“, betont Lauterbach. Das klingt zunächst gut und nachvollziehbar. Patienten, die beispielweise einen Herzinfarkt erleiden, werden gezielt in eine Klinik gebracht, die darauf spezialisiert ist und das nötige Fachpersonal und die Behandlungsmöglichkeiten aufweist. Das geltende Prinzip der Fallpauschalen soll damit abgelöst werden.
Abkehr von Fallpauschalen
Bisher wurde ein Krankenhaus pro behandelten Patienten bezahlt und musste somit unabhängig von der Verfügbarkeit des Fachpersonals alle Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Das Pikante an diesem vor 20 Jahren eingeführten Fallpauschalen-System: Es war Karl Lauterbach, der als graduierter Gesundheitsökonom unter der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) genau dieses System entgegen vieler Widerstände entwickelt und durchgesetzt hat.
Nun reformiert Lauterbach seine eigene Reform. Zukünftig sollen sich die Kliniken spezialisieren und die Patienten zielgerichtet in die richtige Klinik eingeliefert werden. Dieser „Klinik-Transformationsprozess“ soll durch einen Fonds von 50 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren finanziert werden. Allerdings gibt es dafür kein Sondervermögen des Bundes. Und da fängt der Ärger dann richtig an: Die eine Hälfte dieses gigantischen Klinikreformfonds sollen die Länder finanzieren, während die andere Hälfte alleine von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden soll.
Für die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, ist das eine absolute Zumutung. Sie betont, dass die gesetzlichen Krankenkassen für die Behandlung ihrer Versicherten zuständig sind und nicht für so eine gigantische Infrastrukturmaßnahme. Das ist nach Reimann eine Aufgabe der Länder und vor allem des Bundes. Was die AOK-Vorsitzende am meisten ärgert, ist, dass die gesetzlich Versicherten allein in die Verantwortung genommen werden sollen. „Es kann doch nicht sein, dass die Privatversicherten oder Beamten zukünftig ein Kliniksystem in Anspruch nehmen können, das möglicherweise effizienter und zielgerichteter behandeln kann, aber an den Kosten für den Umbau gar nicht beteiligt werden. Das ist einfach ungerecht“, so die ehemalige gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Die AOK-Vorstandsvorsitzende kennt Lauterbach gut, und im FORUM-Gespräch wird klar, dass sich die beiden schon in ihrer Zeit im Bundestag nicht verstanden haben. Reimann sah bereits vor 20 Jahren als junge SPD-Abgeordnete das Fallpauschalen-System kritisch, das, wie gesagt, aus der Feder ihres Parteifreundes Karl Lauterbach stammt und nun abgeschafft werden soll.
50-Milliarden-Euro-Fonds
Aber nicht nur die AOK-Chefin, sondern auch der Chef der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK), Andreas Storm, sieht die Klinikreform mehr als kritisch. Er ist sich grundsätzlich mit seiner AOK-Kollegin einig und führt dann noch einen weiteren Aspekt ins Feld. „Durch diese Klinikreform soll unter dem Strich eine Milliarde Euro in den kommenden zehn Jahren bei den Klinikkosten eingespart werden. Das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, wie das funktionieren soll. Auch wenn die Kliniken sich spezialisieren und gezielt nur bestimmte Behandlungsmethoden vorhalten, werden doch die Kosten nicht sinken.“ Was den DAK-Chef besonders ärgert, ist, dass für seine Begriffe hier der zweite vor dem ersten Schritt gemacht wird. „Zuerst soll die Finanzierung umgestellt werden, und dann das System. Das geht so nicht. Das Krankenhaustransparenzgesetz mag ja seine Berechtigung haben, aber dann muss ich auch die Infrastruktur anpassen und kann nicht einfach bei der stationären Versorgung erstmal so weitermachen wie bisher. Das ergibt doch keinen Sinn.“ DAK-Chef Andreas Storm ist ebenfalls darüber entsetzt, dass die Länder den 50-Milliarden-Euro-Fonds zur Krankenhausreform zu einer Hälfte tragen, während die anderen 25 Milliarden Euro von den Versicherten der gesetzlich Krankenversicherungen finanziert werden sollen. „Wenn das so kommt, wäre das ein gesellschaftspolitischer Skandal. Es kann doch nicht sein, dass nur die Kassenpatienten über ihre Beiträge für so eine Reform aufkommen müssen, während Beamte und privat Versicherte außen vor sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so eine Klinik-Reform durchsetzbar ist.“
Nach vorsichtigen Schätzungen des DAK-Chefs Storm müssten die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung um gut 1,3 Prozent angehoben werden, nur um die Klinikreform in der jetzigen Beschlussvorlage aus dem Bundesgesundheitsministerium aus dem Stand zu finanzieren. Doch im Hintergrundgespräch mit FORUM lässt der Vorsitzende der Deutschen Angestellten Krankenkasse durchblicken, dass sich die gesetzlichen Krankenversicherungen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorbehalten würden.
„Für meine Begriffe ist das so verfassungsrechtlich nicht haltbar. Es handelt sich bei der Klinikreform um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die man nicht nur auf gesetzlich Versicherten abwälzen kann.“ Doch auch bei Bundeskanzler Olaf Scholz ist diese Kritik offensichtlich mittlerweile angekommen. Bereits zwei Mal ist der vorgelegte Gesetzentwurf zur Klinikreform im Bundeskabinett nicht verabschiedet worden, sondern in dem Ordner Wiedervorlage gelandet. Derzeit brüten die Fachpolitiker im Bundesgesundheitsministerium über eine erneute Vorlage, die dann Mitte Mai endgültig von der Regierung abgesegnet werden soll. Allerdings ist dann noch offen, ob auch die Abgeordneten der Ampel-Koalition im Bundestag zustimmen. Gerade in der SPD gibt es erheblichen Widerstand gegen die bisherigen Vorschläge von Lauterbach.