Zustimmung? Reine Formsache. Bis die FDP dazwischenfunkte. Das EU-Lieferkettengesetz ist blockiert. Die Wirtschaft ist erleichtert, vorerst droht keine weitere Bürokratie. China indessen bereitet sich auf die Abwehr des Gesetzes vor.
Schon im vergangenen Dezember hatten sich Unterhändler des EU-Parlaments und der EU-Staaten in Brüssel auf ein Lieferkettengesetz geeinigt. Die Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten schien nur mehr ein formaler Akt. Doch als es Anfang Februar dazu kommen sollte, war es keineswegs nur ein Formalakt: Die in Deutschland mitregierende FDP hatte es sich plötzlich anders überlegt. Deutschland enthielt sich der Stimme, das Vorhaben war somit EU-weit blockiert, die Abstimmung wurde vertagt.
„10.000 Lieferanten überprüft“
Das Lieferkettengesetz soll Menschenrechtsverletzungen und Umweltbelastung im Zuge der Produktion ausschließen. Das Ziel: Wer ein T-Shirt kauft, darf in Zukunft sicher sein, dass es nicht in Kinderarbeit produziert wurde. Legt man sich ein neues Auto zu, soll es künftig ohne die Umwelt zu schädigen erzeugt worden sein. Ob diese und ähnliche Anforderungen erfüllt sind, lässt sich bisher schwer bis gar nicht überprüfen. Es sei denn, Firmen verfolgen freiwillig den Weg ihrer Produkte zurück und versichern, dass sie ohne Verletzung der Menschenrechte oder Beeinträchtigung der Umwelt hergestellt wurden. Die EU-weite Regelung möchte sicherstellen, dass diese Standards eingehalten werden Mit der Einführung diesbezüglicher Regelungen hatte Frankreich begonnen. Deutschland folgte vor einem Jahr mit dem Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz. Betroffen davon waren zuerst nur die Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern. Ab diesem Jahr gilt die Vorschrift auch für Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten.
Der internationale Baukonzern Porr aus Österreich mit einem Umsatz von 5,7 Milliarden Euro (2022) hatte sie schon voriges Jahr zu erfüllen. „Wir haben in Summe 44.000 Lieferanten“, sagt Generaldirektor Karl-Heinz Strauss. Man versuche, alle im Blick zu haben. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob das immer so gelingen wird, wie es vielleicht manche Dinge vorschreiben oder sie vielleicht für uns gar nicht machbar sind.“
Im ersten Anlauf hat Porr 10.000 Lieferanten gescreent und bewertet. „Kein kleiner Aufwand für ein Gesetz, das quasi ‚husch pfusch‘ über Nacht in Deutschland eingeführt wurde“, sagt der Porr-Chef. „Von den 10.000 Lieferanten waren 66 im sogenannten roten Gefährdungsbereich. Davon wurden dann aber auch gleich 22 ausgelistet.“
Die deutsche Wirtschaft zeigt sich erst einmal erleichtert über den Aufschub des EU-weiten Gesetzes. Viele Firmen sahen ein Bürokratiemonster auf sich zukommen. Man werde zusätzliches Personal einstellen müssen, was Geld koste. Die Nachverfolgbarkeit der Lieferkette bis zum Baumwollfaden fürs T-Shirt oder bis zur seltenen Erde im Elektroauto sei nicht möglich, wird argumentiert.
Der deutsche Halbleiterhersteller Infineon hingegen gibt sich angesichts der neuen Regelungen gelassen: „Die Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen des Lieferkettengesetzes stellt für Infineon lediglich einen weiteren Schritt in unserem Einsatz für Menschenrechte und den Umweltschutz dar“, heißt es seitens des Unternehmens. „Um eine geeignete Umsetzung und größtmöglichen Nutzen der geplanten Maßnahmen zu gewährleisten, ist es aus unserer Sicht entscheidend, dass faire, verhältnismäßige, transparente und nicht-diskriminierende Anforderungen für alle betroffenen Akteure definiert werden.“
Eingangs herrschte viel Ungewissheit in der Wirtschaft. Das bestätigt Cornelia Upmeier, Referatsleiterin Corporate Social Responsibility in der Deutschen Industrie- und Handelskammer: „Wir haben sehr viele Anrufe von kleineren und mittleren Unternehmen gehabt, die nicht direkt betroffen sind, aber die von den großen Unternehmen, die unter das Gesetz fallen, angefragt werden, damit sie ihnen entsprechende Nachweise geben, dass sie auch den Lieferketten und den Menschenrechten in ihren Lieferketten entsprechende Aufmerksamkeit widmen und das nachweisen können.“
Die Sorgfaltspflichten der Unternehmen sind umfangreich: Sie haben zusätzlich zur Risikoanalyse, wo es dunkle Stellen in der Produktionskette geben könnte, gegebenenfalls präventive Maßnahmen zu setzen. Hinzu kommt eine Dokumentations- und Berichtspflicht über diese Aktivitäten. „Bisher ist das deutsche Gesetz sozusagen das schärfste, das auf dem Markt ist“, sagt Upmeier. „Aber die EU schafft es wieder, alles zu toppen und weitet sowohl den Begriff der Lieferkette aus auf die komplette Wertschöpfungskette, also vom Anfang bis zum Ende. Und auch die zivilrechtliche Haftung ist in der EU Richtlinie drin. Das ist im deutschen Gesetz nicht so vorgesehen.“
Geht es nach der EU, muss nicht nur nachgewiesen werden, dass die Lieferkette von der Entstehung bis zum fertigen Produkt sauber ist, sondern auch die Absatzkette vom Produkt bis zum Letztkäufer. Das vorgesehene Gesetz will große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, in Risikosektoren sogar mit nur mehr als 250 Mitarbeiterinnen, zur Rechenschaft ziehen, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren.
Gegenvorschlag aus der Wirtschaft
Die Regelung steht im Zeichen des Green Deal der EU: Europas Wirtschaft soll sauber sein, also frei von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschädigungen im Zuge der Produktion. Deshalb werden den Firmen Sorgfaltspflichten aufgetragen. Das Lieferkettengesetz der EU betrifft aber nicht nur die Unternehmen in deren Mitgliedsstaaten und die Lieferanten weltweit, es könnte Einfluss auf die Weltwirtschaft insgesamt haben. Schon jetzt gibt es Reaktionen, etwa aus China.
Zur Abwehr habe China bereits zwei Gesetze erlassen, so der österreichische Logistik-Wissenschaftler Andreas Breinbauer, Rektor der Fachhochschule am Berufsförderungsinstitut Wien: „Im Anti-Sanktionen-Gesetz geht es darum, dass, wenn chinesische Firmen diskriminiert werden, diese das Recht haben, Schadenersatz oder andere Geldmittel einzuklagen.“ Wollen europäische Firmen das Lieferkettengesetz einhalten und etwa chinesische Subfirmen auslisten, wären eventuell chinesische Gegenmaßnahmen zu erwarten. Laut dem zweiten Gesetz, dem Anti-Spionage-Gesetz, darf die nationale Sicherheit nicht gefährdet werden. Das bedeutet, dass China europäische Firmen vor Gericht zitieren könnte und seinen Firmen die Informationsweitergabe verbieten könnte. Doch um das Lieferkettengesetz umzusetzen, ist es unumgänglich, bei den Lieferanten zu recherchieren. Dem könnte das chinesische Gesetz einen Riegel vorschieben.
„Mir haben europäische Unternehmen in China berichtet, dass es de facto unmöglich ist, sowohl das deutsche Lieferkettengesetz oder später auch das europäische Lieferkettengesetz und die chinesischen Gesetze gleichzeitig einzuhalten“, erzählt Breinbauer. „Was dazu führt, dass europäische Unternehmen in China, immerhin der wichtigste Markt für Europa, derzeit dazu übergehen, parallele Lieferketten aufzubauen, um beiden Gesetzen entsprechen zu können.“ Das könnte letztlich für die Endkunden teuer werden.
Lieferkettengesetze könnten deshalb auch eine De-Globalisierung beschleunigen, wenn sich europäische Firmen vermehrt aus risikoreichen Märkten zurückziehen. Rückverlagerungen waren früher verpönt, weil sie als gescheiterte Internationalisierungsstrategie empfunden wurden. Logistiker Breinbauer hält sie aber heute für „modern, weil man sich ja stärker auf Europa konzentrieren möchte“. Wenn sich europäische Unternehmen aus Ländern zurückzögen, würden dort nicht nur Menschen ihre Jobs verlieren, es sei auch fraglich, ob sich die Umwelt- oder Menschenrechtsstandards dort verbessern, wenden hingegen manche Betriebe ein.
Andere Unternehmen schlagen statt eines Lieferkettengesetzes vor, verpflichtend Nachhaltigkeitskriterien in die Beschaffungsprozesse einführen, ohne diese zu regulieren. Damit würde zum einen dem Green Deal der EU besser entsprochen, zum anderen würde dann nicht automatisch der günstigere aus Billiglohnländern gewinnen, sondern jenes Unternehmen, das anhand der Kriterien nachgewiesen nachhaltig produziert. Europa könne so mit einer grünen Wirtschaft vorangehen.