Mit zwei neuen Ruderern und Bundestrainerin Sabine Tschäge ist die Olympia-Qualifikation das Mindestziel für den Deutschland-Achter.
Mit zwei Umbesetzungen und einer neuen Trainerin startet der Deutschland-Achter in die vorolympische Saison. Marc Kammann als Schlagmann und Max John sind die neuen Gesichter im deutschen Paradeboot, das nun erstmals von einer Frau trainiert wird: DRV-Bundestrainerin Sabine Tschäge ist seit März dieses Jahres verantwortlich für den Deutschland-Achter.
„Wir alle fiebern der neuen Saison entgegen und wollen Stabilität auf möglichst hohem Niveau reinbekommen. Unsere Maxime ist, gute, schnelle Rennen zu fahren“, sagte Tschäge bei der Team-Präsentation in Dortmund. Die 52-jährige Bundestrainerin, die nach dem Gewinn der olympischen Silbermedaille mit dem Leichtgewichts-Männer-Zweier in Tokio als DOSB-Trainerin des Jahres 2021 ausgezeichnet wurde, hat die Position als Deutschland-Achter-Trainer von Uwe Bender übernommen. Bender, der das Flaggschiff seit 2017 erfolgreich geführt hat, steht dem Deutschen Ruderverband aus gesundheitlichen Gründen einstweilen nicht mehr als Trainer zur Verfügung.
„Gute, schnelle Rennen fahren“
Weiterhin im Deutschland-Achter, der mit einem Durchschnittsalter von 24,7 Jahren in die Saison geht, sitzen Wolf-Niclas Schröder, Mattes Schönherr, Torben Johannesen, Benedict Eggeling, Jasper Angl, Olaf Roggensack und Steuermann Jonas Wiesen. „Mit Torben und Olaf haben wir zwei Sportler mit Olympia-Erfahrung im Boot, mit Marc Kammann einen neuen Schlagmann. Ich denke, wir haben die richtige Mischung gefunden“, meinte Tschäge. Nicht nominiert wurden aus dem letztjährigen Achter Laurits Follert und Julian Garth, die krankheitsbedingt jeweils eine längere Auszeit hatten und auch nicht an den Leistungstests teilnehmen konnten.
Die erste internationale Standortbestimmung wartete auf den neu gebildeten Deutschland-Achter direkt bei den Europameisterschaften im slowenischen Bled. Dort kann es zum Kräftemessen mit Weltmeister Großbritannien und dem WM-Zweiten aus den Niederlanden kommen. „Mit den beiden besten Achtern der Vorsaison haben wir eine ordentliche Messlatte und wollen jetzt auch sehen, wo wir international stehen“, so Tschäge im Vorfeld. Am Ende war klar: keine Medaille, lediglich Rang vier. Das einstige Flaggschiff des Deutschen Ruderverbandes. Der Achter hatte beim EM-Finale in Slowenien von Beginn an nichts mit dem Kampf um Gold zu tun. Bundestrainerin Sabine Tschäge sagte: „Wir sind zu schnell ins Hintertreffen geraten, da kommt man bei diesem schnellen Feld nicht mehr ran. Zwar konnten wir die Italiener diesmal hinter uns lassen, insgesamt waren wir über die gesamte Strecke aber zu harmlos.“ In einem Herzschlagfinale samt Fotofinish sicherte sich Großbritannien Gold vor Rumänien, Bronze ging an die Niederlande. Erst sechs Sekunden später kam auch der Deutschland-Achter nach 5:34,39 Minuten über die 2.000 Meter ins Ziel
„Es war das erste Rennen, das ist unser Startpunkt. Unsere Aufgabe wird nun sein, die Lücke zuzufahren. Es kommen ja auch noch die Überseenationen dazu“, sagte Tschäge. Jonas Wiesen ergänzte mit Blick auf die kommenden Weltcuprennen und die WM im September: „Nach konstruktiver gemeinsamer Analyse des Rennens steht für uns fest, dass wir noch an der technischen Basis arbeiten müssen.“
Saisonhöhepunkt sind die Weltmeisterschaften in Belgrad (Serbien). Dort geht es auch um die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris. Für den Deutschland-Achter gilt es, mindestens Fünfter zu werden. „Die Olympia-Qualifikation hat oberste Priorität“, so Tschäge.
Mit größtenteils frischem Personal gehen die anderen beiden Boote aus dem Team Deutschland-Achter, der Vierer und der Zweier ohne Steuermann, bei der EM an den Start. Sönke Kruse und Mark Hinrichs sind neu im Vierer, während Theis Hagemeister und Malte Großmann ihre Plätze im Boot behalten. Der Zweier wurde mit Julius Christ und Jannik Metzger, den Viertplatzierten bei den Deutschen Kleinbootmeisterschaften, komplett neu besetzt. Als Ersatzruderer fahren Hannes Ocik und Paul Klapperich mit nach Bled. Trainiert werden die Zweier- und Vierer-Mannschaften von Thomas Affeldt, der schon seit vielen Jahren erfolgreich am Dortmunder Leistungszentrum tätig ist und nun vom Frauen-Skull- in den Männer-Riemen-Bereich wechselte. „Diese beiden Boote, inklusive der Ersatzleute, sind neben dem U23-Bereich unsere wichtigsten Entwicklungsbausteine. Es sind viele junge Sportler dabei, die auf internationalem Parkett unbekümmert starten, mutig angreifen und in den Rennen gegen die Weltspitze wichtige Erfahrung sammeln können“, sagte Affeldt.
Größter Kritiker aus den eigenen Reihen
Dass Ocik, langjähriger Schlagmann des Achters, nur als Ersatzruderer nominiert wurde, wurmt ihn. In einem Facebook-Post machte der dreimalige Weltmeister und zweimalige Olympia-Silbermedaillen-Gewinner aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. „Hallo Leute, nach der Funkstille, die ich erst mal zum Verarbeiten der Situation brauchte, melde ich mich heute wieder bei euch zurück“, heißt es eingangs. Und weiter: „Leider werde ich wohl diese Saison nur als Ersatzmann die Nationalmannschaft begleiten. Nach der letzten Selektion am ersten Mai-Wochenende wurden die Bootsbesetzungen bekannt gegeben und ich muss sagen, ich bin sehr enttäuscht.“ Ociks großes Ziel war es, in den Deutschland-Achter zurückzukehren und bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris dabei zu sein. Olympia-Gold fehlt dem 31-Jährigen noch in der ansonsten stattlichen Medaillensammlung. Der Traum scheint nun erst einmal ausgeträumt. Nach den Trainingsleistungen und den Kleinbootmeisterschaften habe er sich noch aussichtsreich für einen Platz im Großboot gefühlt, so Ocik. „Die interne Selektion in Hamburg bestritt ich in verschiedenen Viererbesetzungen als Schlagmann, wo leider meine Boote zweimal knapp unterlegen waren. Offensichtlich gab das den entscheidenden Ausschlag, mich trotz anderer erfüllter Nominierungskriterien nicht mehr bei den Bootsbildungen zu berücksichtigen.“
Der deutsche Ruderverband steht vor einem wirklich schwierigen Umbruch und Jahr. Deutschland gehörte mit Blick auf olympische Ruderregatten in der Vergangenheit nicht nur zu den heißen Titelkandidaten, sondern ist die „mit Abstand erfolgreichste Nation“. Das hat der Deutsche Ruderverband im Internet entsprechend dokumentiert und vermutlich einen entsprechenden Anspruch an sich selbst. Diesem Anspruch werden die deutschen Ruderer zuletzt jedoch immer seltener gerecht, was zu Kritik aus den Reihen der Athleten geführt hat. Einer der größten Kritiker aus den eigenen Reihen ist Oliver Zeidler – der im vergangenen Jahr die einzige Goldmedaille holte. „Die Tatsache, dass wir gerade wenig gewinnen, lässt sich nicht wegdeuteln. Da sehen wir nicht gut aus. Auch bei den Platzierungen“, so Tschäge. Doch Zeidler greift ihrer Ansicht nach mit seiner „Pauschalkritik“ an der Führungsschwäche der Verbandsoberen zu kurz. „Man muss sich jeden Bereich, jede Disziplin genau angucken“, so Tschäge. Sie verweist etwa darauf, dass er als „Einerfahrer“ sehr viel flexibler sei und sein Training einfacher organisieren könne, weil er sich nicht wie der Achter im Team organisieren müsse. Dass sich der Verband „kritisch hinterfragen“ müsse, sei nach den jüngsten Ergebnissen jedoch völlig richtig.
Als ehemalige U19-Bundestrainerin kennt sich die gebürtige Duisburgerin Tschäge im Rudern aus. Mit der Ausbildung von Silbermedaillen-Gewinner Laurits Follert (Achter) und der Ersatzfrau Michaela Staelberg (Doppelvierer) beim Crefelder Ruder-Club sowie der Silbermedaillen-Gewinner Jonathan Rommelmann und Jason Osborne (Leichtgewichts-Doppelzweier) hat sie bei den Spielen in Tokio 2021 zudem bewiesen, dass sie Talente zum Erfolg führen kann. Nicht zuletzt deshalb wurde sie 2021 zur DOSB-Trainerin des Jahres gekürt.
Die sportliche Talfahrt hat ihrer Ansicht nach viele Gründe und lasse sich nicht allein an Verantwortlichen im Verband oder Athleten festmachen. Corona sei in der jüngeren Vergangenheit einer davon, doch das Problem sitze tiefer. Was beispielsweise die Sportförderung betrifft, sieht Tschäge andere Nationen deutlich im Vorteil.
Auch deshalb ist sie jetzt nun die neue starke Frau beim Deutschland-Achter – Tschäge kennt sich aus. In vielen Bereichen des Ruderns. Die einstige Ruder-Supermacht steht am Scheideweg. Ausgang offen.