Wer Bürgergeld bezieht, arbeitet nicht mehr, so ein gängiges Vorurteil. Nach neuesten Forschungen hat sich die Arbeitsaufnahme von Langzeitarbeitslosen aber tatsächlich etwas verlangsamt. Jetzt schon nach Sanktionen zu rufen, könnte jedoch verfrüht sein.
Geld bekommen fürs Zuhause-Bleiben – so stellt sich mancher einen Bürgergeldempfänger vor. So einfach aber ist es nicht. Neueste Forschungen zeigen: Am „faulen“ Bürgergeldempfänger ist in der Pauschalität der Aussage nichts dran. Und doch hat das Bürgergeld eine Kehrseite. Denn laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das der Bundesagentur für Arbeit angegliedert ist, hat sich die sogenannte Arbeitsaufnahme von Langzeitarbeitslosen verringert – eine erste belastbare Studie zu einem Vorwurf, der bislang kaum untersucht worden war.
Lange schon hält sich die Kritik am Bürgergeld vor allem seitens der CDU/CSU, es sei zu hoch, es gäbe zu wenige Sanktionen, allgemein würde sich durch ein hohes Bürgergeld die Arbeitsmotivation der Deutschen verringern. Vor allem die Union, aber auch die Regierungspartei FDP kritisieren immer wieder, dass das aktuelle System zu wenig Anreize für Leistungsempfänger setze, eine Arbeit aufzunehmen. Im März hatte die CDU ein eigenes Konzept für eine „Neue Grundsicherung“ vorgestellt, mit dem sie im Falle eines Siegs bei den Bundestagswahlen im kommenden Jahr das Bürgergeld in seiner jetzigen Form ablösen will. Das System, das der CDU vorschwebt, sieht unter anderem schnellere Sanktionen für „Totalverweigerer“ vor. Auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) machte erst kürzlich deutlich, dass er eine Überarbeitung des Bürgergelds für angezeigt halte. Es brauche ein „Update“, erklärte Lindner.
Langzeitarbeitslose in Arbeit bringen
Diese Kritikpunkte greifen dort an, wo die vorherigen Hartz-IV-Regelungen gelockert wurden. So dürfen Bürgergeldbezieher nun mehr eigenes Vermögen behalten, der Staat übernimmt im ersten Jahr die Wohnkosten. Außerdem wurden die Regelsätze angehoben und die Sanktionen deutlich abgeschwächt.
Rund 5,5 Millionen Menschen in Deutschland erhalten laut Statistik Bürgergeld, davon gelten knapp vier Millionen als erwerbsfähig. Dabei gelten Langzeitarbeitslose, also Menschen, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind, als eines der größten Probleme auf dem Arbeitsmarkt – denn wie kommen sie wieder in einen Job? Oftmals handelt es sich dabei um ältere Menschen oder Arbeitnehmer mit veralteten Qualifikationen. Wie viele Langzeitarbeitslose Bürgergeld beziehen, geht aus den Zahlen nicht hervor, es dürfte sich jedoch um einen großen Anteil der erwerbsfähigen vier Millionen Menschen handeln. Nach Corona war die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland noch einmal um 200.000 Menschen gestiegen, eine Folge der Pandemie und ihrer Auswirkungen. Um diese wieder in Arbeit zu bringen, sehen die Bürgergeldregelungen verschiedene Maßnahmen vor, darunter Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, sogar mit finanziellen Erfolgsprämien als Anreiz, sowie Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber, die Langzeitarbeitslose einstellen. Diese kosten den Steuerzahler geschätzt rund eine Milliarde Euro, im Bundeshaushalt 2023 sind 43 Milliarden für Bürgergeld und Wohngeld veranschlagt.
Im Fokus steht also die Qualifizierung der Langzeitarbeitslosen und nicht mehr, wie zuvor, die direkte Vermittlung in einen Job auf Biegen und Brechen, um der Realität vieler Menschen gerechter zu begegnen. Doch seit Einführung des Bürgergeldes haben laut einer Studie des Arbeitsmarkt- und Berufsforschungsinstitutes IAB 30.000 Menschen weniger einen Job aufgenommen als zuvor. Dies sei aber nicht alleine auf ein höheres Bürgergeld zurückzuführen, denn der Arbeitsmarkt insgesamt sei wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage deutlich weniger bereit, Menschen aufzunehmen, sagte der IAB-Forscher Enzo Weber, einer der Autoren der Studie. Darüber hatte die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet. Spürbare Effekte hätten auch bereits das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen bei der damaligen Hartz-IV-Regelung sowie das vorübergehende Aussetzen der Sanktionen im Zuge der Bürgergeld-Reform gehabt.
Die Langzeitarbeitslosigkeit ist derzeit eines der großen Probleme des deutschen Arbeitsmarktes, neben der Qualifizierung von Ungelernten. Obwohl eine große Zahl von offenen Stellen zur Verfügung steht und viele Unternehmen über einen Mangel an Arbeitskräften klagen, sind auf der anderen Seite fast eine Million Menschen länger als ein Jahr ohne Job und gelten damit als langzeitarbeitslos. Viele von ihnen sind bereits älter, häufig ist auch die schlechte oder nicht mehr zeitgemäße Qualifikation ein Hindernis für die Aufnahme einer Arbeit. Die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, hatte zuletzt von Verfestigungstendenzen in diesem Bereich der Arbeitslosigkeit gesprochen.
Qualifizierung statt simple Vermittlung
Laut wissenschaftlichen Studien erhöhen Sanktionen für Empfänger von Arbeitslosengeld II, heute Bürgergeld, effektiv die Arbeitsaufnahme. Und Sanktionen werden auch jetzt noch ausgesprochen. Das geht aus einer aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit hervor. Wie die Bundesagentur (BA) auf ihrer Webseite mitteilt, gab es zwischen Februar und Dezember 2023 insgesamt 15.774 Fälle, in denen Leistungen wegen der Weigerung zur „Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses“ gekürzt wurden. Für Januar wurden die Fälle noch nicht differenziert aufgeführt. Insgesamt zählten die Jobcenter im vergangenen Jahr mehr als 226.000 Fälle von Leistungskürzungen – das entspricht einem Anstieg von 77.520 Fällen gegenüber dem Vorjahr; ein Anstieg, aber auf niedrigem Niveau, wie die BA mitteilte. Die meisten Kürzungen (84,5 Prozent) erfolgten demnach, weil Leistungsbezieher ohne Angabe eines wichtigen Grundes nicht zu Terminen erschienen waren.
Weber betonte, es bedürfe beim Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit des richtigen Maßes. Wenn Sanktionen ausgesprochen werden, dann sollten sie eher über längere Zeiträume verhängt werden, statt sie überhart zu beschließen. Häufig würden die angedrohten Sanktionen aber auch Menschen zwingen, in Jobs zu arbeiten, für die sie kaum oder gar nicht qualifiziert sind. Es mache auch keinen Sinn, einen Widerspruch von Vermittlung und Weiterbildung aufkommen zu lassen. „Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen, erfordert einen langen Atem“, sagte Weber.
Zwar ist die Zahl der Arbeitsaufnamen laut IAB-Studie gesunken, doch gerade die wirtschaftliche Krise scheint diese Zahl zu verzerren. Schon jetzt nach einer Rückkehr zu einem drastischen Sanktionsregime zu rufen, könnte also vorschnell sein.