Dass die Designer ausgerechnet Schwarz als Trendfarbe für ihre Kollektionen ausgewählt haben, ist nur eine von vielen Überraschungen der aktuellen Saison. Auch der Grunge-Look feiert in diesem Sommer eine fröhliche Wiederauferstehung.
Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass die emanzipierten Frauen des 21. Jahrhunderts nicht mehr versuchen würden, jeden Trend mitzumachen. Beim Thema Barbiecore, einer der am meisten gehypten Styling-Vorgaben des vergangenen Jahres, scheint das aber offenkundig nicht der Fall gewesen zu sein. Sowohl Millennials als auch die jungen Frauen der Generation Z haben sich von den Looks der legendären Mattel-Puppe inspirieren lassen. Aber auch Frauen anderer Altersklassen waren nicht davor zurückgeschreckt, sich in körperbetont knallenge Klamotten in grellem Pinkton zu hüllen. Mit Blick auf die Sommersaison 2023, bei der der schnelllebige, vor allem vom Label Valentino und dessen Chefdesigner Pierpaolo Piccioli gepushte Barbiecore keine Rolle mehr spielt, distanzieren sich genau jene Medien von diesem Mode-Irrtum, die ihn noch vor einigen Monaten als Ausdruck des selbstbewussten Umgangs mit der eigenen weiblichen Sexualität und als tolle Uniform für die Partylaune der Post-Corona-Zeit gefeiert hatten. Dessen Protagonistinnen Megan Fox, Anne Hathaway, Zendaya, Florence Pugh oder Kim Kardashian haben sich längst anderen Trends zugewendet.
Umgang mit der eigenen weiblichen Sexualität
Die „Welt“ interpretierte den kurzen Siegeszug des Barbiecore-Trends als „so etwas wie die Antithese zum Schlabber-Look der Lockdownzeit“. Barbiecore sei das modische Aufbegehren gegen die sich seit den 2010er-Jahren breitmachende „neue Sachlichkeit, die sich im lang anhaltenden Trend um Oversize-Kreationen und züchtige Kleidung wie dem Faltenrock und der Schluppenbluse“ ausgedrückt habe. In diesem Rahmen soll die Farbe Schwarz sogar zum modischen Symbol der #metoo-Bewegung aufgestiegen sein. Von daher ist es wenig überraschend, dass Schwarz neben dem leuchtenden Kobaltblau wohl die ungewöhnlichste Farbe der aktuellen Sommersaison ist. Mindestens genauso verblüffend ist, dass plötzlich wieder jene Sachlichkeit und ein vermeintlich neuer Minimalismus von Fashion-Meinungsmachern à la „Glamour“ oder „Harper’s Bazaar“ und den sozialen Medien bejubelt wird – ausgelöst durch den Auftritt der Ikone Kate Moss auf dem Catwalk von Bottega Veneta.
Das Starmodel stolzierte in schlichten Baggy-Hosen aus vermeintlich bravem Denim mit einem Karohemd über einem weißen Tanktop über den Laufsteg. Nur die „Vogue“ klärte ihre Leserinnen und Leser darüber auf, dass sowohl die Hose als auch das Shirt aus hauchdünnem Leder gearbeitet waren und das Karohemd einen aufwendigen Zwölf-Schichten-Druck aufwies. „Harper’s Bazaar“ hatte dennoch vorschnell den Schluss gezogen, dass es „2023 in der Mode wieder ruhiger“ zugehen werde. Dazu würde das lange sehnsüchtig erwartete Comeback von Phoebe Philo perfekt passen, die Anfang Februar via Instagram den Start ihrer eigenen Marke für den September 2023 und die Fertigstellung ihrer hauseigenen Webseite schon für den Juli 2023 angekündigt hatte. Dennoch kann von ruhigen Fashion-Gewässern in der Sommersaison keinesfalls die Rede sein, wie aus dem Überblick über die wichtigsten Trends ersichtlich werden dürfte. Hier gibt es zwei Pole: einerseits eine Konzentration auf reduzierte Eleganz und die Basic-Garderobe, andererseits eine Explosion von Farben, Glamour und Spaß bis hin zu Maximalismus.
Überblick über die wichtigsten Trends
Neben Cargohosen zeichnet sich ein Comeback der Low-Waist-Hosen (Givenchy oder Proenza Schouler), Flanellhemden (Bottega Veneta), Holzfäller-Pullover (Max Mara), der Tube-Tops und -Kleider (Khaite und Prada), von punkigem Tüll (Simone Rocha) oder von Disstressed Denim (Balenciaga) ab. Auch der ganz bewusste Undone-Effekt, der sich vor allem in asymmetrischen Säumen oder gebrochenen Kanten visualisiert, passt hervorragend zum grungigen Look.
Cargo-Pockets: Da Grunge diese Saison in der Y2K-Revival-Variante wieder angesagt ist, sind Cargohosen mit ihren riesigen, aufgesetzten Blasebalg-Taschen in vielen Kollektionen zu finden. Dabei gibt es die XL-Pockets nicht nur als dekorative Hosenzierde, sondern sie tauchen nun auch auf Röcken (bei Miu Miu oder Louis Vuitton), Kleidern oder sogar Mänteln (Marine Serre) auf.
Black- und Goth-Style: Schwarz ist inmitten der Sommermode-Landschaft schon ein ziemlich ungewöhnlicher Farbton. „Harper’s Bazaar“ hatte ganze 4.000 schwarze Looks auf den Catwalks gezählt. Schwarz war daher auf vielen Laufstegen von Chloé über Dior bis hin zu Valentino zu sehen – bei Letzterem allerdings in einer etwas helleren Variante, wobei Häkelkunst und Strick dem Look eine unerwartete Weichheit verleihen konnten. Somit war der Übergang zu Gothic 2.0 mit reichlich Transparenz, Rüschen, Volants oder Lackleder und einer gewissen Grunge-Ästhetik gleichsam fließend (Paco Rabanne, Dior oder Dolce & Gabbana).
Kobaltblau: Fuchsia, die Farbe des Jahres 2022, wird diesen Sommer von einem leuchtenden Kobaltblau abgelöst, auf das Marken wie David Koma oder Richard Quinn besonders fixiert sind. Als Alternative zu Fuchsia gibt es diesen Sommer übrigens eine Art Zuckerwatten-Pinkton (Victoria Beckham oder Nensi Dojaka). Auch Babyblau sollten Modefans im Blick behalten, der Farbton ist ein Favorit von Prada, Burberry oder Emporio Armani.
Transparenz: Schon witzig, dass die Designer sich in jeder Saison mit der Präsentation von Boudoir-Klamotten zu übertreffen versuchen. Kaum eine Frau wird es tatsächlich wollen, ihren Slip oder ihren BH durch die feinsten Stoffe hindurch aufblitzen zu lassen. Das dürfte wahrscheinlich eher etwas für die Laufstege oder für den roten Teppich bleiben. Da mag die „Vogue“ die Transparenz noch so häufig als großen Trend anpreisen und tolle Fotos der Shows von Dior, Saint Laurent, Anthony Vaccarello, Nensi Dojaka oder Valentino präsentieren. Allenfalls Bralettes mögen – in Kombination mit Statement-Röcken –eine alltagstaugliche Variante zum Zeigen von nackter Haut sein, wie es die Models von Gucci oder auch Valentino vorgemacht haben. Auch bei den mit Strass-Steinen geschmückten Bodysuits von Stella McCartney oder Valentino wird dem Betrachtenden ein kaum verhüllter Anblick auf die intimen Körperzonen gewährt. Da könnte so manche Fashionista die körperformenden Mieder von Alexander McQueen oder die metallischen Brustpanzer von Gabriela Hearst bevorzugen.
Sommerstrick: Passend zum Durchblick-Trend auf nackte Haut oder Unterwäsche haben die Designer von Miu Miu über Prada bis hin zu Tory Burch hauchdünne, semitransparente SommerStrickwaren entworfen. Diese dürften sicherlich bald zu einem Renner in den sozialen Medien werden. Aber auch grob gewebter Strick im Crochet-Style bleibt weiter en vogue.
Gehäkeltes: Kunstvoll und luftig zugleich sind die Häkelwaren, die Dries Van Noten, Hermès oder Isabel Marant in ihr Sommersortiment für 2023 aufgenommen haben.
Trägerlose Schlauchkleider: Im Zuge der Rückbesinnung auf die 1990er-Jahre spielt das trägerlose Schlauchkleid fraglos eine der Hauptrollen, vor allem in Gestalt des Röhrenkleids. Am besten umgesetzt von Khaite oder The Row.
Maxi- und Midi-Kleider: Zwar sind die Micro-Minis nicht gänzlich aus den Kollektionen verschwunden, doch die Mehrzahl der Designer und Designerinnen hat sich diesen Sommer wieder für längere, alltagstauglichere Kleider- und Rock-Varianten entschieden. Während Miu Miu, Chanel oder Bottega Veneta auf Midi setzen, favorisieren Ralph Lauren oder Salvatore Ferragamo die Maxi-Variante.
Skinny-Hosen: Nachdem in den vergangenen Saisons der Hosenschnitt ständig gewechselt hatte – von Straight auf Wide Leg, von Wide Leg auf Baggy – sind nun wieder Skinny-Schnitte (bei Prada, Maximilian Davis oder Stella McCartney) an der Reihe. Hier sind die extrem schmalen Hosen einfach ganz gerade geschnitten. Sofern sie im Leggins-Style daherkommen, verfügen sie meist über einen leichten Schlag oder einen geschlitzten Saum. Aber Achtung: In Sachen Denim, sprich Jeans-Schnitt, ist Skinny noch nicht wieder auf dem Vormarsch.
Biker-Look bleibt auch in diesem Sommer aktuell
Hosenverzicht: Auf den Runways sorgten die Models bei Bottega Veneta, Victoria Beckham oder Coperni mit jeder Menge hosenloser Looks für reichlich Aufsehen. Ihre Beine waren nur von Strumpfhosen bedeckt. Im Alltag dürften sich eher wagemutige Frauen an dieses Outfit wagen, das selbst in Kombination mit Pullovern oder Blazern den Fokus stark auf die Beine setzt.
Reifröcke und Krinolinen: Kaum zu glauben, dass die für das Stützen und Aufbauschen der Damen-Oberbekleidung in früheren Jahrhunderten gebräuchlichen Unterwäscheteile von einigen Designern wiederentdeckt wurden. Sie haben sich Inspirationen bei den Farthingales aus dem 16. und 17. Jahrhundert oder den Krinolinen aus dem 19. Jahrhundert geholt. Wer also in ein Kostümdrama eintauchen möchte, sollte sich einfach die Kreationen von Dior, Richard Quinn, Rochas, Roksanda oder Christopher Kane genauer anschauen.
Biker-Jacken: Der Biker-Look bleibt ein sommerlicher Evergreen, wobei vor allem schwere Lederjacken das wesentliche Utensil bilden, das aktuell Versace, Gucci, Louis Vuitton oder Courrèges in ihrer Kollektion führen.
3D-Blumen: Blumen-Prints sind ein klassisches Sommermotiv. In dieser Saison haben einige Designer und Designerinnen jedoch mit skulpturartigen Blumen in 3D-Umsetzung einen neuen Deko-Tupfer setzen können. Bei Loewe war es eine einzige riesige Anthurie, bei Bottega Veneta war es ein futuristisches, ganze Kleider überziehendes Bouquet, bei Chanel gab es broschenähnliche Blüten zu bestaunen.
Herz-Motive: Wer sein Herz nicht nur auf der Zunge tragen möchte, kann das süße Motiv diesen Sommer auch auf Kleidern durch die Stadt führen. Marken wie Moschino, Victoria Beckham, Nensi Dojaka oder Acne Studios möchten offenbar das ganze Jahr über Valentinstag feiern lassen.
Sonntergang-Ombré: Statt des nach wie vor angesagten Color-Blocking mal ein sanfter Farbwechsel, wobei die Töne des natürlichen Sonnenuntergangs Pate gestanden haben. Der Übergang von Rot zu Orange, Gelb oder Weiß in Tie-Dye-Manier auf Röcken und Kleidern von JW Anderson, Etro oder Courrèges wirkt schon sehr bezaubernd.
Bubble Hems: Früher eigentlich bei jungen Mädchen beliebt, sollen die Bubble Hems nun auch erwachsene Frauen glücklich machen. Bei Bubble Hems handelt es sich im Wesentlichen um gebauscht-geraffte Säume an diversen Kleidungsstücken. Bei Khaite waren dafür Röcke und Kleider aus dickem, luxuriösem Satin gearbeitet. Auch Marken wie Prada, Proenza Schouler, Molly Goddard oder JW Anderson geben sich alle Mühe, Bubble Hems zu einem Trend zu machen.
Fransen XL: Auch diesen Sommer geht an diesem schmückenden Detail kein Weg vorbei. Es macht dabei den Eindruck, als ob die kreativen Köpfe von Michael Kors über Givenchy bis zu Versace die Fransen immer weiter in die Länge ziehen.
Ballerinas und Wedges sind stark im Kommen
Pailletten-Glitter: Nicht nur für die Sommerparty haben die Label mit allerlei Glamour-Klamotten Vorsorge getroffen. Hier haben natürlich die Pailletten als schimmerndes Detail weiterhin die Nase vorn und werden besonders von Valentino, No. 21 oder Miu Miu ins rechte Licht gerückt.
Heavy Metals: Flüssiges Gold kann auch diesen Sommer auf Lamé-Stoffen die Abendgarderobe leuchten lassen (Chanel, Gucci oder Michael Kors). Silber wird ihm als Konkurrent diese Saison jedoch etwas den Rang ablaufen. Paco Rabanne und Giorgio Armani sind die Topadressen für den Silber-Trend, nicht zu vergessen Givenchys Party-Dress.
Accessoires: Den Anfang sollen die Handschuhe machen, bei denen im Sommer natürlich nur die Opern-Handschuhe eine Rolle spielen, die endlich ihr Exoten-Image abgelegt haben. Neben den klassischen Mesh- oder Spitzen-Exemplaren gibt es inzwischen kristallverzierte Modelle oder solche aus luxuriösem Jacquard (bei Simone Rocha). Auch Hüte haben ihr jahrelanges Schattendasein diesen Sommer abgelegt und sind in XXL-Krempen-Varianten wie bei Max Mara, Jacquemus, Moschino oder Emporio Armani auf die Laufstege zurückgekehrt. Wem das zu schattig sein sollte, kann weiterhin auf die angesagten Bucket-Hats von Etro, Alberta Ferretti oder Carolina Herrera zurückgreifen. Bei den Handtaschen hält der Trend zu Riesen-Exemplaren an, Totes von nahezu unpraktikabler Größe führen Chloé, Bottega Veneta oder Bally in ihrem aktuellen Sortiment. Auch die inzwischen in Hüfttasche umbenannte Gürteltasche bleibt in, wobei Prada die coolste Version gelungen sein dürfte. Interessant neben jeder Menge Metallic-Bags, Crochet-Modellen, Clutches, Schultertaschen und Halfmoon-Styles sind auch die sogenannten Matching-Taschen, die als Co-Orts aus dem gleichen Material und mit derselben Musterung wie die genau darauf abgestimmte Kleidung gehalten sind. Woraus ein fabelhafter Look entsteht, zu bestaunen bei Chanel, Giorgio Armani oder Valentino.
Bei den Schuhen ist die Prognose angesichts der Masse an Modellen schon schwieriger. Auf jeden Fall sind Ballerinas stark im Kommen, Miu Miu hat mit seinen Satin-Exemplaren bereits einen Instagram-Hit landen können. Auch Wedges, Mary Janes, chunky Loafers, Fisherman-Sandalen, Block-Heel-Slingbacks oder Cowboystiefel bleiben sommerliche Evergreens. Stiefel tauchen vermehrt mit pointiert spitzem Zuschnitt auf. Hinter dem neuen Namen Flatforms verbergen sich Schuhe mit einem durchgehend flachen Plateau. Die Flip-Flops erhalten ein Update Richtung Thong-Sandalen durch das Hinzufügen eines größeren Riemens. Und aus der Kinderabteilung haben es die aus Gummi und Plastik gearbeiteten früheren Jelly Shoes als angesagte Plastiksandalen ins Erwachsenenalter geschafft. Alternativ können Frauen aber auch in Schuhe aus Mesh oder Netz schlüpfen, wobei die Beigabe eines Söckchen nie verkehrt sein dürfte.