Mit Rudy Raab präsentiert Lichtenberg 47 eine ungewöhnliche Lösung für das Traineramt – die gerade deshalb aber zum abstiegsgefährdeten Regionalligisten passt.
Es gibt Dinge, die hat der neue Coach von Lichtenberg 47 sicher nicht vermisst. „An einem Dienstagabend bei Schneeregen auf dem Trainingsplatz zu stehen und die Einheit durchzuziehen, obwohl die geplanten Übungen wegen dreier kurzfristiger Spielerabsagen praktisch nicht durchführbar sind – das ist schon hart“, gibt Rudy Raab zu. Der 40-Jährige hat, das sei erwähnt, mehrere Jahre in Südamerika verbracht und spätestens dort zu schätzen gelernt, dass es dort quasi keinen Winter gab. Doch wieder zurück in der Hauptstadt, hat er nun das Traineramt beim abstiegsgefährdeten Regionalligisten übernommen – acht Jahre, nachdem er beim SV Empor (Berlin-Liga) aufgehört hatte, um etwas Neues kennenzulernen. Raab stellte dabei schon als Teenager fest, dass er ein Faible für Systeme und Taktiken, aber vor allem auch die Ausbildung von heranwachsenden Sportlern besitzt. Begonnen hatte er selbst mit dem Fußballspielen 1989 in seinem Heimatbezirk Marzahn, bei der BSG Berliner Werkzeugmaschinenfabrik – kurz BWF. Dem Verein blieb der Heranwachsende auch noch treu, als er in der Nachwendezeit den Namen erst in Marzahner SV und schließlich FC Nordost änderte.
B-Lizenz parallel zum Abitur
„Ich habe schon ganz gut gekickt“, erklärt Raab, „aber auch nicht profiverdächtig – daher habe ich parallel zum Spielen schon begonnen, Teams zu trainieren.“ Früh fing er so bereits an, auch die entsprechenden Qualifikationen zu absolvieren – die B-Lizenz parallel zum Abitur, dann Elite-Jugendlizenz: „Als ich mit 23 Jahren meinen nächsten Schein erfolgreich gemacht habe, war ich damals sogar der jüngste Trainer, der in Deutschland die A-Lizenz besessen hat.“ Das Lehramtsstudium mit den Fächern Sport und Geschichte passte dazu gut in den Kontext. „Ich bekam dann sogar ein Angebot vom 1. FC Union für den Nachwuchsbereich, hatte aber dem SV Empor bereits zugesagt – und bin mit dessen B-Jugend gleich aufgestiegen.“ Auch seine Tätigkeit als DFB-Stützpunktcoach ab 2007 in Köpenick sowie als Assistent in der Trainerausbildung beim Berliner Fußball-Verband forderte zeitlich weiteren Tribut – und als die Männer des SV Empor in akute Abstiegsgefahr gerieten, konnte er ebenfalls nicht Nein sagen. Immerhin wieder mit Erfolg.
Der Klassenerhalt gelang dank einer längeren Serie, die die „Fußball-Woche“ damals titeln ließ: „Wer schlägt den Raab?“ Dann kehrte der Trainer zu den A-Junioren zurück und fand in der Folge den Weg zur U17 des 1. FC Union, mit der ihm der Bundesligaaufstieg gelang. „Leider ging es aber nach einer Saison gleich wieder runter“ – Zeit für eine Zäsur. „Ich wollte mich mehr auf das Referendariat und den Studienabschluss konzentrieren.“ Dennoch erklärte sich „Rudy Rastlos“ bereit, auch wieder Empors Männerteam zu betreuen – um die Last zu teilen, suchte und fand er in Nils Kohlschmidt einen gleichberechtigten Kollegen. Im Jahr 2015 bestand Raab dann das Staatsexamen mit der Note 1,0 – Gelegenheit, einmal Abstand zu gewinnen: „Wenn man erst mal im Fußballbetrieb drin ist, kann der schnell auch sehr vereinnahmend werden“, stellte er fest – so trieb ihn das Fernweh zu einem Ortswechsel. „Südamerika und speziell Kolumbien war immer schon ein Sehnsuchtsort für mich – und da ich gute Kontakte über die Verbände besaß, konnte ich dort eine Stelle als Ausbilder für jugendliche Fußballer und Trainer erhalten.“
So schlug Raab ein ganz neues Kapitel auf, das ihn letztlich mehrere Jahre in Medellín sesshaft werden ließ. „Das muss man sich jetzt aber nicht so wie in einer ‚Netflix‘-Serie vorstellen – tatsächlich bin ich dort persönlich nie in irgendeine bedrohliche Situation geraten.“ Nur einmal, während eines Seminars im Nachbarland Ecuador, kam es dort zu sozialen Unruhen und durch die verhängte Ausgangssperre mussten die Teilnehmer in der Fußballschule übernachten. „Da bekommt man dann doch recht unmittelbar vor Augen geführt, wie sehr viele Menschen dort in existenzieller Notlage leben müssen – und wie viel mehr der Fußball eben auch als Hoffnung auf ein besseres Leben angesehen wird.“ Als er dann auch wegen seines ins Seniorenalter gekommenen Vaters wieder nach Berlin zurückkehrte, war er schnell wieder in der Trainerausbildung aktiv. In diesem Zusammenhang kam er auch mit Benjamin Plötz, dem sportlichen Leiter von Lichtenberg 47, in Kontakt. Kurz darauf suchte der einen Nachfolger für Murat Tik und bekam etwa 40 Bewerbungen auf den Tisch – fragte aber auch bei Rudy Raab an.
Der Blick geht auch in die 3. Liga
Der passt gut zu dem ungewöhnlichen Regionalligisten, wo mit bescheidenen Mitteln und viel Gemeinschaftssinn Jahr für Jahr versucht wird, das Unmögliche aufrechtzuerhalten. Der Trainer verfügt gerade bis zum Sommer über die nötige Zeit und passt auch finanziell in den Rahmen („Eine kleine Wohnung reicht mir, und ein Auto brauche ich nicht“) – so kommt die Zusammenarbeit zustande. Zur Seite stehen ihm dabei Teammanager Jonas Schmidt und der derzeit verletzte Kapitän David Hollwitz, die beide über „Stallgeruch“ verfügen, sowie Assistenztrainer Kevin Hetzel. Der neue Coach sieht dabei schnell gute Ansätze, aber auch nur einen Punkt gegen Mitkonkurrent FSV Luckenwalde – sowohl nach dem Spielverlauf als auch tabellarisch eigentlich zu wenig. Aber, und das ist auch wichtig in dieser Situation, die Körpersprache ist wieder da in Lichtenberg. Zum Klassenerhalt gehört dabei ebenso der Blick in die 3. Liga, aus der noch Nordost-Vereine herunterkommen könnten, wie auch der auf die Qualifikation zum Aufstieg, in der es für den Staffelmeister um den Aufstieg gegen den Sieger der Regionalliga Bayern geht – beides Faktoren, die am Ende noch Einfluss auf die Zahl der Absteiger haben. Für Rudy Raab ist die Aufgabe in Lichtenberg dabei zunächst auf drei Monate begrenzt – sollte es Interesse seitens des Vereins an einer weiteren Zusammenarbeit geben, könnte der Trainer in ein Dilemma mit einer Anstellung beim BFV geraten. „Darüber mache ich mir aber noch keine Gedanken – ich entscheide sowieso meist kurzfristig und aus dem Bauch heraus.“ Dadurch ist es perspektivisch auch möglich, dass er einmal nach Südamerika zurückkehrt – dorthin, wo es einfach wärmer ist als in Deutschland.