Kriminelle Umgebung, Diskrepanz klassischer Geschlechterrollen und der Konflikt zwischen individuellen Idealen und dem System – der Günter Rohrbach Filmpreis begeisterte auch dieses Jahr mit tiefgründigen Themen. Der Gewinner des Abends ist „Sonne und Beton“.
Wir befinden uns im Hitzesommer 2003. Die Sonne brennt gnadenlos auf eine Siedlung aus Betonhochhäusern im Berliner Stadtteil Neukölln und auf vier 14-jährige Jungs, die sich entschlossen haben, in den Park zu gehen, um Drogen zu besorgen. In der Welt von Lukas, Gino, Julius und Sanchez gibt es nur zwei Optionen: Gangster oder Opfer. Diese Jungs gehören eindeutig zur zweiten Gruppe. Sie haben weder genug Geld für einen Ausflug ins Schwimmbad, noch Glück in der Liebe oder ein liebevolles Zuhause. Und so ist nur eine Frage der Zeit, bis sie mit gefährlichen Dealern in Konflikt geraten. Genau das passiert auch, als die Freunde den Park erreichen. Kaum angekommen werden sie in eine blutige Schlägerei verwickelt, bei der Lukas im Gesicht verletzt wird. Obendrein muss er seinen Peinigern noch 500 Euro Schutzgeld bis zum nächsten Tag liefern. Wie soll er das meistern und an das Geld kommen? Sein Kumpel Sanchez hat einen Plan: In die Schule einbrechen und die neu gespendeten Computer stehlen, um sie anschließend zu verkaufen. Damit könnten ihre Geldsorgen erledigt sein. Doch das Vorhaben läuft nicht ganz wie geplant.
Packend und authentisch
Der Hauptpreisträger des 13. Günter Rohrbach Filmpreises „Sonne und Beton“ klingt zunächst nach einer lustigen Coming-of-Age-Komödie. „Ist es aber nicht ganz“, stellte Michael Bully Herbig, Laudator und diesjähriger Jury-Vorsitzender den Gewinner vor. „Tatsächlich ist es ein unglaublich glaubwürdiges Drama zwischen Kopfschütteln, Schmunzeln und Rührung.“ Es ist ein lauter, schneller, bunter Film, der einen kompromisslosen Blick auf den harten Alltag der Jugendlichen wirft, in dem Brutalität allgegenwärtig sein kann. „Der Film entwirft mit seinem Tempo und mit seinem Rhythmus ein packendes und authentisches Gesellschaftspanorama voller Spannung. Er zeigt zerrüttete Familien mit brüllenden Männern und hilflosen Frauen, Jugendlichen zwischen Wut und Verletzlichkeit. Hier scheinen alle überfordert, die Alten noch mehr als die Jungen“, begründet Herbig die Entscheidung der Jury.
Diese beklemmende Hilfslosigkeit wird in „Sonne und Beton“ auf eindrucksvolle Art und Weise zum Ausdruck gebracht, was nicht zuletzt daran liegt, dass der Film auf dem gleichnamigen autobiografisch inspirierten Roman von Felix Lobrecht basiert. Um den Stoff möglichst realistisch und authentisch umzusetzen, entschieden sich die Filmemacher für Dreharbeiten an Originalschauplätzen im Bezirk Neukölln. Darüber hinaus führten sie eine umfangreiche Casting-Phase durch, um die passenden Darsteller zu finden. Über 5.000 Jugendliche bewarben sich entweder selbst oder wurden von Streetcastern entdeckt und anschließend mehreren Runden des Castings unterzogen. Am Ende setzten sich Vincent Wiemer (Julius), Rafael Klein-Heßling (Gino), Aaron Maldonado-Morales (Sanchez) und Levy Rico Arcos (Lukas) durch. Besonders beeindruckend war das Filmdebüt von Levy Rico Arcos. Seine schauspielerische Leistung wurde zusätzlich mit dem Preis des Saarländischen Rundfunks ausgezeichnet. Obwohl es sein erstes Mal vor der Kamera war, konnte er sich mühelos in die Rolle des anfangs unsicheren Teenagers Lukas hineinversetzen. „Das haben wir unserem Regisseur David Wnendt zu verdanken, der den Film hauptsächlich in chronologischer Reihenfolge gedreht hat“, erzählte Arcios nach der Preisverleihung. Das half ihm dabei, sich allmählich an das Filmset zu gewöhnen und während der Dreharbeiten seine Figur eine aus Zuschauersicht beeindruckende Persönlichkeitsentwicklung durchlaufen zu lassen. Dass dies nicht nur gesehen, sondern sogar mit einem Preis ausgezeichnet wurde, freue den jungen Schauspieler ungemein. „Das ist schon ein tolles Gefühl und eine große Ehre hier zu sein.“
64 Filme wurden eingereicht
Als beste weibliche Darstellerin wurde Laura Tonke für ihre Rolle einer Ehefrau und Mutter in dem Film „Wann wird es endlich so, wie es nie war“ ausgezeichnet. „Sie lässt uns die Enge des damals noch ganz klassischen Hausfrauenalltags spüren, aus der sie sich innerlich an Sehnsuchtsorte eines früheren Lebens zurückbeamt“, heißt es in der Jurybegründung. „Laura Tonke spielt geschickt auf der Klaviatur der Emotionen und zeigt wie dicht Liebe und Hass, Humor und Verzweiflung, Lachen und Weinen beieinanderliegen können.“ Auch die Filmregisseurin Sonja Heiss durfte sich an diesem Abend über eine Auszeichnung freuen. Sie erhielt den Preis des Oberbürgermeisters für ihre erfolgreiche Filminterpretation des gleichnamigen Romans von Joachim Meyerhoff. Die Regisseurin hätte die Herausforderung angenommen – und mit Bravour bestanden. „Sie übersetzt die Episoden des Buchs geschickt in Szenen und Bildern, aus denen sich das Mosaik einer Kindheit und Jugend zusammensetzt. Sie erzählt vom Erwachsenwerden in einer ungewöhnlichen Welt. Und um die Frage, wie eine Familie weiterbestehen kann, die eigentlich nicht mehr funktioniert.“
Die Auszeichnung als bester männlicher Darsteller erhielt Matthias Brandt für seine Rolle als Verleger Helmut in Christian Petzolds Film „Roter Himmel“. So habe er seine Filmrolle punktgenau, souverän und ausdrucksstark ausgefüllt und ihr damit Glaubwürdigkeit und Kraft verliehen.
Der Preis der Saarland Medien GmbH ging an İlker Çatak und Johannes Duncker für ihr Drehbuch von „Das Lehrerzimmer.“ Die Geschichte um die Mathematiklehrerein Carla Nowak würde genau, differenziert, ambivalent und spannend daherkommen, betont die Jury. Der Stoff sei „ganz nah dran am richtigen Leben und bringt ein aktuelles, drängendes Thema auf die Leinwand. Es geht um Schule, um Bildung, um die Hierarchie im Schullalltag und den Umgang der Menschen miteinander.“
Insgesamt wurden dieses Jahr 64 Filme zum Wettbewerb eingereicht. Dabei handelte es sich ausschließlich um deutschsprachige Kino- und Fernsehfilme mit einer Mindestlaufzeit von 80 Minuten, die sich thematisch mit der Arbeitswelt und Gesellschaft auseinandersetzen.