Fünf Jahre nach dem Brexit kommen sich Insel und Kontinent wieder näher. Kein Wunder in schwierigen Zeiten, doch einen Wiedereintritt in die EU verweist der britische Botschafter Andrew Mitchell in den Bereich der Spekulationen.
Fünf Jahre ist es her, dass Großbritannien der EU den Rücken gekehrt hat. Der Brexit hat die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, allen voran die Wirtschaft, auf eine harte Probe gestellt. Dazu kamen die Corona-Krise, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, Inflation, Transformation und Wirtschaftsflaute und jetzt auch noch die Herausforderung namens Donald Trump in den USA. Inzwischen haben sich die Beteiligten geschüttelt, zusammengerauft, wohlwissend, dass Europa nur gemeinsam eine Zukunft haben kann. Und Brexit hin oder her, eine europäische Sicherheitsgarantie funktioniert, wenn überhaupt, nur mit den Briten; eine europäische Zusammenarbeit inklusive Großbritannien auf den Zukunftsfeldern Künstliche Intelligenz oder grüne Energieversorgung wäre wünschenswert als Gegengewicht zu Asien und den USA; ein Abbau der Hürden im Außenhandel zwischen der EU und dem Königreich notwendig, zumal drei große Volkswirtschaften in Europa schwächeln: die hohe Verschuldung Frankreichs samt politischer Krise, die Folgen des Brexits in Großbritannien und die anhaltende Rezession in Deutschland.
Positive Exportentwicklungen
Und es gibt berechtigte Hoffnung: Zwar verwies der neue britische Botschafter in Deutschland, Andrew Mitchell, einen möglichen Wiedereintritt der Briten in die EU ins Reich der Spekulationen, schließlich hat die britische Regierung mit Premierminister Keir Starmer eine Rückkehr ausgeschlossen, aber die Annäherungstendenzen sind nicht zu übersehen. In diesen Kontext fällt auch der Antrittsbesuch Mitchells Mitte Februar im Saarland. Neben der obligatorischen Visite in der Staatskanzlei des Saarlandes traf Andrew Mitchell gemeinsam mit dem britischen Generalkonsul Nick Russell Vertreter aus saarländischen Wirtschaftsunternehmen sowie aus Forschung und Wissenschaft in der IHK Saarland. Mitchell hat das neue Amt in Berlin im September vergangenen Jahres angetreten, nachdem er zuvor hochrangige Funktionen im britischen Außenministerium sowie im Ministerium für Wirtschaft und Handel innehatte und Botschafter in Schweden war. Schon vor über 30 Jahren lernte der Diplomat Deutsch während seiner ersten Amtszeit in Deutschland.
Trotz Abkehr von den Binnenmarktregeln hat sich das Handelsvolumen bei der Ein- und Ausfuhr von Waren zwischen Großbritannien und dem Saarland nach den Boomjahren vor dem Brexit jüngst wieder positiv entwickelt. Nach Angaben der IHK exportierten saarländische Firmen im vergangenen Jahr Produkte im Wert von rund 1,1 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich und machten die Insel nach Frankreich und den USA zum drittwichtigsten Handelspartner des Saarlandes. „Allerdings betreffen weit über 70 Prozent des Exportvolumens Autos und Autoteile“, sagt Geschäftsführer Oliver Groll von der IKH Saarland, zuständig für den Außenhandel. Das nahende Ende der Ford Focus-Produktion in Saarlouis sowie die kriselnde Automobilindustrie samt Zulieferer sind das große Fragezeichen bei der künftigen Entwicklung des Außenhandels mit Großbritannien. Das Rekordjahr 2015 mit Ausfuhren im Wert von rund 2,7 Milliarden Euro dürfte wohl auf lange Sicht eine Ausnahme bleiben. Positiv zu Buche schlagen zudem der Export von Kakao-Produkten mit 6,7 Prozent und pharmazeutische Artikel mit 4,9 Prozent.

Luft nach oben und mehr Diversifikation sehen auf jeden Fall die Wirtschaftsvertreter wie Geschäftsführer Alain Neumann aus dem zukunftsträchtigen Bereich der Nanotechnologie. Sein Unternehmen Nano4You hat sich das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben, konnte bereits während der Corona-Pandemie das Geschäft im Vereinigten Königreich deutlich ausweiten und arbeitet bereits mit vier britischen Partnern intensiv zusammen. Auch die Hydac Electronic, die Vertriebspartnerschaften mit Großbritannien pflegt, konnte anfängliche Lieferkettenschwierigkeiten und bürokratische Hürden durch Direktbelieferungen der Kunden ausgleichen, wie Produktmanager Daniel Catalano erklärte. Mehr Bürokratie, mehr Grenzkontrollen, mehr Gesundheitsüberprüfungen – die Wirtschaft hat sich daran gewöhnt, auch wenn ohne Brexit vieles einfacher wäre. Nach Angaben von Oliver Schmitt, Vizepräsident der IHK Saarland, gibt es rund 40 saarländische Unternehmen, die in Großbritannien eine Niederlassung oder Vertretung haben, allerdings gibt es nach Angaben von Generalkonsul Russell zurzeit keine britische Firma im Saarland.
Deutsch-britische Kooperationen
Das soll sich aber ändern. Das Austauschvolumen verbessern, das Interesse britischer Betriebe am Saarland erhöhen und Kontakte anbahnen sind schließlich wesentliche Ziele des ersten Besuchs von Andrew Mitchell im Saarland. Übrigens, bei der Importquote von 220 Millionen Euro im vergangenen Jahr entfallen überraschenderweise sogar 12,6 Millionen Euro auf Käseprodukte aus Großbritannien für den saarländischen Markt.
Offen für deutsch-britische Kooperationen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz zeigt sich das DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz), eines der größten KI-Zentren weltweit. „Wir haben trotz Brexit die Kontakte nach Großbritannien nie abreißen lassen“, betont der wissenschaftliche Direktor Prof. Dr. Philipp Slusallek. Wie Zusammenarbeit bei Künstlicher Intelligenz aussehe, machen Deutschland und Frankreich mit Luxemburg vor. Es gebe derzeit über 600 Forschungsprojekte am DFKI, an denen auch Briten mitwirken würden. Und auch der Präsident der Universität des Saarlandes, Prof. Dr. Ludger Santen, sieht im Kräftebündeln in Europa, vor allem zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien, eine Symbolwirkung: „Wir müssen größer denken und nationale Interessen im KI-Bereich hintenanstellen.“
Andrew Mitchell sieht die Annäherung von Großbritannien und der EU auf einem guten Weg. Im Mai soll auf einem Gipfeltreffen ein Rahmenvertrag zwischen der EU und dem Vereinigen Königreich regeln, wie die Zusammenarbeit auf den Gebieten – allen voran der Sicherheit, neuer Technologien wie KI, Biochemie und der Erneuerbaren und CO2-freien Energien – aussehen soll. „Neue Ideen dürfen durchaus noch einfließen“, sagte der Botschafter und machte den saarländischen Vertretern aus Wirtschaft und Forschung Mut, sich mit Vorschlägen daran zu beteiligen. Denn Großbritannien gehöre nun einmal zu Europa, die europäische Sicherheit sei unteilbar und der gegenseitige Handel ein Vorteil für beide Seiten in Form von Fortschritt und Wohlstand. Eine Antwort, wie sie aus diplomatischem Munde kaum anders zu erwarten war.