Auf zahlreiche bekannte Labels schwappt eine Kontrollwelle zu. Wie ein mittelschwerer Tsunami schlägt sie ein und zeigt auf, wer wirklich nachhaltig arbeitet und welche Verantwortlichen lediglich Greenwashing betreiben. Zurück bleibt Raum für neue klimafreundliche Ansätze.
Um den Sustainability Gap, auf Deutsch Nachhaltigkeitslücke, großer Modehäuser zu messen, hat der „Business of Fashion Nachhaltigkeitsindex“ im Jahr 2021 nachgeprüft und neu bewertet, wie nachhaltig die Verantwortlichen tatsächlich arbeiten. Unter die Lupe kamen gleich 15 börsennotierte Modelabel, jeweils fünf aus den drei Hauptgruppen Sportbekleidung, High Street und Luxus – und das aus gutem Grund. Spätestens seit Corona die Modeindustrie traf und der Konsum abnahm, zeigte sich eine direkte Auswirkung mehr als deutlich: Slow Fashion stieg in der Nachfrage. Je mehr die Kunden auf ihre Ausgaben achteten, desto eher suchten sie nach nachhaltigen Angeboten, die lange in ihrem Kleiderschrank bleiben durften. Dieser Wandel betraf dabei nicht nur ältere Käufer. Auch die junge Generation zeigte sich willig, mehr Geld für nachhaltige Produkte auszugeben, die mit gutem Gewissen in den Einkaufskorb online wie offline wandern durften. Damit verzichteten sie bewusst auf das sogenannte Greenwashing, also den Versuch von Modefirmen, ihr umweltfreundliches Image durch Geldspenden an ökologische Projekte oder spezielle PR-Maßnahmen zu erkaufen. Wer wirklich nachhaltig sein wollte, der musste etwas bieten und das auf unterschiedlichen Ebenen. Grüne Labels mussten nicht nur auf die Verwendung klimafreundlicher Fasern und Farben achten, sondern auch auf den umweltgerechten Versand, die Herkunft, die Fertigung an sich und vieles mehr. Eine echte Mammutaufgabe – aber eine, die sich lohnt, denn die steigende Nachfrage zeigt mehr als deutlich: Der Modemarkt verändert sich. Wer dabei sein will, muss den Fokus auf Nachhaltigkeit legen und diesen offen und gewissenhaft verfolgen.
Nachfrage nach Slow Fashion steigt
Das Problem bisher: Wie kann der Verbraucher sichergehen, dass die gekauften Lieblingsstücke wirklich nachhaltig sind? Dank des neuen Nachhaltigkeitsindex gelingt dies tatsächlich. Beteiligt sind gleich zwölf bekannte internationale Gesichter der Modeindustrie. Diese bewerten die Unternehmen anhand unterschiedlich gewichteter Kriterien in sechs Hauptkategorien. Dazu zählen im Einzelnen die Transparenz hinsichtlich der messbaren Nachhaltigkeitsziele und der vollständig nachzuverfolgenden Lieferketten. Außerdem die Reduzierung des Wasserverbrauchs und der eingesetzten Chemikalien bei der Fertigung, um so die Wasserverschmutzung endgültig zu stoppen. Unternehmen müssen außerdem faire Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeitenden schaffen und damit den Schutz der Menschenrechte sicherstellen. Der gezielte Einsatz umweltfreundlicher Materialien aus nachwachsenden Ressourcen ist ein ebenso wichtiger Punkt wie die Abfallvermeidung. Letztere lässt sich erreichen, indem keine Einwegverpackungen mehr in den Handel gelangen, sondern alle Produkte in Mehrwegbehältern geliefert werden. Der letzte und zugleich wichtigste Punkt der Bewertungsskala ist die Reduzierung der Treibhausgase. Diese sollen bis zum Jahr 2030 um 45 Prozent sinken. Insgesamt enthielt der Index dabei mehr als 5.000 Datenpunkte, die durch 338 Metriken die Leistung der Unternehmen bei gleich 16 Sozial- und Umweltzielen messen konnten. Laut dem „The Business of Fashion“-Magazin (BoF) ist der Sinn des Sustainability Gaps folgender: „Der ‚BoF‘-Nachhaltigkeitsindex zielt darauf ab, einen transparenten und vertrauenswürdigen Maßstab zu schaffen, um klar definierte und messbare Fortschritte bei der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen in der Modebranche zu verfolgen.“ Dass dies nötig ist, beweisen die aktuellen Ergebnisse. Demnach liegt die durchschnittliche Bewertung der Unternehmen bei 36, gemessen an einer Höchstpunktzahl von 100. Hier ist also noch Luft nach oben. Das wissen auch die Index-Verantwortlichen: „Die Ergebnisse zeigen Anzeichen für ein positives Engagement, aber die Rhetorik der Modebranche ist den tatsächlichen Nachhaltigkeitsmaßnahmen weit voraus. Informationen zur Zielsetzung sind viel leichter verfügbar als Daten zur Messung oder konkrete Pläne für strategische Investitionen zur Erreichung dieser Ziele.“ Den besten Score erhielt Kering, eine Luxus-Modegruppe. Diese kam auf 49 Punkte und zeigte auch als Sieger deutlich: Hier ist noch Luft nach oben. Platz zwei belegte der Sportmodenhersteller Nike mit 47, dicht gefolgt vom Konkurrenten Puma mit 44 Punkten. Die Schlusslichter waren Under Armour mit lediglich 9 und Richemont mit 14 Punkten. Letzteres bildet ein Konglomerat aus Schweizer Luxuslabels, die Uhren, Schmuck und Bekleidung vertreiben. Bei einer Gruppe dieser Größe wären deutlich bessere Werte zu erwarten gewesen. Als Resultat der vorläufigen Bewertungen stand für „BoF“ fest: Die bisherigen Werte sollten sich stetig verbessern und regelmäßiger erfasst werden. Nur so lässt sich messen, ob die Versprechungen der großen Player auf dem Markt auch tatsächlich eine Umsetzung in der Realität erfahren.
Fortschritt verläuft langsamer als erhofft
Deshalb gab es im Mai 2022 die nächste Messung des Sustainability Gap. Dieses Mal mussten sich gleich 30 große Unternehmen der Prüfung stellen, darunter auch bekannte Label wie Burberry, LVMH und die H&M Group. Ausgewertet wurden etwa 200 Metriken, also weniger als im Jahr davor. Dabei erreichte der durchschnittliche Score noch schlechtere Werte. 28 von 100 Punkten durften sich die Unternehmen gutschreiben. Der Fortschritt in Sachen Nachhaltigkeit verläuft also langsamer als erhofft. Am besten schnitt Puma mit einem Score von 49 ab, neu in den Top Ten war auch Burberry mit 41 vertreten. Insgesamt bestand das Hauptproblem darin, dass viele Unternehmen sehr geringe bis gar keine Informationen über ihren Nachhaltigkeitsfortschritt teilen. Das macht eine Einordnung schwierig, besonders für den Konsumenten.
Ein Vergleich der aktuellsten Ergebnisse mit denen aus dem Vorjahr ist kaum möglich, da sich auf der einen Seite die Anzahl der geprüften Unternehmen verdoppelt hat und auf der anderen Seite die Metriken eingeschränkt wurden. Trotzdem lässt sich eines feststellen: Fast alle Unternehmen könnten mehr in Sachen Nachhaltigkeit leisten. Noch sind alle weit davon entfernt, die gesetzten Ziele auch nur ansatzweise in den nächsten Jahren zu erreichen. Dabei wird „BoF“ nicht müde, den Fortschritt und alle Rückschritte weiterhin genau im Auge zu behalten. Eine neue Prüfung ist deshalb auch für dieses Jahr fest geplant.