Die Bundestagswahl findet zwar erst in gut einem Jahr, am 28. September 2025 statt, doch die Suche nach den Kanzlerkandidaten oder -kandidatinnen ist längst im Gang.
Es war ein Schreckmoment für die grüne Führungsspitze in ihrer Parteizentrale am Platz vor dem Neuen Tor in Berlin-Mitte. Niemand bei den Grünen ahnte etwas, doch dann erklärte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Rande des Nato-Gipfels in Washington bei den Feierlichkeiten zum 75. Geburtstag des Militärbündnisses im US-Sender CNN, dass sie als Kanzlerkandidatin für ihre Partei im kommenden September nicht zur Verfügung stehen würde. Die Aufregung innerhalb der Grünen war groß, gerade weil die Parteiführung die Vorbereitungen für den kommenden Bundestagswahlkampf bereits auf die amtierende Außenministerin ausgerichtet hatte.
Kanzlerkandidat bei 14-Prozent-Umfragen?
Nun läuft alles auf Wirtschaftsminister Robert Habeck zu, der ganz offensichtlich auf die überraschende Absage seiner Parteifreundin und parteiinternen Konkurrentin nicht vorbereitet war und dann wieder mal ins Stottern kam. „Die Parteigremien müssen jetzt entscheiden“, so Habeck nach der Überraschungsmeldung aus dem fernen Washington. Die grünen Parteigremien fanden erstmal gar keine Worte auf die Absage, weder Grünen-Chefin Ricarda Lang noch ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour, der öffentlich in seiner Funktion immer ran muss, wenn es kritisch wird für die Grünen.
Wobei die Absage von Annalena Baerbock ein geschickter Schachzug war. Nach der Absage sind die Deutschen Medien an sie überhaupt nicht mehr rangekommen, immerhin hatte die 43-Jährige ihre Absage einem amerikanischen Nachrichtenkanal und nicht etwa den mitgereisten Kollegen der deutschen Fernsehsender erklärt.
Kanzlerkandidatin einer Partei zu werden, die derzeit in den Umfragen zwischen 12 und 16 Prozent liegt, ist nicht so wirklich verlockend, da kümmert sich Baerbock doch lieber um die Rettung der Welt. Sie selber formuliert das nicht ganz so, aber sieht doch ihre Position als Außenministerin als wichtiger an, als sich mit einer Kanzlerkandidatur herumzuschlagen.
Die überraschende Absage der Grünen hat auch bei dem einen Regierungspartner im Bund, den Sozialdemokraten, Wellen geschlagen. Es gab mal Zeiten, da waren Jobs wie Außenminister oder Bundeskanzler eine Garantie für die ersten fünf Plätze bei den Beliebtheitswerten innerhalb der Umfragen. Doch auch der Kanzler kann sich solcher Umfragewerte nicht erfreuen. Olaf Scholz gilt bereits als angeschlagen. Die SPD hat keinen Kanzlerbonus, ganz im Gegenteil.
Nun geht es auch bei den Sozialdemokraten darum, wer sie in den Bundestagswahlkampf am 28. September 2025 führt. Das Datum scheint noch in weiter Ferne zu sein, doch für die Wahlkampfmanager in den Parteien ist das zeitlich praktisch heute. Die Kampagnen müssen vorbereitet werden und in der heutigen Zeit heißt das nicht mehr, Wahlplakate drucken und ein paar Wahlkampfspots im Fernsehen schalten, sondern langfristige Strategien auf allen Ebenen, vor allem Social Media. Da sollte man schon wissen, für wen man da wirbt. Aber bei der SPD herrscht Ratlosigkeit. Im Kanzleramt ist man bemüht, Kanzler Scholz als den großen Macher darzustellen, in der SPD-Zentrale hält man sich dagegen diesbezüglich noch zurück. Auch hier spielen die Umfragewerte eine nicht ganz unwichtige Rolle, die Zweifel am Kanzler als Zugferd für einen möglichen Wahlerfolg aufkommen lassen.
Kanzlerkandidaten: Klarheit im November
Und: Bei der SPD gäbe es durchaus aussichtsreiche Wahlkampfkandidaten anstelle des Kanzlers, zumindest nach dem Stand aktueller Umfragen: Da ist zum einen Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der sich großer Beliebtheit erfreut und die Tabelle in den Umfragen anführt, was bislang noch keinem Verteidigungsminister in einer Bundesregierung gelungen ist. Dahinter kommt SPD-Co-Parteichef Lars Klingbeil, der im politischen Geschäft bei den Sozialdemokraten derzeitig genau das Richtige macht: Klingbeil versteht es, trotz seiner Körpergröße von 1,91 Meter immer im rechten Augenblick den Kopf einzuziehen. Die Sozialdemokraten entscheiden über den Kanzlerkandidaten im kommenden November auf ihrem Bundesparteitag.
Ähnlich wie bei der Union: Auch hier gibt es noch keine Entscheidung über die Kanzlerkandidatur. CDU-Chef Friedrich Merz ist aufgrund seiner Funktion eigentlich gesetzt, aber Anfang Juli gab es wieder das befürchtete Störfeuer aus München. CSU-Chef Markus Söder erklärte überraschend in einem Interview, dass auch er als Kanzlerkandidat bereitstehen würde. Doch nicht nur der bayerische Ministerpräsident könnte sich das vorstellen, auch der Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, sieht sich als möglichen Kanzlerkandidaten der Union. Doch selbstverständlich hält sich der Regierungschef aus Düsseldorf vornehm zurück.
Zwei Bundestagsparteien müssen sich dagegen überhaupt derzeit nicht mit solchen Überlegungen herumärgern: die FDP und die Linke. Die FDP kann froh sein, wenn sie im kommenden Bundestag überhaupt noch dabei ist. Die Europawahl wurde nun gerade mit 5,2 Prozent überstanden, die kommenden Landtagswahlen im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg hat die FDP schon mal abgeschrieben und auch für die Bundestagswahl in gut einem Jahr machen sich die Liberalen keine großen Illusionen. Einen Kanzlerkandidaten dürfte es auch da nicht brauchen, Christian Lindner als Spitzenkandidat reicht für die FDP.