Sportliche Höchstleistung und ausgelassene Party. Mit dieser Mischung begeistern die Radrennen im Berliner Velodrom Sportler und Zuschauer jedes Jahr. Auch Weltmeister Roger Kluge lässt sich davon anstecken.

In London, Kopenhagen, Gent, Rotterdam ist Roger Kluge diesen Winter bereits im Bahnoval gerast. Zuletzt in Bremen stand er mit seinem Partner Theo Reinhardt auf dem Podest, als Zweiter. Das heute beginnende Event in Berlin nimmt jedoch einen besonderen Platz in seinem Rennkalender ein. „Es ist meine Heimbahn. Da ist die Familie da und viele Freunde. Hier könnte ich jeden Abend viele Leute mit Handschlag begrüßen. Für mich ist das immer eine prickelnde Atmosphäre“, erzählt der in Ludwigsfelde lebende Profi voller Vorfreude. Mittlerweile kann er auf eine beeindruckende Karriere zurückblicken, die ihm in manch anderer Sportart neben Ruhm und Ehre wohl auch viel Geld eingebracht hätte. Neben seiner kraftvollen Fahrweise verfügt Roger Kluge über die Fähigkeit, Radrennen perfekt zu „lesen“ und daraus die jeweils passende Strategie abzuleiten. Das bewies er auf der Straße bei der Tour de France, die er fünfmal fuhr und dem Giro d’Italia, wo er 2016 eine Etappe gewann. Und natürlich bei den Rennen auf der Bahn. Im Velodrom an der Landsberger Allee drehte er schon als 15-Jähriger seine Runden. „Ich war damals auf der Sportschule in Cottbus, und wir fuhren im Vorprogramm des Sechstagerennens.“
In dieser Zeit entwickelte sich wohl seine Liebe zum Zweier-Mannschaftsfahren, dem Madison. Diese Verbindung aus Teamwork, Ausdauer und Strategie ist die Königsdisziplin des Bahnradsports und Highlight jeder Sechstage-Veranstaltung. Die Fahrer wechseln einander stetig ab. Während einer mit hohem Tempo im Rennen fährt, „ruht“ sich der andere im oberen Bereich des 250 Meter messenden Ovals aus. Der aktive Fahrer bringt seinen Partner nach ein paar Runden mit einer Art Schleudergriff wieder ins Rennen zurück. „Dieser Wettbewerb ist einzigartig im Radsport. Der fasziniert die Zuschauer, auch wenn sie vielleicht beim ersten Mal gar nicht wissen, wo vorn und hinten ist“, meint Roger Kluge beim Gespräch mit FORUM.
Aber auch für die Profis auf den Rennmaschinen stellen sich große Herausforderungen. „Man muss immer die Übersicht behalten. Alle 35 bis 40 Sekunden wird mit dem Partner gewechselt, und diesen Rhythmus muss man durchhalten“, beschreibt Kluge, der 2011 zum ersten Mal das Madison in Berlin gewann. Diesem Sieg ließ er mittlerweile drei weitere folgen „Wir fahren ja bei den Rundenjagden Geschwindigkeiten von fast 60 km/h.“ Auch wegen dieses Spektakels werden die Wellen der Begeisterung bei den rund 15.000 Zuschauern am Freitag und Samstag wieder hochschlagen. Dazu starten die Matadore noch in anderen Rennen, wie dem Punkte- oder dem Ausscheidungsfahren. Zusammen ein Programm von rund fünf Stunden. Das alles gehört zum klassischen Sechstagerennen, von dem in Berlin jedoch nur ein „Weekend“ geblieben ist. „Diese zwei Tage kosten heute aber so viel wie vor zehn Jahren die kompletten sechs Tage“, sagt Managing-Direktor Valts Miltovics von der Madison Sports Group, die seit 2015 Veranstalter ist. „Wir müssen hier Miete zahlen. Die ist zuletzt enorm gestiegen. Genauso die Kosten für den Strom. Dazu müssen wir Einbauten wie Fahrerlager, Zeitmessung, Bildschirme und so weiter finanzieren. Rein kommerziell rechnen sich zurzeit nur zwei Tage.“
Bremen vier Tage, Berlin nur zwei
Roger Kluge weiß um diese Probleme, die nicht auf die Veranstaltung in der Hauptstadt beschränkt sind, wo es 2009 das erste Sechstagerennen in Deutschland gab. In Bremen, dem zweiten noch bestehenden Veranstaltungsort in Deutschland, wurde in diesem Jahr erstmals wieder an vier Tagen gefahren. Die Rennen in München, Stuttgart und Dortmund dagegen gibt es schon seit rund 15 Jahren nicht mehr. „Es wäre schade, wenn es auch in Berlin wegfiele. Dann fehlt uns irgendwann der Nachwuchs. Ich bin ja auch nur so gut geworden, weil ich schon als Jugendlicher hier fahren durfte“, erklärt Roger Kluge.
Valts Miltovics kämpft dagegen an. „Wir haben Konzepte erarbeitet und könnten bei entsprechender Unterstützung durch den Berliner Senat wieder mehrere Tage veranstalten. Vielleicht sogar wieder sechs.“ Auch das oft gebrauchte Argument, solche Veranstaltungen wären nur noch für Ältere interessant, kann der ehemalige Eishockey-Spieler entkräften. „In den letzten Jahren ist das Publikum deutlich jünger geworden. Die meisten Zuschauer sind zwischen 35 und 45 Jahre alt. 20 Prozent sogar noch jünger.“

Das gekürzte Programm hat der Stimmung bisher auch keinen Abbruch getan. Allerdings brauchen die Fahrer eine veränderte Taktik. „Wenn du an sechs Tagen nacheinander fährst, teilst du dir die Kräfte gut ein“, erklärt der mit 1,93 Meter für einen Radsportler recht groß gewachsene Roger Kluge. „Bei zwei Tagen kann man jedoch nicht viel taktieren. Da muss man an beiden Abenden alles raushauen.“ Das wird er jetzt wieder gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Theo Reinhardt tun, mit dem er seit 2017 Madison fährt. Zweimal wurden sie Weltmeister und dreimal Europameister, zuletzt im vergangenen Jahr. Die zwei Tage in Berlin werden nun das Finale ihrer gemeinsamen Zeit sein, denn Theo Reinhardt beendet danach seine erfolgreiche Karriere. „Neben den sportlichen Leistungen hat es bei uns auch immer zwischenmenschlich gestimmt“, resümiert der vier Jahre ältere Kluge. „Theo ist mir als Freund über die Jahre immer wichtiger geworden. Ich hoffe, dass wir eine Basis gelegt haben, die auch über den Radsport hält.“ Ihren großen Traum von einer olympischen Medaille mussten sie im Sommer allerdings begraben. Für Kluge wäre es nach dem Silber im Punktefahren 2008 die zweite gewesen. Nach einem Sturz von Reinhardt wurden sie in Paris Fünfte.
Für Roger Kluge geht die Rundenjagd weiter. Mitte Februar will er bei der EM in Belgien seinen mit Theo Reinhardt errungenen Titel im Madison verteidigen. Der dann 39-jährige Kluge startet mit dem 17 Jahre jüngeren Tim Torn Teutenberg. Wie gut sie als Generationen-Duo harmonieren, bewiesen sie schon im Oktober, als sie in Kopenhagen Weltmeister wurden.