Lohndumping, unzureichender Krankenversicherungsschutz und teils Wuchermieten für Unterkünfte – laut einer Oxfam-Studie sind die Arbeitsbedingungen für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft prekär.
Mit dem angebrochenen Frühsommer liegen bei vielen Menschen in diesen Tagen frischer Spargel und Erdbeeren auf den Tellern. Wenn man die Lieferkette dieser saisonalen Produkte ein wenig zurück verfolgt und sich die Arbeitsbedingungen um Spargel und Co. näher anschaut, dürfte zumindest ein bitterer Beigeschmack bleiben. Damit das Stangengemüse und die Beerenfrüchte auf Marktständen und in Supermarktregalen landen können, rackern sich zuvor – vorrangig ausländische – Spargelstecher und Erdbeerpflücker ab. Dass Saisonarbeit oft unter schlechten Bedingungen vonstattengeht, kritisieren Gewerkschaftler ebenso wie Menschenrechtsorganisationen schon seit Langem. Eine aktuelle Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam kommt jetzt erneut zu einem mitunter verheerenden Ergebnis. Die Arbeitsbedingungen im Spargelbau sind der Untersuchung zufolge teilweise „unhaltbar“. So heißt es in dem Bericht von Oxfam, der in Zusammenarbeit mit dem PECO-Institut für nachhaltige Regionalentwicklung in Europa und der Initiative Faire Landarbeit entstanden ist und nun veröffentlicht wurde. Für die Studie wurden in der Erntesaison des vergangenen Jahres 66 Arbeiterinnen und Arbeiter befragt, die in den landwirtschaftlichen Betrieben Behr Gemüse-Garten, Tannenhof Meinhardt, Spreewaldbauer Ricken und Spargelhof Beelitz tätig waren. Wichtigstes Herkunftsland der Saisonarbeiter ist Rumänien. Zudem befragte Oxfam bei Spreewaldbauer Ricken im Frühjahr 2023 weitere Saisonarbeiter. Für die Recherchen interviewten Mitarbeiter von Oxfam zudem Erzeuger, Verbände und Erzeugerorganisationen.
Auch der DGB beklagt Ausbeutung
„Löhne werden systematisch gedrückt, viele Arbeiter sind mit einer kaum durchschaubaren Kombination aus Stunden- und Akkordlöhnen konfrontiert und berichten von schwer oder gar nicht erreichbaren Zielvorgaben“, wird eine Oxfam-Sprecherin von der Berliner Zeitung zitiert. Das seien „keine Einzelfälle“, sagte auch Benjamin Luig von der Initiative Faire Landarbeit. Beschäftigte klagten regelmäßig über falsche Angaben bei der Arbeitszeiterfassung, wodurch sie mehr arbeiten müssten, aber nicht mehr bezahlt bekämen. Im Oxfam-Bericht sticht vor allem ein Betrieb in Brandenburg hervor, der schon in den vergangenen Jahren unter Kritik der Organisation stand. Die Unterkünfte glichen Baracken, in den Zimmern wachse Schimmel, das Wasser sei kalt, und 50 Arbeiter müsste sich ein Toilettenhäuschen teilen. Berechnet man den Quadratmeterpreis, den die Arbeiter im dortigen Betrieb abgezogen bekommen, komme man auf eine Wuchermiete von 40 Euro pro Quadratmeter.
Dass Oxfam in seiner Studie nur vier landwirtschaftliche Betriebe beschreibe, stößt einem Bericht der Deutschen Presseagentur zufolge auf die Kritik des Verbandes der Ostdeutschen Spargel- und Beerenobstanbauer (Vosba). Die Studie spiegele Einzelfälle wider, sagte Geschäftsführer Frank Saalfeld. Sie beziehe sich in ihren Aussagen häufig auf einen Betrieb aus dem Spreewald, der bereits vorher negativ aufgefallen war und schon vor der Pandemie aus dem Verband ausgeschlossen worden war. Oxfam habe dieses „schwarze Schaf“ besonders stark gewichtet.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht vor allem ein Problem in der fehlenden sozialen Absicherung für die Saisonarbeiter. „Saisonarbeit ohne Sozialversicherung ist kein Naturgesetz, sondern Teil des Ausbeutungssystems mancher Arbeitgeber“, kritisiert Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). „Die Koalitionsparteien haben vereinbart, dass Saisonbeschäftigte künftig vom ersten Tag an krankenversichert sein sollen. Doch das Vorhaben wurde nicht so rechtzeitig umgesetzt, um in der aktuellen Erntesaison zu greifen.“ Die Umsetzung müsse jetzt schnell funktionieren. Umfassender Krankenversicherungsschutz wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung, reiche aber bei weitem nicht aus. „Saisonbeschäftigte brauchen insgesamt einen lückenlosen Sozialversicherungsschutz“, sagte DGB-Chefin Anja Piel.
„Von unseren Beraterinnen und Beratern vor Ort wissen wir, dass Saisonarbeiter und Saisonarbeiterinnen oft keiner weiteren Arbeit in ihrem Heimatland nachgehen, was eigentlich Bedingung für die kurzfristige Beschäftigung wäre. Das heißt für die betroffenen Beschäftigten in der Folge weder Kranken- und Arbeitslosenversicherung, noch Rente.“ Was aus guten Gründen nur als Ausnahmeregel für Ferien- und Studierendenjobs vorgesehen war, werde „in vielen Fällen von Arbeitgebern gezielt ausgenutzt“, um Menschen aus anderen EU-Staaten zu „miesen Bedingungen, ohne sozialen Schutz und für wenig Geld“ zu beschäftigen, moniert die Gewerkschafstchefin. „Der Schutz der Sozialversicherung muss auch für die harte Arbeit auf den Feldern gelten.“
Laut Oxfam hätten in den Interviews für die Studie eine Mehrheit der Befragten angegeben, nicht krankenversichert zu sein oder über die eigene Versicherung nicht Bescheid zu wissen. Eine weitere Gruppe verfügte über eine private Gruppenversicherung, deren Leistungsumfang nicht ersichtlich war. Lediglich fünf Befragte waren über ihre Arbeitsstelle sozial- und krankenversichert.
Laut Oxfam liegt die Verantwortung für die schlimmen Arbeitsbedingungen nicht nur bei den landwirtschaftlichen Betrieben, sondern „vor allem bei den deutschen Supermärkten, die für Spargel und Erdbeeren ruinöse Preise zahlen“. Mehr als drei Viertel des deutschen Lebensmittelhandels liegen in der Hand von vier Konzernen. Bauern berichteten, dass die Supermärkte diese „enorme Marktmacht nutzen“, um „unbarmherzigen Preisdruck“ auf Erdbeer- und Spargelproduzenten auszuüben, heißt es in dem Bericht.
Absicherung fehlt oft auch in Nachbarländern
Auch in anderen europäischen Ländern sehen die Arbeitsbedingungen der Studie zufolge für Saisonarbeiter oft katastrophal aus. In Schweden etwa müssen die Saisonarbeiter zum Teil lange Arbeitszeiten, niedrige Löhne und schlechte Unterkünfte in Kauf nehmen, wenn sie in den Wäldern Schwedens Blaubeeren sammeln. Von Saisonarbeitern in den Niederlanden gibt es Berichte über horrende Abzüge für die Unterkunft sowie Lohnabzüge aus vorgeschobenen Gründen wie beispielsweise die Nutzung des falschen Waschmittels in einer vom Betrieb gestellten Waschmaschine. Auch in Österreich sollen rumänische Saisonarbeiterinnen und -arbeiter im Obstanbau ohne Vertrag unter Mindestlohn beschäftigt und in miserablen Unterkünften untergebracht worden sein. Und in Großbritannien hatten Arbeiter und Arbeiterinnen aus Nepal, Kasachstan und Südafrika über die Erdbeerernte berichtet, nicht zur Toilette zu gehen aus Angst die Leistungsvorgaben nicht zu schaffen. Sie seien angeschrien oder bestraft worden, wenn sie ihr Handy in der Tasche trugen oder sich während der Feldarbeit mit Kollegen unterhielten. „Sie behandeln uns wie Tiere“, zitiert Oxfam einen Beschäftigten.