Vor zwei Jahren war Richard Neudecker einer der Top-Spieler der Dritten Liga. Dann erlebte er eine Saison zum Vergessen. Nun ist er wieder voll da.
Am 1. November jährt sich eine der größten Sensationen der Fußball-Neuzeit. Der 1. FC Saarbrücken warf in der zweiten Runde um den DFB-Pokal den FC Bayern München aus dem Wettbewerb. Als nach Schlusspfiff Spieler, Trainer und Betreuer auf den Helden des Abends, Torwart Tim Schreiber, zustürmten, war auch Richard Neudecker dabei. Mittendrin irgendwie, aber eben auch nur dabei. Die schier unglaubliche Pokalreise, die den Drittligisten bis ins Halbfinale führte, war für den 27-Jährigen nach 72 Minuten beendet. So lange stand „Richy“ im Erstrundenspiel gegen den Karlsruher SC auf dem Platz. Danach nahm eine Saison zum Vergessen ihren Lauf. Ein Jahr später sitzt Neudecker modisch, aber durchaus herbstlich gekleidet auf der Tribüne im FC-Sportfeld. Er ist mit sich im Reinen, der Blick zurück ist nicht negativ. „Ich habe mich immer als Bestandteil des Teams gefühlt, auch wenn ich verletzt war. So gesehen war ich auch ein Teil dieser Pokalreise. Aber als Fußballer willst du natürlich auf dem Platz stehen. Es ist nicht so, dass ich jetzt dem verpassten Bayern-Spiel hinterher trauere. Ich ärgere mich vielmehr, dass ich fast eine gesamte Saison verpasst habe. Die Liga ist das tägliche Brot eines Profis“, sagt Neudecker.
Kein Frust wegen des Bayern-Spiels
Als der Oberbayer im Sommer 2022 seine Zelte im Saarland aufschlug, waren viele Fans erfreut, manche Experten überrascht. Schon bei seinem Heimatverein 1860 München, zu dem der zentrale Mittelfeldspieler nach Stationen in den Niederlanden und beim FC St. Pauli zurückkehrte, avancierte er zu einem der besten Offensiv-Akteure der 3. Liga. „Die Verhandlungen mit 1860 waren zäh und haben sich in die Länge gezogen. Irgendwann kam das Angebot aus Saarbrücken. Ich muss ehrlich sagen, die Trainingsbedingungen haben nicht den Ausschlag gegeben“, sagt Neudecker lachend. Es waren vielmehr ein gutes Gespräch mit dem damaligen Cheftrainer Uwe Koschinat sowie ein Bauchgefühl.
Nach dem Kennenlerntermin schlenderte er mit seiner damaligen Partnerin durch die Saarbrücker Innenstadt: „Es gab diesen einen Moment, in dem ich wusste, das ist es. Es hat sich einfach richtig angefühlt“, erzählt er. Neudecker liebt Saarbrücken, Saarbrücken liebt ihn. So ist es bis heute. Auch nach einer Saison zum Weglaufen. Zunächst lief (fast) alles nach Plan. Dass Richy Stammspieler wurde, war eingeplant. Dass er derart performen würde, war die Hoffnung. Sechs Treffer und zwölf Vorlagen katapultierten ihn an die Liga-Spitze. Eigentlich fehlte nur noch der Aufstieg zum perfekten Glück. Doch der Traum platzte bekanntermaßen quasi in letzter Sekunde.
Die Truppe flog noch am selben Abend zum Saison-Ausklang nach Mallorca. Dort zog sich Neudecker am Hotel-Pool einen Handbruch zu. „Ich habe weite Teile der Vorbereitung verpasst. Trotzdem bin ich halbwegs vernünftig in die Saison gekommen. Dann habe ich zwei, drei richtig schlechte Spiele gemacht. Beim Auswärtssieg in Bielefeld habe ich ein Tor geschossen und wieder gut gespielt. Aber ich habe vorher schon ein Ziehen in der Leistengegend bemerkt“, erzählt der 27-Jährige. Aus dem Ziehen wurde eine langfristige Verletzung. Ein paarmal kam der Bayer während der Hinrunde noch zum Einsatz, doch richtig rund lief es nicht. Die Rückrunde verfolgte er dann schließlich von der Tribüne aus, im letzten Heimspiel der Saison gegen die U23 des SC Freiburg bekam er noch einmal 13 Minuten.
„Ich will mit dem FCS aufsteigen“
Es gab nicht viele Menschen im Umfeld des FCS, die auch nur einen Euro auf eine Zukunft Neudeckers gesetzt hätten. Doch zur Überraschung vieler verlängerte er schließlich seinen Vertrag. „Ich wollte mich hier nicht so verabschieden. Ich spüre die Liebe der Menschen hier und fühle mich unglaublich wohl. Ich hatte sehr offene Gespräche mit Rüdiger Ziehl, der mir auch klar gesagt hat, dass die Konkurrenz groß sein wird“, erinnert er sich. Dass der FCS-Coach große Stücke auf Neudecker hält, ist kein Geheimnis. Als am Rande des Trainingslagers über eine mögliche Stammelf der Blau-Schwarzen gefachsimpelt wurde, sagte Ziehl: „Ich kann mir vorstellen, dass Neudecker ab dem fünften Spieltag in der Startelf steht.“ So sollte es auch kommen. Der Saisonstart verlief mehr als holprig für den FCS. Doch für Neudecker lief es richtig gut. Mit seiner Rückkehr zur alten Form sind große Hoffnungen verbunden. „Ich werde 28 Jahre alt, da ist es normal, dass ich Verantwortung übernehme. Ich sehe mich mittlerweile schon auch als Führungsspieler“, erzählt er. Sein Wort hat Gewicht. In der Kabine und außerhalb, weil er das Zeug zum Publikumsliebling hat.
Neudecker kennt sich aus mit einem unruhigen Umfeld. Das gehört bei 1860 München zum guten Ton. Auf St. Pauli, wo er 44 Zweitliga-Spiele absolvierte, ebenfalls. „Ich mag das, wenn es zur Sache geht. Aber man muss aufpassen, dass man den Fokus nicht verliert. Bei unserem Heimspiel gegen Bielefeld war es so, dass man gespürt hat, dass sich das Umfeld nicht total auf den Gegner konzentriert, sondern vielmehr mit dem Drumherum. Das überträgt sich dann auch auf den Platz“, sagt Neudecker und richtet einen Appell an die FCS-Fans: „Ich bin hier, um aufzusteigen. Ich bin in meiner Karriere noch nie aufgestiegen und will nicht einfach in eine höhere Liga wechseln. Ich will es mit dem FCS schaffen und das Potenzial haben wir. Wir müssen alle an einem Strang ziehen.“
Man spürt die Lust, dass Richard Neudecker nach einem Jahr voller Rückschläge etwas Großes erreichen will. „Ich habe gemerkt, dass ich ohne meinen Körper als Fußballer nichts bin. Ich muss topfit sein, um meine Leistung bringen zu können. Dafür tue ich auch abseits des Platzes viel“, sagt er. Privat lässt es der 27-Jährige eher ruhig angehen. „Ich gehe gerne essen und trinke auch mal einen Kaffee in der Stadt. Ansonsten konzentriere ich mich auf meine Uni-Sachen und helfe meinem Bruder bei seiner Fußball-Schule“, sagt der Student der Sportökonomie. Sein Fokus liegt voll auf dem FCS. „Wir müssen es schaffen, bis zum Winter obendran zu bleiben. Dann wollen wir doch mal sehen, was passiert, wenn wir richtig eingespielt sind.“