Am 23. September 1939 verstarb Sigmund Freud in seinem Londoner Exil. Der Wiener Neurophysiologe, Tiefenpsychologe und Arzt hatte als Begründer der Psychoanalyse und der Traumdeutung das Tor zum tief verborgenen menschlichen Unbewussten weit geöffnet.
Als der hochbetagte und todkranke Sigmund Freud nach einer beschwerlichen, 48 Stunden dauernden Reise von Wien über Paris, Calais und den Ärmelkanal schließlich am 6. Juni 1938 in London eingetroffen war, war dem als Begründer der Psychoanalyse zu weltweitem Renommee aufgestiegenen Wissenschaftler durchaus bewusst, dass er in seinem Exil nur noch kurze Zeit zu leben hatte. Seit 15 Jahren litt er unter einem Mundhöhlenkarzinom, das erstmals am 20. April 1923 eine große Operation erfordert hatte und danach auch durch mehr als 20 weitere chirurgische Eingriffe nicht grundlegend beseitigt werden konnte. Neben der gravierenden Krankheit war ihm vor allem auch die schon bei der ersten Operation eingesetzte Kieferprothese eine schwere Last, weil sie ihm das Sprechen und die Nahrungsaufnahme nur noch unter Schmerzen erlaubte. Er hatte daher öffentliche Auftritte möglichst vermieden und ließ sich von seiner letztgeborenen Tochter Anna, die als Psychoanalytikerin in die Fußstapfen ihres Vaters getreten war, bei allen wichtigen Anlässen wie psychologischen Kongressen oder als Generalsekretärin der 1910 gegründeten Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung vertreten.
Seine Forschungsarbeiten hatte er im stillen Kämmerlein, aber mit unverminderter Tatkraft und bewundernswerter Disziplin ebenso fortgesetzt wie die persönliche Behandlung von Patienten auf seiner legendären Couch. Auch in London hatte er noch eine neue Praxis eröffnet, deren Pforten er am 1. August 1939 endgültig schloss. Er tat dies, nachdem sein geliebter Chow-Chow zum ersten Mal vor ihm zurückgescheut war, da das Tier den Geruch der schwärenden Mundhöhlenwunde nicht länger ertragen konnte. Am 21. September 1939 bat Freud daher seinen ebenfalls nach London geflohenen Leibarzt Max Schur darum, ihm aktive Sterbehilfe zu leisten. Schur injizierte Freud in dessen im Londoner Nobelviertel Hampstead gelegener Villa eine Überdosis Morphin, was den Tod des weltberühmten Mannes, der zwischen 1914 und 1938 stolze 33 Nominierungen für den Medizin-Nobelpreis und 1936 sogar eine Nominierung für den Literatur-Nobelpreis erhalten hatte, am 23. September 1939 gegen drei Uhr morgens im Alter von 83 Jahren zur Folge hatte.
Dass die Nazis nach dem Anschluss Österreichs Freud und seinen engsten Familienangehörigen nach anfänglichen Schikanen die Ausreise am 4. Juni 1938 erlaubt hatten, war nur den besten internationalen Beziehungen des gebürtigen Juden und dem diplomatischen Druck seitens der USA und Großbritanniens geschuldet. Und der Tatsache, dass er eine mit rund 33.000 Reichsmark immens hohe sogenannte Reichsfluchtsteuer zahlen musste, was nach heutigem Wert etwa 600.000 Euro entsprach und ein Drittel von Freuds Vermögen kostete. Bei der berüchtigten Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 waren die Schriften Freuds unter dem sogenannten Feuerspruch „Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele!“ den Flammen übergeben worden.
Promotion als Doktor der Medizin
Der am 6. Mai 1856 im zum Kaisertum Österreich gehörenden Friedberg geborene Sigismund Schlomo Freud war gemeinsam mit seiner Familie 1860 nach Wien umgezogen. Sein im Tuchhandel tätiger Vater, der keinen großen Wert auf die strikte Einhaltung jüdischer Rituale legte, hatte im abgelegenen Mähren keine beruflichen Zukunftsperspektiven mehr gesehen. Inmitten seiner Geschwisterschar wurde Sigmund von seinen Eltern wegen seiner Lernbegierde ein Sonderstatus eingeräumt. Als einziger ihrer Sprösslinge bekam er ein mit Büchern überfülltes eigenes Zimmer. Die Reifeprüfung an einem humanistischen Gymnasium in der Wiener Leopoldstadt legte Freud im Alter von 17 Jahren als Klassenprimus ab. Er beherrschte die alten Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch, sprach fließend Englisch sowie Französisch und versuchte sich in Italienisch sowie Spanisch. Nachdem er kurzzeitig zwischen Medizin und Rechtswissenschaft geschwankt hatte, entschied er sich im Sommer 1873 für die Aufnahme eines Medizin-Studiums an der Universität Wien.
Dabei beschränkte er sich nicht auf die klassische Ausbildung zum Arzt, sondern verfolgte vielfältige, zwischen Zoologie, Physiologie, Psychologie, Psychiatrie und Naturphilosophie schwankende Interessen. Bei seinen ersten Forschungen beschäftigte sich Freud mit den Geschlechtsdrüsen der Aale, die er in einer Versuchsstation für Meeresbiologie in Triest untersuchte. Auch nach dem Wechsel ins Labor des Physiologen Ernst Wilhelm von Brücke im Jahr 1876 blieb Freud zunächst der Tierwelt treu und analysierte dort vor allem das Nervensystem niederer Fische – allerdings schon im Vergleich mit dem menschlichen Nervensystem. Seine Dissertation trug denn auch den Titel „Über das Rückenmark niederer Fische“. 1881 wurde er zum Doktor der Medizin promoviert, setzte aber seine physiologische Arbeit in Brückes Labor noch ein Jahr lang fort.
Nachdem er im April 1882 die gebürtige Hamburgerin Martha Bernays kennengelernt hatte, die er nach vierjähriger Verlobungszeit 1886 heiratete, war ihm klar geworden, dass er für die von ihm beabsichtige Familiengründung mit letztlich sechs gemeinsamen Kindern eine deutliche Verbesserung seiner Einkommensverhältnisse benötigte. Dieses Ziel sah er nur durch die Etablierung einer eigenen Praxis als realisierbar. Doch dafür musste Freud unbedingt Erfahrungen in der klinischen Praxis erwerben. Am Wiener Universitätsklinikum durchlief er daher die verschiedensten Abteilungen, wechselte aber bald schon in die psychiatrische Klinik des Deutsch-Österreichers Prof. Theodor Meynert, wo er sich vor allem hirnanatomischen Studien widmete und mit Kokain als Lokal-Betäubungsmittel experimentierte.
Nachdem sein Habilitationsgesuch im Herbst 1885 von der Wiener Universität abgesegnet und er zum Privatdozenten ernannt worden war, zog es Freud zu einem Fortbildungsaufenthalt nach Paris, wo er beim berühmten französischen Pathologen und Neurologen Jean-Martin Charcot Einblicke in dessen neuartige Hypnose-Therapien zur Behandlung von vornehmlich weiblichen Hysterie-Patienten gewinnen konnte.
Abrücken vom Mittel der Hypnose
Als Sigmund Freud 1886 neben einer neurologischen Tätigkeit am ersten öffentlichen Wiener Kinderkrankenhaus und seinen Uni-Vorlesungen, die erst 1902 in seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor und noch viel später 1919 zum Titularprofessor mündeten, seine erste Wiener Praxis eröffnete, setzte er zunächst ebenfalls auf die Hypnose. Damit wollte er dem von ihm angenommenen Unbewussten in der menschlichen Seele oder Psyche auf die Spur kommen.
Den Begriff „Psychoanalyse“ im Sinne von „Untersuchung der Seele“ verwendete er erstmals 1896, als er diese als einzige Methode „zur Bewusstmachung des bisher Unbewussten“ bezeichnete. Von der Hypnose rückte Freud auf der Suche nach dem Unbewussten bei der Behandlung seiner Patienten, die er ab 1891 in seinem auch privat bis 1938 genutzten Domizil in der Wiener Berggasse 19 empfing, bald schon zugunsten der sogenannten freien Assoziation ab. Der auf der Couch ruhende Patient konnte dabei seinen Gedanken freien Lauf lassen, was bald zum Herzstück der psychoanalytischen Behandlung wurde.
Daneben wurde die Traumdeutung neben der Auswertung von sogenannten Fehlleistungen zum wichtigsten Zugangspfad zum Unbewussten und damit zum Klassiker der Freudschen Psychoanalyse. Freud selbst hatte die Traumdeutung als „Königsweg“ ins Unbewusste bezeichnet, seine gleichnamige Buchveröffentlichung „Traumdeutung“ aus dem Jahr 1899, die aber mit der Jahreszahl 1900 in gerade mal 600 Exemplaren verlegt wurde, wird allgemein als das grundlegende Werk von Freuds psychoanalytischem Denken angesehen.
Viele Kritiker auch unter Medizinern
„Das Unbewusste und die Wunschökonomie, die Aktivität der Triebe, die infantile Sexualität, die Rolle der Libido und des ödipalen Inzestwunsches, Vergessen und Erinnern als Reflexe psychischer Arbeit, die sprachähnliche Leistung des Traums – das alles war hier in faszinierender Prägnanz gegenwärtig“, beschreibt es der deutsche Literaturprofessor Peter-André Alt. Auch Freud selbst sah die „Traumdeutung“ als sein Hauptwerk in einer wahren Flut von Publikationen an: „Die Psychoanalyse ist sozusagen mit dem zwanzigsten Jahrhundert geboren; die Veröffentlichung, mit welcher sie als etwas Neues vor die Welt tritt, meine Traumdeutung, trägt die Jahreszahl 1900.“
Wobei Freud mit seinen Theorien schon zu Lebzeiten viele Kritiker auch im Kreise der Mediziner hatte. So wandte sich beispielsweise sein zum Nachfolger auserkorener Kollege C. G. Jung endgültig von ihm ab, weil er Freuds in „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ 1905 postulierte exklusive Betonung der Libido als psychodynamischen Treiber nicht akzeptieren konnte. Auch der Inhalt seiner häufig zitierten Schrift „Das Ich und das Es“ aus dem Jahr 1923 wird bis heute heftig kontrovers diskutiert. Weil darin ein Drei-Instanzen-Modell entworfen wurde, laut dem die menschliche Psyche in ein Es für Triebe und Bedürfnisse, ein Ich für das bewusste eigene Denken und ein Über-Ich für die Einhaltung moralischer Werte und Normen aufgeteilt wird. Einen Beweis für dieses gedankliche Konstrukt konnte Freud nie liefern.