Berlin entscheidet, ob es in ein paar Jahren klimaneutral sein will. Per Volksentscheid, also basisdemokratisch. Dabei hat Berlin ganz eigene Erfahrungen mit seinen Bürgervoten.
Die Wiederholungswahl in Berlin zum Landesparlament ist gerade mal sechs Wochen her, da werden die rund 2,8 Millionen Wahlberechtigten der Hauptstadt schon wieder an die Urne gerufen. Diesmal geht es um den Volksentscheid „Berlin Klimaneutral“. Danach soll die Stadt an der Spree bereits in sieben Jahren CO₂-neutral sein. Ein durchaus ambitioniertes Vorhaben, auf das sich das noch regierende rot-grün-rote Bündnis in seinen Koalitionsverhandlungen vor anderthalb Jahren nicht einigen konnte. Daraufhin sorgten Bürgerinitiativen, unterstützt von den mitregierenden Grünen, mit einer breit angelegten Unterschriftenkampagne für den Volksentscheid.
Sachfremde Motive bei Volksentscheid
In diesem Fall war es damals tatsächlich noch eine Initiative, die nicht von den Regierenden initiiert wurde, sondern tatsächlich vom Volk ausging. Bei der Wahlwiederholung, hat zwar Rot-Grün-Rot weiterhin eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus, aber Berlins noch Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) lotet derzeit lieber mit den Wiederholungs-Wahlsiegern von der CDU eine neue Koalition unter einem Regierungschef Kai Wegner aus. Bei den laufenden Koalitionsverhandlungen zeichnen sich zwei Knackpunkte ab, wobei einer laut Wiederholungswahlkampf eigentlich gar keiner seien dürfte. Die Verlängerung der Stadttautobahn A 100 weit in den Ostteil der Stadt hinein. Die CDU war im Wahlkampf noch klar dafür, die SPD hatte dazu keine dezidierte Meinung, aber stand dem Projekt eher aufgeschlossen gegenüber. Doch nun ist das Thema plötzlich strittig. CDU-Verhandlungsführer Kai Wegner hat sich mit dem Vorschlag durchgesetzt, dazu im September einen Volksentscheid abzuhalten, wenn es denn überhaupt zu einer neuen Landesregierung unter Führung der CDU mit der SPD kommt. Wenn die Berliner dann im Frühherbst tatsächlich zum dritten Mal innerhalb eines Jahres zu den Wahlurnen gerufen werden sollten, dann soll der Volksentscheid gleich noch um die Abstimmung zur Randbebauung des Tempelhofer Feldes erweitert werden. Dabei geht es um das Areal des ehemaligen innerstädtischen Flughafens. Eine Freifläche von über 300 Hektar und damit um ein Drittel größer als das Staatsgebiet des Fürstentums Monaco. Das derzeitige Bebauungsverbot an den Rändern des ehemaligen Flughafens geht übrigens auf den Volksentscheid „100 Prozent Tempelhofer Feld“ vor neun Jahren zurück. Der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wollte mit der Brechstange sein Lieblingsprojekt Landesbibliothek durchsetzen. Der Volksentscheid im Mai 2014 gegen die Bebauung war ein Erfolg, die Ökobrache darf bis heute nicht bebaut werden. Allerdings wurden damals schon die Schwächen einer solchen Volksbefragung deutlich. Politikexperten sind sich einig, dass es bei dem Volksentscheid weniger um die Randbebauung des ehemaligen Flughafens als vielmehr um einen Denkzettel für Wowereit ging. Nachbefragungen von mehreren Umfrageinstituten bestätigten diese Einschätzung. Der damalige SPD-Bürgermeister Wowereit war durch seine Politik des „Sparen bis es quietscht“ in der Wählergunst so weit abgesackt, dass der Volksentscheid ganz offensichtlich zu einer politischen Abrechnung der Wähler mit Klaus Wowereit geriet. Wenige Wochen nach dem Votum trat er von seinem Amt zurück.
Der aktuelle Volksentscheid „Berlin Klimaneutral“ wirft nun allerdings eine ganz andere Frage auf: die Finanzierung des Votums. 1,2 Millionen Euro hat die Initiative an Spenden eingesammelt, soviel wie kein Volksentscheid vorher. Ein Großteil der Summe kommt von US-amerikanischen Großspendern. Der Löwenanteil von 475.000 Euro stammt von den Stiftungen des deutsch-amerikanischen Investoren-Ehepaars Albert Wenger und Susan Danziger. Danach wird der Solar-Unternehmer Paul Grunow und seine Frau Frauke Eysell mit 200.000 Euro und Cleantech-Investor Jochen Wermuth mit 100.000 Euro auf der Großspender-Liste angegeben. Weitere 120.000 Euro hat die Initiative durch internationales Crowdfunding eingeworben. Beinahe 900.000 Euro kommen damit ganz offensichtlich aus interessengeleiteten Stiftungen und Unternehmen. Dadurch wurde schon im Vorfeld des Bürgerbegehrens die Frage aufgeworfen, inwieweit basisdemokratische Volksbefragungen auch von Interessen ausländischer Kapitalgeber beeinflusst werden.
Wobei der politische Einfluss der jüngsten Volksbefragung „Berlin Klimaneutral“, wenn dann mindestens 612.000 Wähler die notwendigen Ja-Stimmen beibringen sollten, recht überschaubar wäre. Der Gesetzesentwurf der Initiatoren gibt der Politik zwar politisch, verbindliche Ziele vor, aber explizit keine konkreten Maßnahmen. Diese müsste der Senat, unter welchem Bürgermeister oder Bürgermeisterin auch immer, erarbeiten und festlegen.
Um Berlin bis 2030 klimaneutral zu bekommen, müssten laut unterschiedlichen, aber im Kern übereinstimmenden Überschlagsrechnungen, in den kommenden knapp sieben Jahren, mindestens 110 Milliarden Euro investiert werden, eher mehr.
Damit erhebt sich die Frage, welchen gesellschaftlichen Sinn ein Volksentscheid mit völlig realitätsfernen Zielen überhaupt macht.
Die jüngste Idee von Berlins CDU-Chef und möglichem neuen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner zum Volksentscheid über den Weiterbau der Stadtautobahn wirft dabei auch die Frage der politischen Verantwortung auf. Die Berliner CDU hat sich in dem kurzen aber heftigen Wiederholungswahlkampf im Winter klar auf die Seite der Autofahrer der Hauptstadt gestellt und den Weiterbau der A 100 befürwortet. Die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hat einen Wahlkampf gegen den Individualverkehr in der Stadt gemacht. Die CDU konnte einen fulminanten Wahlsieg einfahren, die Grünen sind dagegen weit hinter dem selbst gesteckten Ziel geblieben. Wahlforscher sind sich erstaunlich einig, dass das Verkehrsthema die Wahl wesentlich mitentschieden hat. Das würde dann auch heißen, Autos sollen weiter zur Innenstadt gehören. Die CDU hätte damit als Wahlsieger den Auftrag, ihre Zusagen im Wahlkampf umzusetzen.
Politik versteckt sich hinter Bürgerentscheid
Doch nun soll ein Volksentscheid das Thema abermals klären. Dieser soll diesmal aber nicht von den Bürgern per Unterschriftenkampagne eingefordert, sondern von der Politik angeordnet werden. Ein basisdemokratisches Instrument wird damit von der Politik gekapert. Nicht nur CDU-Wähler in der Stadt fragen sich, warum haben wir dann überhaupt am 12. Februar die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses wiederholt gewählt, wenn der Wahlsieger offenbar nicht willens ist, sein Wahlkampfversprechen auch umzusetzen. Vor allem mit einem möglichen SPD-Koalitionspartner, der dem Weiterbau der Stadtautobahn bislang nicht wirklich im Weg stand.
Offenbar steckt hinter dem Befragungs-Manöver auch ein Paradigmenwechsel der Christdemokraten an der Spree. Bei umstrittenen Infrastrukturprojekten zukünftig nicht mehr selbst die Verantwortung zu übernehmen, sondern diese auf die breiten Schulter des Wahlvolkes abzuwälzen. Damit ist man dann im kommenden Wahlkampf fein raus. Frei nach dem Motto: Wir wollten ja den Weiterbau der Autobahn, oder die Randbebauung des Tempelhofer Feldes, aber die Bürger haben dies abgelehnt. Soll keiner sagen, wir hätten es nicht versucht.