Jährlich wird der Mount Everest von Tausenden Menschen bestiegen, und diese produzieren auf ihrem Weg zum Gipfel Müll und Hinterlassenschaften. Schätzungen zufolge liegen dort etwa 140 Tonnen Unrat – und tonnenweise Exkremente.
Es war eine humoristische TV-Sternstunde, als Reinhold Messner 1988 auf dem Matterhorn vor einem Kiosk stand. Er werde auf keinen anderen Film so oft angesprochen wie auf diesen Achtminüter aus der Fernsehreihe „Verstehen Sie Spaß?“, wie er in einem Interview erzählte. Zum gefilmten Scherz gehörte es, dass ihm weisgemacht wurde, der Kiosk-Betreiber wolle ein Franchise auf anderen Gipfeln aufziehen, sodass man dort mit der Tagespresse, Souvenirs wie Kuschelbären oder Knallbomben zur Feier der Gipfelerstürmung versorgt werde. Nun kann man trefflich darüber streiten, ob Messner nicht Teil eines Problems ist, da er mit seinen Büchern in Millionenauflage und seinen mitreißenden Erzählungen in TV-Shows ordentlich Werbung für Expeditionen in die entlegensten Gebiete betrieben hat. Doch schiebt man das beiseite, zeigt sich, dass er Weitsicht zeigte, da er bereits damals Kommerzialisierung sowie zunehmende Vermüllung anprangerte.
Hunderte Leichen liegen auch dort
Mit vielen Menschen kommt eben auch viel Müll. Und besonders viel Müll liegt auf dem höchsten Berg der Welt. Im Jahr 2016 zum Beispiel bereisten 36.694 Leute die Region um den Mount Everest, teilte seinerzeit die örtliche Polizei mit. Laut Statista.de pendelte sich die Anzahl der – erfolgreichen – Besteigungen zwischen Mitte der Nuller-Jahre bis Mitte der 2010er-Jahre auf etwa 400 bis 600 ein. 2015 gab es nach einem verheerenden Erdbeben ein Aufstiegsverbot, doch danach schoss die Zahl auf zwischen 600 und 800 Besteigungen jährlich, nur kurz durch die Corona-Jahre 2020 und 2021 unterbrochen.
Klar, die nötige Ausrüstung wird immer besser und erschwinglicher, und natürlich sind auf der einen Seite Touristen in Tibet gern gesehen, wo rund 40 Prozent der mehr als 28 Millionen Einwohner unterhalb der Armutsgrenze leben. Doch die vielen Menschen auf dem Massiv müssen auch viel essen. Sehr viel sogar, da man bei der Besteigung geschätzt zehn bis 15 Prozent Körperfett verliert. Und wo was reingeht, da geht auch wieder etwas raus. Ang Tshering, Präsident der Nepal Mountaineering Association, dem nepalesischen Bergsteigerverband, prangerte bereits 2015 in einem BBC-Interview an, dass es zu viel Kot und Urin auf dem Mount Everest gebe. Nach Schätzungen sollen es um die 40 Tonnen sein. „Kletterer graben normalerweise Löcher in den Schnee für ihre Toilettenbenutzung und lassen die menschlichen Ausscheidungen dort zurück“, erklärte er. Das berge Gesundheitsrisiken und drohe, das Trinkwasser zu verunreinigen.
Auch der Klimawandel macht vor dem beeindruckenden Massiv nicht Halt und bringt durch tauende Schneedecken Dinge zum Vorschein, die man verborgen glaubte. Die Zahlen schwanken sehr stark. Manche Quellen sprechen von 30 Tonnen, nach Schätzungen der nepalesischen Armee liegen auf dem Mount Everest gar 140 Tonnen Abfall. Dazu gehören dann defekte und zurückgelassene Zelte sowie Kleidungsstücke, Essensverpackungen, Kocher, leere Wasserflaschen, Bierdosen und Sauerstoffflaschen, die Bergsteiger über Jahrzehnte liegen lassen. Hunderte Leichen nicht zu vergessen, die vereist bis zu 150 Kilogramm wiegen. Diese weisen sogar eine bizarre und makabre Art der Nachhaltigkeit auf, da sie als Wegmarkierungen dienen.
Mehr als 300 Menschen starben bislang beim Versuch, den legendären Berg zu bezwingen. Allein in diesem Jahr sind es bislang vier. Ursachen sind plötzliche Wetterumschwünge, Erschöpfung, die Höhenkrankheit oder Abstürze. Viele Bergsteiger starben in der sogenannten Todeszone mit geringem Sauerstoffgehalt in einer Höhe jenseits von 7.000 Metern. Die meisten der Leichen können nicht geborgen werden, da der Abtransport für die Retter zu gefährlich ist. Außerdem sind die Kosten für eine Bergung sehr hoch. Sherpas bezeichnen den Aufstieg auf den Gipfel daher teilweise auch als „Leichengasse“.
Natürlich denkt man in einer solch extremen Situation, die an Grenzen und darüber hinausführt, nicht zuerst daran, einen Gelben Sack und eine Greifzange oder was auch immer parat zu haben, um Müll aufzusammeln. Beim Abstieg gilt es, Spalten und Eisblöcke zu überwinden und wieder Kontrolle, statt einen Umweltpreis zu gewinnen. Bevor man nun jedoch mit dem Finger auf „den bösen Westler“ zeigt, der die Welt zumüllt, muss auch darüber gesprochen werden, dass der ökologische Gedanke in der Everest-Heimat selbst nicht so eng gesehen wird. Der „Stern“ etwa berichtet 2022, dass abseits der Touri-Regionen wenig auf Müllbeseitigung geachtet werde: „Täler voller Plastiktüten, Flussbetten voller Fäkalien, Berge von Blechdosen und undefinierbare wilde Müllhalden aller Art gibt es überall in dem armen Land.“
Noch hat die Regierung in Nepal keine wirkliche Lösung für das Problem, aber zumindest sollen Beamte die Müllablagerung auf dem Berg überwachen. Auch die Besucherzahlen werden reguliert, etwa durch das Verbot von Solo-Aufstiegen. Ausländische Bergsteiger dürfen Expeditionen zudem nur noch mit einem staatlich geprüften Alpinisten starten. Seit 2014 ist auch jeder Bergsteiger dazu verpflichtet, rund acht Kilogramm Müll auf dem Weg zurück zum Basislager zu sammeln, berichtet die Zeitung „Independent“. Diese Zahl wurde gewählt, weil Fachleute ausgerechnet haben, dass dies die Menge ist, die man entlang des Aufstiegs abwirft. Zudem müssen die Expeditionen ein Müllpfand zahlen. Eine Summe also, die nur zurückbekommt, wer besagte Menge aufsammelt. Wer aber mindestens 49.000 Dollar für Genehmigung, Verpflegung, Sherpas und Sherpanis sowie Unterkünfte bezahlt, für den dürften zusätzliche 4.000 Dollar an Pfand vernachlässigbar sein.
Verpflichtung, Müll einzusammeln
Dann gibt es Initiativen wie EcoHimal, die sich der nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der in den Himalaya-Regionen gelegenen Ländern sowie der Erhaltung der Umwelt und dem Schutz der natürlichen Ressourcen als Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung verschrieben haben. Das Projekt wurde von der lokalen Bevölkerung initiiert und umfasst Aufräum-Expeditionen am Berg sowie die Installation lokaler Müll- und Recycling-Anlagen entlang der Trekkingroute von der Landebahn in Lukla bis zum Everest Base Camp. Zudem soll ein Verhaltenskodex alle Trekking- und Kletteraktivitäten in der Region schulen und auch die lokale Bevölkerung für die Wichtigkeit zum Erhalt der Biodiversität und zur modernen Abfallwirtschaft sensibilisieren.
In der Region gibt es auch sogenannte Clean-ups – kleine Frühjahrsputz-Aktionen, bei denen der heilige Berg von Müll befreit werden soll. Eine Initiative von Nepali und Deutschen bietet sogar Clean-up-Trecks an. Dabei räumen Urlauber auf ihren Touren durch den Himalaja den Müll von anderen weg und bezahlen dafür weniger für ihre Reise. Bei einem Beispiel, über das die BBC berichtete, standen vor allem recycelbare Materialien wie Plastik, Dosen, Verpackungen und Sauerstoffflaschen im Mittelpunkt. Dabei sollten die Sherpas Unterstützung von der staatlichen Müllaufsicht bekommen, dem Sagarmatha Pollution Control Committee. Die BBC bemängelte jedoch, dass es auch diesmal an den treuen Sherpas hängen geblieben sei. Das Problem des wilden Mülls ist also vielen Menschen bekannt, doch das Lösen des Problems bleibt bei einigen wenigen hängen – wie so oft.