Ehdaa Al-Barwani ist die einzige weibliche Tauchlehrerin im Oman. In dem Sultanat bricht sie damit gesellschaftliche Barrieren. Sie kämpft für Frauen im Sport und für den Schutz der Unterwasserwelt in der noch unbekannten Tauchdestination.

Das erste, was von Ehdaa Al-Barwani zu sehen ist, sind Luftblasen. Immer mehr kräuseln sich an der türkis-blauen Wasseroberfläche, bis sich schließlich die breite graue Strähne zeigt, die sich durch ihr dunkles Haar zieht. „Geht es dir gut?“, fragt sie ihren Tauchpartner, der neben ihr auftaucht. „Ja“, ruft der Holländer, nachdem er sich den Atemregler seiner Sauerstoffflasche aus dem Mund gezogen hat: „Das war toll!“ Fast eine Stunde waren die zwei zwischen den Felsen und Riffen der Daymaniyat-Inseln, rund 20 Kilometer nordwestlich vor der Küste der omanischen Hauptstadt Maskat, unterwegs. Sie haben neben zahlreichen Fischschwärmen Muränen und Leopardenhaie gesehen. „Und wie fast immer haben sich Stachelrochen in den Felsspalten versteckt“, sagt Al-Barwani. In dem Gebiet um die neun unbewohnten Inseln im Golf von Oman kennt sich die 38-jährige Tauchlehrerin aus. 1996 wurde es zum Naturschutzgebiet ernannt. Al-Barwani besucht es meist mehrmals die Woche mit ihren Schülern, zeigt ihnen und solchen mit Tauchschein die spektakuläre Unterwasserwelt: Um die zahlreichen bunt schimmernden Weich- und Hartkorallen tummeln sich hier Karettschildkröten, Gelbschwanz-Barrakudas, Makrelen, Barsche, Sepien und Seesterne. Mit Glück begegnen einem auf der Fahrt zu den Tauchplätzen Delfine und im Spätsommer sogar Walhaie.
Trotz der Vielfalt gelten die Daymaniyat-Inseln und auch die anderen Tauchspots entlang der über 3.000 Kilometer langen Küste des Omans als Geheimtipp – und Ehdaa Al-Barwani in der jungen Tauchwelt des Sultanats als Seltenheit. „Dee“, wie sie von allen genannt wird, ist die erste und bisher einzige einheimische Tauchlehrerin des Landes. Tauchgang für Tauchgang kämpft sie dafür, dass sich das ändert. Dank ihr trauen sich immer mehr omanische Frauen, den Sport auszuprobieren, sie überwinden Ängste und gesellschaftliche Barrieren. Und lernen eine neue, paradiesische Seite ihrer Heimat kennen – für deren Schutz Al-Barwani täglich kämpft.
Viele Frauen leben zurückgezogen

Schon als Kind verbrachte die drahtige Wassersportlerin viel Zeit am und im Ozean vor der Küste Maskats, in den Wadis, den zahlreichen Flusstälern Omans, oder in öffentlichen Pools. Sie besuchte eine britische Privatschule, mit 17 zog sie fürs Studium nach Australien. Ihren ersten Tauchkurs machte sie während eines Heimatbesuchs in ihren Semesterferien. „Ich fand’s toll“, erinnert sich Al-Barwani. Doch dass Tauchen einmal mehr als ein Hobby für sie sein würde, konnte sich die junge Frau damals nicht vorstellen. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie im Personalwesen und Marketing großer omanischer Unternehmen. „Ich verdiente gut und hätte aufsteigen können“, erinnert sie sich. „Aber ich war nicht glücklich.“ Dee kündigte und begann zu reisen: nach Europa, Ostafrika und Südostasien. Bei einem Tauchgang in Thailand beobachtete sie Clownfische, die sich in Anemonen vor Fressfeinden versteckten, und bestaunte Papageienfische, die mit ihren Zähnen Algen und abgestorbene Korallenteile abknabberten, die Riffe so säuberten und Grundlagen für neue Korallen schufen. „Alles interagierte in diesem Ökosystem“, schwärmt Al-Barwani. Ein anderes Mal schwamm plötzlich ein kleiner Walhai auf sie zu. Für mehrere Minuten kreiste das Tier interessiert um sie. „Das war der Moment, in dem ich endlich wusste, was ich in Zukunft machen will!“
Sie ließ sich zur Tauchlehrerin ausbilden, reiste als solche von Land zu Land. 2017 übernahm sie eine Stelle in Dhofar, der südlichsten Provinz Omans. Wie überall wollte sie eigentlich nur eine Saison bleiben. Doch einmal angekommen, realisierte sie, dass es in ihrer Heimat keine einzige weibliche Tauchlehrerin gab. „Das wollte ich ändern.“ Ende 2019, wenige Monate vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, eröffnete sie in Maskat ihre eigene Tauchschule Aura Divers. Dort bietet sie auch reine Frauen-Kurse an.
Obwohl das Sultanat im Vergleich zu den benachbarten Golfstaaten als liberal gilt, Frauen studieren, arbeiten, wählen dürfen und wichtige Ministerinnen-Posten innehaben, sind traditionelle Geschlechterrollen weit verbreitet. Vor allem im ländlichen Oman leben viele Frauen zurückgezogen im Privaten, nur mit der engeren Familie. Sie kümmern sich um den Haushalt und die Kinder. Männer und Frauen verbringen ihre Freizeit eher getrennt. Zu freizügige Kleidung und ein enger Kontakt zum anderen Geschlecht sind außerhalb der Ehe zumeist verpönt. Dass ein Mann eine Frau im Badeanzug oder Bikini und ohne Kopftuch sieht, sie beim sogenannten Buddy-Check, der gegenseitigen Kontrolle des Equipments vor jedem Tauchgang, gar berührt, ist für viele traditionell geprägte Väter, Brüder und Ehemänner undenkbar. Und auch Frauen selbst fühlten sich nicht wohl, von Männern unterrichtet zu werden, erklärt Al-Barwani.

Ihre Idee kam daher gut an: Sofort nach der Eröffnung fand sie Kundinnen. Selbst während des ersten, strengen Lockdowns im Oman meldeten sich zahlreiche Frauen zum Online-Theoriekurs an, kamen zu ihren Tauchstunden, sobald Dee wieder Touren anbieten durfte. „Das Team bestand damals nur aus mir und meinem Kapitän“, sagt Al-Barwani, die mittlerweile vier Angestellte hat, in der Hauptsaison zwischen Oktober und Februar sogar doppelt so viele. „Ich war selbst überrascht, wie viele Frauen und Mädchen sich damals bei mir meldeten“, erinnert sie sich. Wegen ihnen überlebte das junge Tourismusunternehmen auch die Pandemie: Die Frauen brachten ihre Familien mit. Und als Gäste das Land wieder bereisen durften, kamen die Touristinnen.
„Ich möchte vor allem Frauen ermutigen, Tauchen für sich zu entdecken. Unabhängig von Familienstand oder Religion.“ Al-Barwani selbst glaubt nicht, zumindest nicht an Allah oder den Islam als Religion. „Aber vielleicht an eine gewisse höhere Kraft.“ Etwas, das an ihrem Geburtstag vor sechs Jahren dafür sorgte, dass ihr Pebble zulief. Wenn sie nicht gerade im Meer abtaucht, verbringt sie ihre Freizeit gerne mit dem Mischling. Pebble zieht stärker an der Hundeleine, zerrt sein Frauchen über einen Strand in einem Vorort von Maskat – vorbei an Familien, die im Sand picknicken, kickenden Männern und an Frauen, die verschleiert in langen schwarzen Abayas und Hijabs in Richtung der Sayyida-Fatima-Bint-Ali-Moschee spazieren.
Manchmal wollte sie aufgeben

Sultan Qabus bin Said ließ sie wie zahlreiche Gotteshäuser im Oman erbauen. Niemand hat das Land an der Ostflanke der arabischen Halbinsel so stark beeinflusst wie er. 1970 stürzte der damals 30-Jährige mithilfe der Briten seinen unbeliebten Vater. Als neuer Sultan nutzte er den Reichtum, den das kurz zuvor entdeckte Erdöl in die Staatskassen gespült hatte, und modernisierte den Oman radikal. Qabus bin Said, der 2020 starb und dessen Konterfei bis heute in nahezu jedem öffentlichen Gebäude hängt, verteilte kostenlos Essen, ließ im Land Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und Straßen bauen, brachte selbst in die entlegensten Dörfer Elektrizität und Wasser. Er etablierte eine kostenlose Gesundheitsversorgung, schuf Arbeitsplätze, sorgte für landesweite Alphabetisierungskurse und kostenlose Bildung – besonders für Frauen. Wer sie bilde, bilde das Volk, lautete sein Credo.
Trotz der Förderung des Sultans gebe es aber noch immer zu wenige Frauen in Führungsrollen oder erfolgreiche Selbstständige. „Wir müssen besonders stark sein“, sagt Al-Barwani.
Nachdem Dee die Entscheidung traf, sich mit der Tauchschule selbstständig zu machen, kaufte sie sich von ihrem Ersparten als erstes ein zwölf Meter langes Motorboot. In den Monaten danach bezog sie die Bänke mit hellen Polstern, baute Regale und Halterungen für die Sauerstoffflaschen und verkleidete die hohen Seitenwände mit Holz. Hinter ihnen sind Frauen vor ungewollten Blicken geschützt. „Ich musste mir vieles selbst beibringen und habe Fehler gemacht“, gibt Al-Barwani zu. Einmal nutzte sie eine falsche Lackfarbe, die nach wenigen Tauchgängen abblätterte. „Trotzdem sparte ich so gerade zu Beginn Geld und Nerven.“
Viele der anderen Tauchschulbesitzer stammen aus traditionellen Fischerfamilien. Bereits ihre Väter und Großväter besaßen eigene Boote. Sie kennen die besten Werkstätten und schnellsten Bootsbauer. Wissen, das sie mit Neulingen nicht gerne teilen. Zudem wird Al-Barwani in der Männerbranche unterschätzt. Dass auch sie sich mit Motoren und Technik auskennt, ist für viele schwer vorstellbar. Beschwert sie sich über Reparaturen, wird sie als hysterisch bezeichnet.

Klar sei sie immer wieder verzweifelt: bei besonders respektlosem Verhalten, wenn man sie in einer Werkstatt künstlich hingehalten hatte, oder als sie erfuhr, dass sie ihren sturmgeschädigten Motor ersetzen und sich bis dahin auf Booten anderer Tauchschulen einmieten müsse. Manchmal habe sie dann überlegt, aufzugeben und alles zu verkaufen. „Aber das kann und will ich nicht“, sagt Al-Barwani. „Dafür habe ich zu viel erreicht.“ Für die Mädchen und Frauen, die heute mit Freude tauchen. Aber auch, indem sie sich gegenüber der Naturschutzbehörde der Daymaniyat-Inseln über Fischernetze beschwert, die sich in den Riffen verhaken und Korallen und Fische töten. Oder als sie in traditionellem Gewand und Kopftuch tauchen ging und dabei Plastikmüll sammelte. Bilder von der Aktion gingen durch nationale und internationale Medien. „Wir müssen Aufmerksamkeit schaffen und über die Gefahren für unsere Unterwasserwelt aufklären“, sagt Dee. Am besten funktioniere das immer noch, wenn die Menschen das Paradies und dessen Zerstörung mit eigenen Augen sehen. Al-Barwani zeigt, wie sehr die Riffe leiden, wo Müll landet und wie stark auch im Oman Korallen aufgrund des erwärmten Ozeans bleichen. Danach, so hofft sie, werden ihre Gäste stärker für den Erhalt des Ökosystems kämpfen.
Das nächste Ziel ist ein Tauchshop

An den Daymaniyat-Inseln ist der Tauchtag vorbei, das Schnellboot steuert den Hafen Maskats an, laut klatscht es auf die Wellen. Al-Barwani sitzt mit großer Sonnenbrille im Schneidersitz auf einer Bank im Schiffsbug und blickt aufs Wasser. Ihr größter Traum ist es, einmal Chefin eines rein omanischen Tauchlehrerinnen-Teams zu sein. Bislang ist in ihrer Heimat keine Frau ihrem Vorbild gefolgt und hat aus dem Hobby eine Karriere gemacht. Auch weil es in dem Öl-Land Oman sicherere und lukrativere Jobs gibt.
Doch der Rohstoff ist endlich. Das Sultanat versucht, die Abhängigkeit davon zu mindern und die Wirtschaft breiter aufzustellen. Die Investitionen, heute von Sultan Qabus’ Cousin und Nachfolger Haitham bin Tarik geleitet, fließen zunehmend in die IT-Branche, in die Modernisierung der Fischerei, in erneuerbare Energien. Der Tourismus wird zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes ausgebaut.
Al-Barwani schmiedet derweil weitere Pläne: Tauchkurse für Menschen mit Einschränkungen zum Beispiel. Oder einen eigenen Tauchshop. „Im Oman gibt es keinen“, sagt sie. Bisher müssten alle ihr Equipment importieren, es zur Wartung oder Reparatur ins Ausland senden. „Da sehe ich großes Potenzial.“ Es wäre eine weitere Marktlücke, die die Omani in ihrer Heimat schließt.