Vom virtuellen Lieferdienst zum physischen Laden: „Milano Vice“ hat in Berlin-Prenzlauer Berg gerade seine erste Pizzeria eröffnet. Dort können Pizza-Liebhaber neben Klassikern auch ungewöhnliche Varianten und einen Kulinarik-Trend aus Übersee kosten.

Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an „Miami Vice“. In der US-amerikanischen Kultserie aus den 1980er-Jahren ging es um zwei verdeckte Ermittler im subtropischen Florida. Mit pastellfarbenen Leinensakkos, schnellen Motorbooten und Ferraris als Dienstwagen waren Don Johnson als James „Sonny“ Crockett und Philip Michael Thomas als Ricardo „Rico“ Tubbs auf der Jagd nach Drogenhändlern und anderen Kriminellen. Die spezielle 80er-Jahre-Coolness der Serie stand Pate, als die beiden deutschen Entrepreneure Rudolf Donauer und Dennis Murselovic ihr Start-up „Milano Vice“ gründeten. Angefangen hat das Ganze vor etwa drei Jahren zunächst als reiner Pizza-Lieferdienst, der seit Januar seinen ersten Flagship-Store in Berlin-Prenzlauer Berg hat. Die neue Pizzeria ist verkehrsgünstig an der Schönhauser Allee in unmittelbarer Nähe des U-Bahnhofs Eberswalder Straße gelegen.
Knapp ein Dutzend Sorten im Repertoire

Bei meinem ersten Besuch fällt mir die in Quietschgelb und Schwarz lackierte Ape vor der Tür auf. Ein kurzer italienischer Moment flackert auf. Dann betrete ich das Innere des Fastfood-Ladens, und es wird amerikanisch und sehr 80er-Jahre-mäßig: Das Ambiente ist geprägt von industriellem Edelstahl, Wandpaneelen aus Walnussholz und Glasbausteinen. „Das kommt jetzt alles wieder“, sagt Co-Gründer Dennis Murselovic über den Retro-Look. „Das Konzept ist zu 30 Prozent italienisch und 70 Prozent vice, also amerikanisch“, erklärt er den Firmennamen. Ich erfahre, dass die Bochumer Soda Group das Interieur der 60 Quadratmeter großen Location entworfen hat. Auch musikalisch geht es an der Schönhauser Allee 44 wie im vergangenen Jahrhundert zu. „Wir spielen viel Italo-Pop und Italo Disco-Songs aus den 80er-Jahren“, sagt Rafal Szajgin. Der Berliner ist der Area-Manager der neuen Pizzeria und soll auch während unseres Fototermins ein paar Tage später unser Gastgeber sein. Rafal Szajgin hatte schon einige Jahre als Kellner gejobbt, bevor er mit dem „Quchnia“ sein eigenes Restaurant eröffnete. Über zwölf Jahre betrieb er sein Lokal am Gendarmenmarkt. Doch eines Tages überwog der Wunsch nach Sicherheit, geregelten Arbeitszeiten und mehr Zeit für die Familie. So entschied sich der Gastronom, wieder zurück in ein Angestelltenverhältnis zu wechseln und wirbelt jetzt in Prenzlauer Berg.

Die beiden Gründer Dennis Murselovic und Rudi Donauer haben zuvor eine Zeit lang für den Lieferdienst „Delivery Hero“ gearbeitet. Während Rudi Donauer aus München kommt, hat Dennis Murselovic seine Wurzeln im Hamburg. Nach einem Bachelor als Wirtschaftspsychologe war der Hamburger als Betriebsleiter im australischen Melbourne bei „Foodora“ tätig, das von „Delivery Hero“ aufgekauft wurde. Danach arbeitete Dennis Murselovic im Iran als operativer Geschäftsführer bei „Snappbox“. Sein Geschäftspartner Rudi Donauer hat nach einem Master in Business Analytics and Big Data unter anderem im Investment Banking gearbeitet und war später als Entwicklungsmanager bei „Delivery Hero“ tätig. Mit der Gründung des Online-Glücksspiel-Unternehmens „Mintablo“ ist Rudi Donauer schon einmal als Entrepreneur in Erscheinung getreten.
Im Jahr 2021 taten sich die beiden Wahl-Berliner schließlich zusammen und gründeten im Januar 2022 ihren Lieferdienst „Milano Vice“. Das Konzept ihres Start-ups unterscheidet sich von anderen Ghost- oder Dark-Kitchen-Restaurants in einem entscheidenden Punkt: Während sonst die Anbieter ihre Standorte kaufen oder anmieten müssen, lagert „Milano Vice“ die Arbeit an bereits etablierte Standorte aus, die noch freie Kapazitäten in ihren Küchen übrighaben. Dazu zählen außer Restaurants auch Bäckereien und Imbisse. Die virtuellen Küchen produzieren die runden Köstlichkeiten dann nur noch. Gegebenenfalls liefern sie sie eventuell auch noch aus, sofern sie nicht einen Lieferdienst damit beauftragen. Währenddessen kümmert sich das Berliner Start-up-Unternehmen um den Rest. Soll heißen: Das Team um Dennis Murselovic und Rudi Donauer entwickelt die Rezepte, die Verpackungen und den Markenauftritt.
„Pizzahandwerk vom Feinsten“

Knapp ein Dutzend Sorten befinden sich im Repertoire, darunter auch Klassiker wie zum Beispiel Pizza Margherita, Salami oder Thunfisch. Als Reminiszenz an eine längst vergangene Zeit darf natürlich auch die Pizza Hawaii nicht fehlen. Als ich den begleitenden Fotografen während unseres Besuches darauf hinweise, ernte ich bitterböse Blicke von meinem Kollegen. Das hatte ich mir schon gedacht. Italiener nehmen die Spezialitäten ihres Landes sehr ernst – vielleicht sogar zu ernst. Dabei bietet die Pizza mit Ananas im Hause „Milano Vice“ sogar cremigen Fior di latte als Extra-Gimmick. Doch es hilft alles nichts. Pizza Hawaii ist und bleibt für meinen Kollegen ein kulinarisches No-Go. „Darauf steht in Italien die Todesstrafe“, hatte er während eines anderen Treffens einmal ironisch kommentiert, als ich damals das Thema auf die ungewöhnliche Pizzavariante lenkte.
Gut, dass auch ich kein besonderes Faible für diese Geschmacksrichtung hege. Zumal wir an der Schönhauser Allee 44 viel spannendere Kompositionen goutieren können. Dazu zählen die beiden Signature-Dishes wie die Tartufo Bianca und die Lemon Stracciatella Pizza. Beide sind mit mehr als 15 Euro etwas teurer, doch ihr Genuss ist den Preis wert. Die Variante Lemon Stracciatella überzeugt mich durch ihre Mischung aus sahnig-cremigem Büffel-Mozzarella und süß-saurer Zitronencreme, deren Geschmack an englischen Lemon Curd erinnert. Regelrecht auf der Zunge zerschmilzt auch die Tartufo Bianca: Hier fusionieren geraspelter Sommertrüffel, weißes Trüffelöl und Crème fraîche zu einem zarten Schmelz.

Basis aller Pizzen ist übrigens die spezielle Teigmischung alla „Milano Vice“ aus Reis-, Soja- und Weizenmehl, die eigens aus Italien importiert wird. „Der Teig geht 24 Stunden lang“, berichtet Manager Rafal Szajgin, während ich in das ofenwarme Etwas mit dem krossen Rand und dem aromatischen Belag beiße. Auch mein fotografierender Begleiter ist sehr angetan. Und das will etwas heißen für einen waschechten Italiener. Ähnliches gilt für einen Food-Blogger, der zufällig am Tisch neben uns sitzt. „Das ist Pizzahandwerk vom Feinsten“, lobt er. Sein persönlicher Favorit ist die „Hot Honey“, eine neue Pizza-Variante, die in den Vereinigten Staaten längst im Trend liegt. Hier fusionieren scharfe Salami, Knoblauch und Honig. Auch uns schmeckt die Vereinigung der Gegensätze hervorragend. In den USA gibt es für diese Geschmacksrichtung auch schon eine neue Wortschöpfung: swicy – ein Kofferwort aus sweet (süß) und spicy (scharf).
Wem das nicht scharf genug ist, kann für jede Pizza eine pikante Paste zum kleinen Aufpreis dazu bestellen. Zur Auswahl stehen

derzeit ein Knoblauch-Dip und ein Crispy-Chili-Dip. Letzterer besteht aus einer Mayo-Frischkäse-Mischung und einem Topping aus der populären Chiliöl-Paste des chinesischen Herstellers Lao Gan Ma. In den nächsten Monaten sollen weitere Dips angeboten werden. Weniger scharf, dafür aber sehr gemüsig, kommt die Pizza „Very Veggy“ daher. Die Komposition aus halb getrockneten Tomaten, frischer Paprika, roten Zwiebeln und ligurischen Taggiasca-Oliven ist knackig und äußerst aromatisch.

Bislang gehören zum Unternehmen 23 virtuelle Lokale in Berlin. Auch in anderen deutschen Großstädten wie zum Beispiel in Hamburg, Frankfurt, München, Düsseldorf und Köln hat das Unternehmen Franchise-Partner.
Jetzt wollen Dennis Murselovic und Rudi Donauer mit ihrem Unternehmen weiter expandieren. Allein in Berlin sollen bis zu fünf weitere Schnellimbiss-Pizzerien eröffnet werden. Der Plan der beiden könnte aufgehen. Schließlich hat der italienische Klassiker aus dem Ofen eine riesengroße Fan-Gemeinde, überall in der Welt. In Europa würden jede Sekunde mehr als 50 Pizzen konsumiert, hat Co-Gründer und Geschäftsführer Rudi Donauer einmal gesagt. Bei meiner Recherche erfahre ich, dass weltweit jede Sekunde sogar 951 Pizzen verspeist werden sollen. Na, wenn das so ist: Buon appetito!