Die CDU/CSU lässt im Koalitionsvertrag festhalten, dass das erste Fusionskraftwerk in Deutschland stehen soll. Der Weg dorthin ist jedoch weit und China ist uns einen Schritt voraus.

Eine künstliche Sonne, erschaffen von Wissenschaftlern – dieses Szenario würde auf einen Schlag viele irdische Energieprobleme lösen. Aber zu welchem Preis? Im Februar feierte die Kernfusionsforschung einen großen Erfolg: Der erste Forschungsreaktor hielt das superheiße Plasma für 18 Minuten lang stabil – bei einer Temperatur von 100 Millionen Grad. Diesen Erfolg feierte jedoch nicht die europäische, nicht die westliche, sondern die chinesische Spitzenforschung: Der für den Durchbruch verantwortliche Reaktor „East“ steht in der chinesischen Stadt Hefei. Technisch gesehen muss das Plasma mindestens 1.000 Sekunden stabil bleiben, um sich selbst zu erhalten. Dieser Zwischenschritt ist chinesischen Forschern damit gelungen. Doch bis zu einem Kraftwerk ist der Weg noch lang. Kernproblem bleibt, dass dem Reaktor derzeit noch immer mehr Energie zugeführt werden muss, als er produziert, um den Fusionsprozess überhaupt erst in Gang zu setzen.
1.000 Sekunden Stabilität

Auch Europa investiert seit Jahrzehnten Milliarden in die Fusionsforschung: zwischen 2021 und 2027 fließen insgesamt fünf Milliarden Euro in das internationale Projekt namens ITER, an dem neben der EU auch die USA, China, Russland und Südkorea beteiligt sind. Daneben existieren viele weitere, teils privat finanzierte Projeke von Unternehmen, die mit unterschiedlichen technischen Methoden das Ziel der Kernverschmelzung erreichen wollen. Für die Regierungsparteien in Deutschland ist klar, dass der erste funktionsfähige Fusionsreaktor in Deutschland stehen soll. Dies forderte bereits das Wahlprogramm der CDU/CSU zur Bundestagswahl 2025. Wie realistisch dies ist, darüber gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Bislang galt als einzige „Konstante“ in der Fusionsforschung, dass ein Reaktor „in etwa 30 Jahren“ Energie liefern könnte – und die Forschung daran begann bereits in den 50er-Jahren.
„Ich denke, diese sogenannte ‚Fusionskonstante‘ gilt nicht mehr“, ist sich jedoch Hartmut Zohm sicher. Er ist Professor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Fusionsforschung. „Es ist sehr realistisch, dass ITER in den 2030er-Jahren ein brennendes Plasma erzeugen wird, was das Erreichen des Meilensteins ‚Selbstheizung des Plasmas‘ bedeutet. Und durch die Gründung von Start-up-Unternehmen hat sich zusätzlich eine ganz neue Dynamik entwickelt, die auch die Fusionstechnologie – den ersten Meilenstein – voranbringen.“

Die weiteren notwendigen Meilensteine nennt Zohm ebenfalls: „Wir müssen als Erstes zeigen, dass unser Konzept für den Brennstoffkreislauf funktioniert. Ein Fusionskraftwerk soll ja die benötigte Menge Tritium kontinuierlich während des Betriebs aus Lithium erzeugen. Als Zweites müssen wir zeigen, dass sich das Fusionsplasma nach der Zündung aus sich selbst heraus heizt, also dauerhaft ‚brennt‘, und als Drittes, dass sich die Kombination aus den beiden erstgenannten Punkten technisch zuverlässig realisieren lässt.“
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bleibt skeptisch. In einer kürzlich veröffentlichten Studie untersuchte das Institut den aktuellen Forschungsstand. „Aus energiewirtschaftlicher Perspektive ist die Kernfusion heute von einer kommerziellen Nutzung genauso weit entfernt wie in den 1950er-Jahren, als die Entwicklung für zivile Zwecke anlief“, so Studienautor Christian von Hirschhausen. „Für die Energiewende ist sie damit irrelevant.“ Insbesondere das ITER-Projekt steht seitens der Studie in der Kritik. Ursprünglich war ein Demonstrationsreaktor für die 2020er-Jahre geplant. Auch die Kostensteigerungen seien immens. „Wurde zunächst mit rund fünf Milliarden Euro kalkuliert, ist jetzt teilweise von mehr als 50 Milliarden Euro die Rede“, heißt es.
Fusionskonstante: „in 30 Jahren“
Trotzdem setzt Europa weiter auf ITER, auch wenn durch die Beteiligung vieler Länder und mittlerweile Unternehmen Qualitätsfragen bei Materialien und der Technik ein Thema sind. Prof. Dr. Constantin Häfner, Vorstand für Forschung und Transfer der Fraunhofer-Gesellschaft, verteidigt das Projekt. ITER habe gezeigt, wie wichtig es sei, frühzeitig die Industrie mit ins Boot zu holen und eine funktionierende Lieferkette aufzubauen. „Denn vor allem aufgrund von Qualitätsproblemen und Störungen in der Lieferkette kam es zu Verzögerung im Bau des Forschungsreaktors“, so Häfner. Im Juli vergangenen Jahres stellten die Projektverantwortlichen die angepasste Roadmap vor. Demzufolge ist geplant, dass der wissenschaftliche Betrieb 2034 startet und das erste Plasma mit Deuterium-Tritium 2039 erstmalig gezündet werden soll. „Damit wird der Forschungsreaktor voraussichtlich das weltweit erste Experiment sein, das beweisen kann, dass mittels Fusion ein selbst brennendes Plasma mit positiver Energiebilanz erreicht werden kann“, sagt Häfner – dass also mehr Energie im Reaktor erzeugt als zum „Starten“ benötigt wird.
„Bei aller Kritik am Projektverlauf von ITER hat das Vorhaben den Fortschritt in der Magnetfusion erheblich vorangetrieben“, ist sich Häfner sicher. Davon profitieren mittlerweile auch Start-ups, darunter beispielsweise das Münchener Unternehmen Proxima Fusion, die einen kompakten Fusionsreaktor entwickeln wollen. Das Unternehmen entstand aus dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik heraus.
China will unabhängig sein
China dagegen treibt die eigene Fusionsforschung voran, auch aus strategischem Interesse im sogenannten Fünfjahresplan der Kommunistischen Partei. Denn je mehr Energie es selbst produziert, desto weniger ist das Land abhängig von fossilen Brennstofflieferungen aus dem Ausland. Zu dieser Strategie gehört auch der massive Ausbau eigener Kraftwerke, das Vorantreiben von Solar- und Windenergie. Mit weiteren bedeutsamen Fortschritten in der Fusionstechnologie könnte das Land in absehbarer Zeit seinen schon heute immensen Energiehunger stillen.

Ob der erste kommerziell nutzbare Fusionsreaktor in China, Deutschland oder den USA stehen wird, hängt auch von Fördergeld ab. Das DIW fordert eine Verlagerung der Forschungsförderung, weg von Grundlagenforschung, hin zu anwendungsorientierten Bereichen. Dazu gehört auch die Start-up-Förderung für Unternehmen wie Proxima Fusion. Um sein Vorhaben umzusetzen, hat das Unternehmen bereits 60 Millionen Euro eingeworben. Davon stammt die eine Hälfte aus öffentlichen Mitteln, die andere von privaten Investoren. Der Zeitplan von Proxima Fusion ist bewusst ambitioniert: Bereits 2027 soll der Bau der Demonstrationsanlage „Alpha“ beginnen. 2031 will das Team zeigen, dass der Demonstrator mehr Energie produziert als er verbraucht.
Der internationale Wettlauf ist längst eröffnet. Denn auch zahlreiche andere Unternehmen verfolgen das Ziel, einen Fusionsreaktor für den kommerziellen Einsatz zu bauen. Das wohl vielversprechendste Vorhaben mit dem kürzesten Zeithorizont stammt aus den USA: Commonwealth Fusion Systems hat mit etwa zwei Milliarden US-Dollar bereits die nötigen finanziellen Mittel eingeworben und Ende 2021 mit dem Bau ihres Prototyps „Sparc“ begonnen. Schon 2027 soll „Sparc“ Energie produzieren. Ob das Unternehmen bis dahin alle technischen Hürden nehmen kann, muss sich allerdings zeigen.