Weltweit suchen Tausende nach Kurzzeit-Aufpassern für Haus, Garten und/oder Hund– eine grandiose Möglichkeit, ein Urlaubsland ganz anders kennenzulernen: spannend, intensiv und kostengünstig. Besonders aufregend gestaltet sich eine solche Mission in Afrika. FORUM-Autor Christian Haas hat’s ausprobiert.

Gleich zu Beginn des Videocalls stellt Jess klar: „In Botswana einen Hund als Haustier zu halten, ist eine andere Nummer als in Europa. Denn einfach so um den Block Gassi gehen, ist angesichts von freilaufenden Elefanten, Pavianen und Warzenschweinen nicht unbedingt einfach.“ Und die 35-jährige Südafrikanerin muss es wissen, lebt sie doch seit Jahren mit ihrem botswanischen Ehemann Matt in der 10.000-Einwohner-Kleinstadt Kasane. Was die Designerin ebenfalls berichtet: „Die meisten Einheimischen finden, dass Hunde auf die Straße und nicht ins Wohnzimmer gehören, höchstens vielleicht noch in den Zwinger. Aber für uns bedeutet Spicy alles, er ist immer um uns herum.“ (Aus Rücksicht auf die Privatsphäre wurden die Namen geändert. Anm. d. Red.)
Plattform Trusted Housesitters

Alle Achtung, dass das kinderlose Paar jemandem wie uns, die wir keinerlei persönliche Verbindung haben, seinen Herzallerliebsten anvertrauen würde! Aber den Rhodesian Ridgeback-Mischling auf ihre Reise mitnehmen, gehe nun mal nicht, sagt Jess. Und Freunden könne man die Betreuung über zwei Wochen ebenfalls nicht zumuten. Was mit entsprechenden Facebook-Gruppen sei? Da hätten sie nur Schlechtes gehört, von wegen kurzfristige Absagen oder gar geplünderte Wohnungen. „Bei Trusted Housesitters hingegen herrscht große Seriosität, allein durch die obligatorischen Reviews und die aufwendigere Anmeldung.“

Auf jener Plattform, mit mehr als 200.000 Mitgliedern weltweite Nummer eins bei der Vermittlung von Haus- und Tiersittern, haben wir uns gefunden. Wir auf der Suche nach einer Bleibe, um auf großer Südafrikatour mal durchschnaufen zu können, Jess und Matt auf der Suche nach verlässlichen Hundehütern. Zack, ein Match! Es folgten zwei, drei Mailrunden und jetzt der Anruf, bei dem freilich auch wir erzählen – von uns, den großen Kindern, dem Kater, der generellen Tierliebe. Jess wiederum berichtet von sich und Spicy, von dem wir nun weit mehr erfahren als auf der Webseite steht. Zum Abschluss fällt die Frage, ob wir etwas dagegen hätten, wenn der 25-Kilo-Rüde bei uns im Bett schlafen würde?
Das Gefühl, Einheimische zu sein

Ah, ok. Leichte Irritation – und leichte Nervosität nach diesem „Bewerbungsgespräch“. Schließlich sind noch zwei andere Pärchen im Recall. Doch ein paar Tage später dann ein Daumen rauf, mittlerweile im eigenen Whatsapp-Kanal. Check! Jetzt lässt sich um die zwei Wochen herum planen. Dazu gehört auch, bereits am Nachmittag vor Jess’ und Matts Abreise einzutrudeln, damit uns alles gezeigt wird: Terrasse, Zimmer, Nachbarschaft und allen voran natürlich Spicy. Der hat Temperament und würde, hielte man ihn nicht zurück, glatt an einem hochspringen, wobei seine Pfoten dann ungefähr auf Schulterhöhe lägen. Während der Site Inspection weicht er nicht von der Seite, womöglich in Erwartung der zweiten Tagesessration? Doch zuvor fahren wir zur fünf Autominuten entfernten Farm, auf der Süßkartoffeln, Bananen und Co. angebaut werden. Matt erklärt: „Der Vorteil ist, dass man hier den Hund mal laufen lassen kann. Auf der Straße undenkbar.“ Aufpassen müsse man trotzdem. „Einmal hat es ein Leopard über den Zaun geschafft, ich hab’ ihn auf einem Ast gesehen.“ Für ihn als Naturfotografen ein Jackpot, aber natürlich kennt er auch die Horrorgeschichten aus der Umgebung. Einmal wurde ein Pferd von einem Löwen gerissen, ein anderes Mal ein Hund von einem Krokodil, als dieser am Chobe-Fluss herumstreunte. Schluck. Die Vorstellung, dass Spicy etwas passiert, gleicht einem Albtraum. Jess’ und Matts Nummer eins wird also zu unserer, als sie sich tags drauf unter großem Gejaule (von Spicy) verabschieden. Als wir hinter den beiden das Schiebetor zur superruhigen Nebenstraße hin schließen, sind wir also allein mit Spicy. Und mit dem Gefühl, keine Touristen zu sein, sondern quasi Einheimische, da wir hier ja privat (und komplett umsonst) unterkommen. Verantwortung und eine Mission haben – und einen Alltag. Plus auf dem Küchentisch Nummern von Tierärzten, Freunden und Nachbarn, die man wie Matts Arbeitskollegen im „Pangolin Chobe Hotel“ jederzeit kontaktieren dürfe. Daneben ein Ortsplan mit Kreuzen, die uns Jess’ Tipps in Erinnerung rufen: „The Old House: tolle Terrasse, gutes Essen!“, „Shoprite mit viel besserem Gemüse als Choppies“ und „Nacht-Safari von der Chobe Marina Lodge – genial.“

Müsste man ankreuzen, wo man beim Gassigehen „Wildlife“ begegnen könnte, wäre alles voll. Im Gegensatz zu den Nachbarländern werden ja in Botswana Nationalparks nicht eingezäunt. Sprich: Wildtiere können einem überall begegnen. Und das erleben wir auch in den kommenden Tagen. Beim Inder: Warzenschweine grunzen unter der Terrasse. Auf dem Heimweg: Ein Elefant schubbert sich an der Laterne. Und überall Paviane, auf der Straße, auf dem Hausdach, auf dem Amarulabaum im Garten. Die Affenbande macht Spicy rasend. Immer wenn er die Baboons hört, schießt er kläffend vom Sofa und raus. Mit vereinten Kräften zerren wir ihn dann wieder ins Haus. „Er hasst Paviane“, haben wir Matt im Ohr. Und: „Er würde den Kürzeren ziehen.“ Da ist er wieder, der Albtraum vom verletzten Hund.
Der Nationalpark wird erkundet

Geht ja zum Glück alles gut. Auch dank intensivem Bonding! Wir spielen und knuddeln viel, schon bald wird es zum Ritual, dass Spicy mir durchs Gesicht schlabbert und Küsschen gibt – der Zweijährige ist trotz stattlichem Körper sehr verspielt. Und, na klar, schläft er brezelbreit im Bett, Guten-Morgen-Bussi inklusive. Auch ein Erfolgsfaktor: alles zu zweit respektive zu dritt machen. Vor allem die kurze Gassirunde am Morgen vorm Haus. Wo es viele Spuren zu erschnüffeln gibt, „die News of the night“, wie Matt meinte. Und wo stets der Welpen-Sixpack von nebenan wartet, um mit Spicy herumzutollen, bis sich Leine und Hündchenbeine zu einem gordischen Knoten verwursteln. Die Atmosphäre: lustig bis anstrengend, aber friedlich. Im Gegensatz zu Büffeln. Da soll einer vor Kurzem sogar mal ein Kind angefallen haben. Offenbar kommt es auch mit ungezähmten Straßenhunden immer wieder zu Zwischenfällen. Kein Wunder, wenn Einheimische angesichts von Spicy mitunter die Straßenseite wechseln. Woher sollen sie auch wissen, dass er ein „good boy“ ist? Und das ist er. Bei der täglichen Farmrunde wird er mitunter zum „fast boy“, wenn er mit seinen vierbeinigen Buddys um die Fischteiche und um die Wette flitzt, während wir uns mit den Besitzern in von Tag zu Tag längere Gespräche vertiefen. Aber hey, was machen Bella und Spicy denn da? Sie wälzen sich im Schlamm eines abgelassenen Fischbeckens! Aber was soll’s, im Auto wartet ein Schonbezug, zu Hause die Dusche. Auch hier helfen vier Hände besser als zwei.
Eine Vielzahl intensiver Momente

Doch den ganzen Tag mit dem Hund beschäftigt sind wir mitnichten. Jenseits der Routine am Morgen und am späten Nachmittag kann Spicy gut alleine bleiben. Zeit, die Ministadt Kasane sowie den Nationalpark zu erkunden. Und man sieht alles mit anderen, mit Einheimischen-Augen. Kommt ja auch mit ihnen, insbesondere den Nachbarn, ins Gespräch. Ob sie auch Probleme mit dem Wasser hätten („ganz normal“), dem Internet („gemach, kommt gleich wieder“), dem Strom? Nein? Dann liegt das Problem wohl bei uns respektive dem fehlenden sogenannten „Token“, mit dem man Strom im Voraus bezahlt, wie bei einem Prepaid-Handy. Spannend – und gut, wenn Strom, Therme und Kühlschrank wieder laufen! Das Beste jedoch: Als „Freunde von Matt“ dürfen wir in „seinem“ Hotel nicht nur Trinkwasserbomben holen, sondern kommen auch mit den Kollegen ins Gespräch und in den Genuss, sie auf Fotopirsch zu begleiten. Die großartige Flora und Fauna des Nationalparks holen wir mit Superkameras und Profitipps noch näher ran, genial! Und immer werden wir als die „Germans, die auf Spicy aufpassen“ vorgestellt. Das bringt uns Wohlwollen ein – und Privilegien. Hier ein Gratiskaffee, dort ein vergünstigter Eintritt. Wir scheinen hier wirklich ein besonderes Los gezogen zu haben. Das zeigt auch die Vielzahl intensiver Momente. Die sind mal lustig (wenn Spicy Yogaübungen nachzumachen versucht), mal nervig (Kann man denn nie ausschlafen?), mal beängstigend (als zwei Mastiffs, die schon einen anderen Hund auf dem Gewissen haben, auf uns zugeschossen kommen) und mal cool. Etwa als wir mal wieder mit dem Wagen durch den Ort cruisen. Hier und da Leute, die man nun kennt, grüßt und hinten Spicy bei halb offenem Fenster seinen Kopf raushält. Als wir nach zwei Wochen den liebgewonnenen Vierbeiner wohlbehalten an die überglücklichen Besitzer übergeben, werden wir beim Abschied fast ein wenig wehmütig.