Der Berliner Kultursenator Joe Chialo ist zurückgetreten. Seine Nachfolgerin ist die bisherige Kulturstaatssekretärin Sarah Wedl-Wilson.
Ballade, Frauenstimme, Liebe?“, fragt der Kultursenator, bevor er den Auftrag an die KI, einen Sound zu komponieren, in den Computer tippt. „Große Liebe“, ergänzt der Regisseur. Es ist ein knappes Jahr her, seit Joe Chialo mit Tom Tykwer auf der Bühne im Lokschuppen des Technischen Museums stand, um über KI und ihre Auswirkungen auf die Kultur zu sprechen. Der coole Senator Chialo, der ganz in seinem Element zu sein schien, und der Erfolgs-Regisseur Tykwer erklären die Welt – für einen Augenblick schien es, als wäre Joe Chialo der Richtige für dieses Amt. Am 2. Mai hat er es zur Verfügung gestellt, seinen Rücktritt erklärt.
Ein Leben „zwischen den Welten“
Als der CDU-Bürgermeisterkandidat Kai Wegner seinen Parteifreund Joe Chialo im Wahlkampf für die Stelle des Kultursenators ins Gespräch gebracht hat und ihn dann im April 2023 nach dem CDU-Wahlsieg auch zum Senator für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt gemacht hat, kam das für viele überraschend. Dabei war Chialo bereits im „Zukunftsteam“ von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet 2021 für die Kultur zuständig und sitzt seit Anfang 2022 im CDU-Bundesvorstand. Der Weg, der ihn dahin gebracht hat, war einer voller Wendungen.
Joe Chialo wurde als Sohn eines tansanischen Diplomaten in Bonn geboren, machte in einem katholischen Internat Abitur, ging danach aber nicht studieren, sondern erlernte den Beruf des CNC-Fräsers. In seinem Buch „Der Kampf geht weiter“ beschreibt er sein Leben „zwischen den Welten“ Metallarbeiter, Sänger in einer Metal-Band, Türsteher und schließlich Musiklabel-Manager bei Universal. Ein ungewöhnlicher Lebenslauf, aber nicht die beste Startvoraussetzung für das Amt des Berliner Kultursenators.
Chialo hat anders als andere Senatorinnen und Senatoren nämlich keine Hausmacht in der Berliner CDU aufgebaut. Als es im vergangenen Jahr ans große Sparen ging, sollte das die Kultur besonders hart treffen. Die Berliner Kultureinrichtungen mussten im Haushalt 2025 rund 130 Millionen Euro einsparen, knapp zwölf Prozent des vorgesehenen Budgets. Andere Senatsverwaltungen kamen deutlich besser weg. Und im kommenden Jahr sinkt der Etat für Theater und andere Kultureinrichtungen um weitere 34 Millionen Euro.

Schnell war in der Kulturszene die Rede vom „Vertrauensverlust“. Als der Senat die Sparpläne bekanntgab, waren die Spielzeiten teilweise schon geplant, Verträge gemacht. Man hatte sich darauf verlassen, dass alles bleibt wie vereinbart. Und einige warfen dem Kultursenator vor, nicht hart genug kämpft zu haben für seinen Etat – und damit das Geld, das für Theater, Konzerthäuser, Museen und andere Kulturorte bereitsteht.
In Videokonferenzen mit den Theaterintendanten und anderen Managerinnen und Managern aus der Kultur habe Joe Chialo keine gute Figur macht, berichteten Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Medien. Ja, er wolle Schließungen verhindern, habe der Senator gesagt – „so weit wie möglich“. Gleichzeitig kündigte er „kulturpolitische Richtungsentscheidungen“ an. Das klang für viele Kulturschaffende danach, dass eben doch einige Einrichtungen nicht überleben werden.
Joe Chialo sprach dagegen von „Spargerechtigkeit“ und Solidarität und davon, dass er Härtefälle prüfen wolle. Habe er denn dafür auch das Geld – für die Härtefälle? Der Senator, so haben es die Betroffenen an die Medien weitergegeben, sei solchen Fragen ausgewichen, habe sie schwammig beantwortet oder ganz ignoriert. Auch die Frage, ob er denn hinter all dem stehe, ob er diese Maßnahmen für richtig halte, die offenbar vom Finanzsenator verordnet und vom Regierenden Bürgermeister abgesegnet wurden. Chialo habe daraufhin den Sanierer gemimt, auf die leeren Kassen und die klaren Beschlüsse der Politik hingewiesen. Es habe kein offenes Wort der Kritik von Chialo an der Linie des Senats gegeben. Stattdessen habe er von einer „Herkulesaufgabe“ gesprochen. „Einen Kultursenator, der klaglos alles erträgt und sein Gebiet kampflos abgibt“, schrieb daraufhin der „Tagesspiegel“ über Joe Chialo.
Andere, nicht weniger verzweifelte Akteure der Kulturszene fragten: Ja, was hätte er denn tun sollen? Die Antwort gab Chialo am 2. Mai. „Im vergangenen Jahr habe ich die geforderten Einschnitte im Kulturhaushalt schweren Herzens mitgetragen – im Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung für die Stadt“, schreibt Chialo da in seiner Rücktrittserklärung. Und: „Die nun geplanten weiteren Kürzungen greifen jedoch zu tief in bestehende Planungen und Zielsetzungen ein, verändern zentrale fachliche Voraussetzungen und führen so zur drohenden Schließung von bundesweit bekannten Kultureinrichtungen.“
Dialog mit den Einrichtungen
Die Konsequenz für ihn sei, schrieb der Kultursenator: „Wenn sich zentrale politische und fachliche Ziele dauerhaft nicht mehr im gegebenen Rahmen umsetzen lassen, ist es aus meiner Sicht konsequent, einen Schritt zur Seite zu machen und das Amt in neue Hände zu legen.“ Schon wenige Tage später war klar, in wessen Hände Kai Wegner Chialos bisheriges Amt legen wird: Die bisherige Nummer zwei hinter dem Senator, Kulturstaatssekretärin Sarah Wedl-Wilson, wird die neue Chefin. Der Regierende Bürgermeister hatte zuvor erklärt, dass er bereits seit einigen Monaten mit Sarah Wedl-Wilson an „Lösungsmodellen“ für die vom Spardiktat betroffenen Kultureinrichtungen arbeite. Die Kulturstaatssekretärin habe den Dialog mit den Berliner Kultureinrichtungen bereits organisiert.
Es wirkt, als atme man sowohl im Rathaus, als auch in der Kultursenats-Verwaltung auf. Wobei es nicht wenige gibt, die nachtreten – in der Politik und in den Medien. Es seien nicht die Sparmaßnahmen, die er angeblich nicht mehr vertreten könne, gewesen, sondern die pure Enttäuschung über die Personalpolitik seiner Partei, die Joe Chialo dazu gebracht habe, frustriert aufzugeben. Der Senator habe damit gerechnet, dass er für die klaglose Umsetzung der Berliner Sparmaßnahmen und dafür, dass er dafür den Kopf hingehalten hat, mit einem Amt auf Bundesebene belohnt wird. Und lange war Chialo wirklich für die Stelle des Staatsministers für Kultur und Medien im Kanzleramt gehandelt worden. Sein Berliner Rücktritt kam nur wenige Tage, nachdem Friedrich Merz angekündigt hatte, Wolfram Weimer für diese Aufgabe ins Kanzleramt zu holen.
Für diese These spricht, dass Joe Chialo sich bisher als recht standhaft erwiesen hat. Im September vergangenen Jahres wurde der Senator während einer Veranstaltung von Pro-Palästina-Aktivisten beleidigt und bedroht. Chialo, der immer wieder seine Solidarität mit Israel bekundet und sich gegen Antisemitismus in der Kulturszene starkmacht, wurde bei der Eröffnung des „Zentrums für Kultur und Urbanistik“ bedrängt. Weil der Senator bis dahin nicht unter Polizeischutz stand, dauerte es eine Weile, bis genügend Beamte vor Ort waren, um die Gruppe zurückzudrängen. Der Senator blieb unverletzt. Kurz darauf wurde allerdings die Fassade seines Hauses mit roter Farbe beschmiert. Er sei „als Senator gewohnt, auch in robuste Auseinandersetzungen zu gehen“, sagte Chialo danach. „Aber dass man mich in meinem privaten Umfeld aufsucht und auch meine Familie miteinbezieht, das ist eine Grenzüberschreitung, die mich schockiert hat.“ Chialo stand ab dann unter Polizeischutz – was in Berlin für einen Kultursenator ungewöhnlich ist.
Bundesweite Aufmerksamkeit für den Berliner Senator erzeugte der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz, als öffentlich wurde, dass er ihn auf einer privaten Feier als „Hofnarr“ bezeichnet hatte. Zuletzt machte Chialo Schlagzeilen, weil er wegen einiger Geschwindigkeitsübertretungen seinen Führerschein abgeben musste.
„Ballade, Frauenstimme, Liebe?“ Die Antwort der CDU-Regisseure auf Bundesebene und Berlin war nicht so erfrischend wie die von „Babylon Berlin“-Regisseur Tom Tykwer vor einem Jahr im Technischen Museum. Die Techniker der Macht hatten kein Interesse an einem Sound, den Joe Chialo kreiert – mit oder ohne KI.