Elektroautos sind klimafreundlicher als Verbrenner, doch ihre Akkus schmälern die Umweltbilanz. Die Industrie will die Rohstoffe künftig zurückgewinnen. Aber ist das Recycling wirklich machbar – oder nur ein Märchen?
Eine Fabrikhalle in Hilchenbach nahe Siegen. Ein lautes Rattern durchdringt den Raum, gefolgt von einem Quetschgeräusch, wie bei einem Plastikflaschen-Automaten im Supermarkt. Überall sind Rohre und Transportbehälter zu sehen, in der Ferne quietscht eine Flex. Die Luft riecht nach – ja, nach was eigentlich? Elektrolyte, Kupfer, Sulfate? Die Warnschilder auf den Plastikcontainern machen jedenfalls klar, dass man ihren Inhalt lieber nicht berühren sollte: „Ätzend!“, „Gesundheitsschädlich!“, „Umweltgefährdend!“.
In einem kleinen Büro, das über der Halle thront, schaut Alexander Sacherow auf die Recycling-Anlage. Während unten die Mitarbeiter mit Overalls, Schutzbrillen und Handschuhen umherlaufen, trägt der Betriebsleiter ein blütenweißes Hemd. Die Smartwatch an seinem Handgelenk zeigt 11.30 Uhr. „Aktuell haben wir noch einen Zwei-Schicht-Betrieb“, erklärt Sacherow. „Ab dem Frühjahr arbeiten wir dann 24 Stunden durch.“
Das Produkt, das für eine solch gute Auftragslage sorgt, wiegt mehrere Hundert Kilo und enthält zahlreiche wertvolle Rohstoffe: Elektroauto-Batterien. In einem einzigen 50-Kilowatt-Akku stecken laut einer ADAC-Untersuchung etwa vier Kilo Lithium, elf Kilo Mangan, zwölf Kilo Kobalt, zwölf Kilo Nickel und 33 Kilo Grafit. Zwar haben Studien immer wieder nachgewiesen, dass E-Autos (auf ihren gesamten Lebenszyklus gerechnet) deutlich klimafreundlicher sind als solche mit Verbrennungsmotor. Der Abbau der Batterie-Rohstoffe schafft jedoch erhebliche soziale und ökologische Probleme.
Bisher kaum Recycling-Material
In Bolivien, Chile und Argentinien, wo 70 Prozent der weltweiten Lithium-Vorkommen lagern, leidet die indigene Bevölkerung schon heute unter Landraub, Luft- und Wasserverschmutzung. Im Kongo müssen sogar Frauen und Kinder unter Lebensgefahr Kobalt schürfen, wie der US-Menschenrechtsaktivist Siddharth Kara in seinem jüngsten Buch „Cobalt Red“ wirkungsvoll beschreibt. Der Boom der Elektromobilität dürfte den Rohstoff-Run weiter verschärfen. So schätzt das Freiburger Öko-Institut, dass im Jahr 2030 allein für E-Autos 240.000 Tonnen Lithium benötigt werden.
Da erscheint es nur logisch, dass bestehende Akkus nach ihrem Ableben möglichst gut wiederverwertet werden. Die Primobius GmbH, die die Fabrikhalle in Hilchenbach betreibt, hat sich genau dieses Ziel gesetzt. Das Unternehmen ist ein Joint Venture des deutschen Maschinenbauers SMS und des australischen Konzerns Neometals. Mit ihrer Fabrik schließen die beiden Unternehmen eine Wette auf die Zukunft ab: Je schneller das Aus des Verbrennungsmotors voranschreitet, je mehr E-Autos auf den Markt kommen, desto größer wird die Nachfrage nach Recycling – eine technische Herausforderung und gleichzeitig ein Millionengeschäft.
Doch wird die Wette schnell genug aufgehen? Lassen sich E-Auto-Batterien wirklich so gut recyceln, wie es die Industrie nach außen darstellt? Lohnt sich das Geschäft für Umwelt, Verbrauchende und Unternehmen? Und wie viele der extrahierten Materialien landen am Ende wirklich wieder in neuen Batterien? Noch gibt es mehr Fragen als Antworten, was diese hoffnungsvolle Technologie betrifft.
Zwölf Uhr mittags in Hilchenbach. Während manche Arbeiterinnen und Arbeiter schon in der Kantine sitzen, demonstriert Betriebsleiter Sacherow den Recyclingprozess: Per Schiebewagen holt er mehrere Akkublöcke hervor, die in einem Metallcontainer lagern. An jeden der Blöcke sind Kabel angeschlossen – fast so, als würden die ausgedienten Batterien Starthilfe geben. „Eigentlich sollten die Akkus leer bei uns ankommen“, sagt Sacherow, „aber manche müssen wir noch drei Stunden entladen. Auf diese Weise machen wird den Prozess sicherer und speisen sogar noch Strom in unsere Anlage.“
Ein paar Meter weiter folgt Schritt zwei. Ein Mitarbeiter, bekleidet mit Maske und Schutzbrille, entfernt ein Batteriegehäuse per Flex. Es zischt und staubt, dann wandern Aluplatten, Kunststoffe, Kabel und Kupferleitschienen in bereitstehende Container. Zum Schluss klebt er die entkernten Zellverbünde mit einem Kunststoffband ab – eine weitere Sicherheitsmaßnahme, diesmal gegen Funkenflug.
Die meisten Module, die bei Primobius landen, sind Ausschussware: fehlerhafte Akkus oder Prototypen von Herstellern, die gerade eine eigene Zellfertigung aufbauen. „Echte“ Elektroauto-Batterien landen bisher fast nie auf dem Schrott. Zum einen, weil die meisten Stromer noch jung und fahrtüchtig sind. Zum anderen, weil den wenigen Modulen, die aktuell anfallen, oft noch ein zweites Leben winkt. Beispiel BMW: Für sein Werk in Leipzig nutzt der Autobauer neue und alte E-Auto-Batterien als Pufferspeicher. So ist Ökostrom auch dann verfügbar, wenn sich die Windräder einmal nicht drehen.
Die Folge: Noch gibt es nur wenig Material, das überhaupt recycelt werden könnte. „Die Akkus halten sehr lange“, sagt Christoph Neef, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI). Schon Anfang 2020 haben Neef und sein Team einen Faktencheck zu E-Auto-Batterien veröffentlicht: Wie umweltfreundlich sind sie? Reichen die Rohstoffe? Und: Wie gut klappt das Recycling der Altbatterien? „Technisch machbar und (…) in Pilotanlagen umgesetzt“ lautete damals das Fazit.
Autokonzerne bauen erste Pilotanlagen
Und heute? „Hat sich viel getan“, sagt Neef. Der Markt sei stark in Bewegung, immer mehr Akteure entdeckten das Recycling als potenzielle Geldquelle. „Manche gehen nun voran und bauen eine eigene Infrastruktur auf“, erklärt der Wissenschaftler und nennt Primobius als Beispiel. Andere täten sich mit Partnerfirmen zusammen oder warteten ab. Dabei ist die Richtung längst klar: In vielen Staaten tritt in den kommenden Jahren ein Verbrenner-Verbot in Kraft. In der EU dürfen ab 2035 nur noch klimafreundliche Fahrzeuge zugelassen werden. Eine Prognose von Bloomberg geht davon aus, dass aktuell fast eine Million E-Autos pro Monat auf den Weltmarkt kommen – ein gigantischer Berg an künftigem Sondermüll.
Trotzdem, schätzt Fraunhofer-Forscher Neef, werde sich das Bild erst ab 2030 klar drehen. Ab diesem Zeitpunkt gebe es in Europa mehr Recyclingmaterial als -kapazitäten. Und dann? „Vielleicht werden die Batterien in Zukunft zum Recycling exportiert“, überlegt der Experte. „Da gibt es noch viele ungeklärte Fragen.“ Um nicht überrumpelt zu werden – und ein lukratives Geschäft zu verlieren –, rät Neef der Industrie, schon heute zu handeln. „Natürlich ist es bis 2030 noch lange hin und eine Fabrik kann schnell aufgebaut werden. Aber diese Investitionen müssen jetzt kommen.“
Die Gedankenspiele erinnern an das jahrelange Debakel um die Lade-Infrastruktur: Sollte man massenhaft Ladestationen aufstellen, ohne dass es genügend E-Autos gibt? Geld verdienen lässt sich damit erst mal nicht. Bleiben die Investitionen aber aus, schaffen sich die Leute wegen mangelnder Stromquellen erst recht kein E-Auto an. Ein klassisches Henne-Ei-Problem.
Fragt man die deutschen Autokonzerne, wie viel sie schon recyceln und welche Strategie sie für die Zukunft haben, kommt viel Allgemeines und wenig Konkretes. BMW schreibt: „Wir sehen Recycling nicht als unser Kerngeschäft.“ Man arbeite aber mit externen Partnern zusammen. VW verweist auf eine erste Pilotanlage sowie eine künftige Zellfabrik in Salzgitter, die 2025 ans Netz gehen soll. Mercedes betont, die eigenen Fahrzeuge seien „auf eine lange Lebensdauer ausgelegt. Entsprechend ist erst in den 2030er-Jahren mit signifikanten Mengen von Akkus für das Recycling zu rechnen.“ Vorsorglich baue man in Kuppenheim trotzdem schon eine Pilotanlage, die eine Jahreskapazität von 2.500 Tonnen umfasse.
In Hilchenbach hingegen läuft das Recycling schon heute. Über ein Fließband gelangen die entladenen Module zu einem Schredder, der wie ein gigantischer Aktenvernichter funktioniert. Es klackt und quietscht, während gleichzeitig Wasser und Stickstoff in den Reißwolf strömen – ein weiterer Schutz gegen Feuer. Noch sei nie etwas passiert, beteuert Primobius-Mitarbeiter Artur Niedens, der das Fließband überwacht. Er leuchtet mit einer Taschenlampe in den Schacht, in dem sich der Schredder dreht. „Ab und zu bleibt mal was stecken“, sagt Niedens. „Dann muss ich mit einem Stab die Verstopfung lösen.“
Wenn der Schredder seine Arbeit getan hat, bleibt ein Gemisch übrig, in dem sich nicht nur die begehrten Rohstoffe befinden, sondern auch Kunststoff- und Metallteile sowie Reste der Isolationsfolie. Ein Sieb filtert die groben Partikel heraus. Dann kommt ein Vakuumtrockner zum Einsatz, der sich wie ein übergroßer Betonmischer dreht. Getrennt davon wird die sogenannte „Black Mass“ gesammelt, ein schwarzes Gemisch, das Nickel, Kobalt und Lithium enthält – die Grundlage für neue Batterien.
Also ein echter Kreislauf? Nicht ganz. Noch endet der Prozess nämlich in vielen Fällen mit der schwarzen Masse. Diese ist nicht mehr als Gefahrgut eingestuft und kann daher leichter entsorgt werden. Echtes Recycling – neue Batterien aus alten machen – ist das aber noch nicht, denn dafür müssten die Rohstoffe voneinander getrennt werden. Primobius betont, an genau diesem Schritt bereits zu arbeiten. „Durch die Zugabe verschiedener Säuren brechen wir die Schwarzmasse auf“, erklärt Betriebsleiter Sacherow. „So können wir über 90 Prozent der Rohstoffe zurückgewinnen.“ Der Haken: Noch funktioniert dieses Verfahren nur im kleinen Maßstab. Primobius verkauft die schwarze Masse deshalb weiter. Wohin genau, verrät die Firma nicht.
„Ethisch vertretbare Ressourcenkette“
Noch immer wird das Verfahren verfeinert, auch bei anderen Unternehmen. So baut der Chemiekonzern BASF im brandenburgischen Schwarzheide eine Recyclinganlage, welche die schwarze Masse im großen Stil aufbrechen soll. Der angepeilte Produktionsstart: 2024. Wie genau das Verfahren funktioniert und ob es wissenschaftliche Veröffentlichungen dazu gibt, beantwortet das Unternehmen nicht. Auch der Anteil der Rohstoffe, der zurückgewonnen wird, bleibt offen.
International gibt es bislang ebenfalls hauptsächlich Ankündigungen. Beispiel Redwood Materials: Ab 2025 will das US-Unternehmen jährlich eine Million Elektroautos mit Batterien versorgen, hergestellt aus neuen und recycelten Materialien gleichermaßen. Für dieses Vorhaben wurde Unternehmensgründer JB Straubel medial gefeiert; sogar im US-Senat durfte er reden. Wie weit das Projekt wirklich gediehen ist, lässt sich indessen nur erahnen. Auf eine Interviewanfrage für diesen Artikel antwortet die Firma nicht.
„Noch hat industriell niemand bewiesen, dass man allein aus Rezyklat eine neue Batterie herstellen kann“, gibt auch Fraunhofer-Forscher Christoph Neef zu bedenken. Er ist überzeugt, dass entsprechende Anlagen kommen werden, allein schon wegen der bevorstehenden Verschärfung der EU-Batterieverordnung. „Ich wäre aber vorsichtig, was die Effizienz angeht und wie grün es am Ende wirklich ist“, sagt der Wissenschaftler. „Welchen Anreiz hätte denn eine Firma, mehr Lithium zurückzugewinnen als vorgeschrieben, falls es teurer ist als eine Neugewinnung?“
Frage an Mercedes: Welche Kosten-Nutzen-Rechnung macht der Hersteller bei seinem Recycling-Projekt auf? Lohnt sich das? Die Antwort der Pressesprecherin: „Die Batterie von heute ist die Mine von morgen.“
Zurück in Hilchenbach. Am Ende der Fabrik-Tour holt Betriebsleiter Sacherow drei gläserne Stehkolben hervor. In ihnen befinden sich die Materialien, die im Laufe des Recyclingprozesses herausgefiltert wurden: Einer ist gefüllt mit den Resten von Isolierfolie, ein weiterer mit Kupferstücken – und schließlich einer mit schwarzer Masse. Wenn man es nicht wüsste, könnte man das trockene Pulver für gemahlenen Pfeffer halten. Aufs Brot sollte man die giftigen Substanzen aber lieber nicht streuen. Schon bald, sagt Sacherow, eröffne Primobius in Zusammenarbeit mit Mercedes eine neue Fabrik, die die schwarze Masse weiter aufbrechen könne. „Wenn das Verfahren einmal im großen Maßstab läuft, hätten wir eine ethisch vertretbare Ressourcenkette in ganz Europa“, schwärmt der Betriebsleiter. Wenn – ja, wenn.