Auf Spurensuche nach den Ursachen menschlicher Unzulänglichkeit
Auf der Jagd nach der Mikrobe der menschlichen Dummheit findet Dr. Prätorius den Tod. Diese heute fast vergessene Tragikomödie des luziden Altmeisters Curt Goetz hält sich strikt an die klassische Maxime des Friedrich Schiller, wonach selbst Götter gegen die Dummheit vergeblich kämpfen. Auch die Tatsache, dass jemand, der dumm ist, nicht bemerkt, dass er dumm ist, weil er dumm ist, wird am Fall Prätorius beispielhaft bestätigt.
Was ist Dummheit? Wie diagnostizieren wir sie? Und welches Medikament oder welche Therapie ließe sich zur Bekämpfung der menschlichen Dummheit anwenden? Äußerst schwierig zu beantwortende Fragen – zumal ja immer „die anderen“ die Dummen sind. Selbstversuche sind somit ausgeschlossen. Das ist – wen wunderts – seit der Antike so. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, die Geschichte der Dummheit sei die Geschichte der Menschheit.
Schon die alten Griechen kannten den „Idioten“. Ein Schwachsinniger? Weit gefehlt! Der Idiot war einer, der sich ins Privatleben zurückgezogen hatte, der sich aus öffentlichen Angelegenheiten heraushielt und keine Ämter bekleidete. Für den griechischen Schriftsteller Plutarch war ein Idiot jedoch minderwertig, denn unter ihm gab es nur noch die Frauen und die Sklaven.
In der Antike galt die entschuldigende römische Weisheit „Errare humanum est“ – „Irren ist menschlich“. Die Griechen Aristophanes und Aristoteles kannten in ihren Werken den geistig Minderbemittelten, obschon die Abwertung des aus dem griechischen Sprachschatz stammenden Idioten in der abendländischen Kultur erst im 18. Jahrhundert ihren Lauf nahm. Zuvor konnte im christlichen Mittelalter nur „dumm“ sein, wer nicht gottesfürchtig war, denn Gott war das Maß aller Dinge.
In einer Welt, die nach der Aufklärung annahm, dass die Menschen immer klüger würden und Fortschritt produzierten, die ihre Genies verehrte und schließlich mit der Französischen Revolution von 1789 den Eindruck erweckte, dass alle die gleichen Rechte hätten (obwohl eine Gleichstellung nicht für Frauen und für Schwarze aus den Kolonien galt), schien es unangemessen, über die menschliche Dummheit zu reflektieren. Es konnte sogar als Anmaßung empfunden werden. Denn wer wollte da den ersten Stein werfen? Der oft unterschätzte Schriftsteller Robert Musil („Der Mann ohne Eigenschaften“) hat 1937 in Wien in einem tiefsinnigen und langen Vortrag über die Dummheit sogar behauptet, sie sähe dem Fortschritt, dem Talent und der Hoffnung sehr ähnlich.
Wahrscheinlich wurde solche Rücksichtnahme erst mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen hinfällig. Der streitbare Sozialdemokrat Kurt Schumacher bescheinigte der von den Deutschen umjubelten und mit Wählerstimmen überhäuften NSDAP 1932 in einer seiner letzten Reichstagsreden „die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit“. Auch hier bleibt seit 1945 nur Ratlosigkeit und die Frage „Wie konnte es geschehen?“.
Der jahrelange Hitler-Sympathisant und Automobil-Fürst Henry Ford schien einer von denjenigen zu sein, bei denen sich Intelligenz und Dummheit auf wundersame Weise, ganz im Sinn der Überlegungen von Robert Musil, paarten. Als Ford in einem Prozess vor Gericht Aussagen machen sollte, konnte er nicht sagen, wann die USA unabhängig wurden und was Chili con Carne ist. Als der Richter sogar mutmaßte, Ford sei Analphabet, nickte der Automobilproduzent nur mit dem Kopf und wagte keinen Widerspruch.
Arrogante Altkluge verweisen bei solchen Beispielen gern auf den russischen Dichter Alexander Ostrowski, der des Rätsels Lösung vermeintlich schon 1868 mit seiner Komödie „Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste“ (oder nach anderer Übersetzung „Klugsein schützt vor Torheit nicht“) lieferte.
Somit gehört die Dummheit wie bei Henry Ford zur menschlichen Natur und führt heute selbst so kluge Zeitgenossen wie den Ausnahmejournalisten Peter Scholl-Latour („Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung“) oder den Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa („Wir versinken in einem Meer der Verdummung“) ad absurdum. Die Mikrobe der menschlichen Dummheit ist nicht auszurotten und wer sie jagt, muss fürchten, es mit dem Leben zu bezahlen.