Warum Digitalisierung ein durchweg menschliches Problem ist
Es trug sich zu, dass ich auf der Straße ein zwar älteres, aber noch funktionstüchtiges Smartphone fand. Also ab zum Fundbüro. Mein Plan: Smartphone nehmen, hinbringen, gegebenenfalls einen Wisch unterschreiben und wieder zurück. Sie ahnen es: Es stellte sich alles ein wenig komplizierter dar.
„Ich hoffe, Sie haben ein wenig Zeit mitgebracht. Seit Jahresanfang haben wir ein neues IT-System, und Sie sind der erste, der eine Fundsache bringt. Sie sind sozusagen unser Versuchskaninchen.“ Das waren die Worte der Verwaltungsmitarbeiterin. Ach herrje. Ich zog also schon mal vorsorglich Mütze, Schal und Jacke aus.
Was ich ursprünglich als fünf- bis zehnminütiges Unterfangen eingeplant hatte, dauerte alles in allem 40 Minuten. Ich musste im Übrigen nicht warten. Ich kam sofort an die Reihe, und dennoch dauerte es 40 Minuten. Ich sage es gleich vorweg: Das hier wird keine Hasstirade auf die zuständige Verwaltung. Auch nicht auf die jeweiligen Mitarbeiterinnen. Es geht mir nur darum aufzuzeigen, wo der Haken an der ach so dringend geforderten Digitalisierung ist.
Das Grundproblem ist einfach beschrieben: Das Formular, in das die Mitarbeiterin die einzelnen Angaben eintrug – Angaben zu meiner Person als Finder und die Fragen, was wo wann gefunden wurde –, akzeptierte die Angaben nicht. Man konnte nicht auf „weiter“ klicken. Es hing, wie der IT-Fachmann (ich) sagt. Leider war nicht ersichtlich, wo genau es hakte. Man muss sich das vorstellen: Es gibt hunderte Verwaltungsaufgaben, die in der Software abgebildet werden. Und von jetzt auf gleich ist alles zwar so ähnlich wie früher, aber eben nicht mehr genauso. Und genau darin liegt eine trügerische Sicherheit. Man meint zu wissen, wo man klicken muss, das Programm lässt einen aber nicht.
Es blieb nicht bei einer Mitarbeiterin. Eine zweite kam hinzu – schließlich eine dritte. Doch erst nach etwa 30 Minuten war man so weit, dass ich mich so langsam zur Unterschrift bereit machen konnte. Mit der Betonung auf „langsam“. Denn eigentlich sollte auf dem Tablet vor mir ein Feld erscheinen, in dem ich digital und papierlos meine Unterschrift draufsetze und damit in die Freiheit entlassen werde. Ich kürze es ab: Am Ende habe ich auf einem zweiseitigen Papierausdruck unterschrieben.
Was aber sind die Lehren aus einem solchen Erlebnis? Nun, ich neige dazu zu sagen, dass Digitalisierung in allen Belangen kein technisches, sondern ein menschliches Problem ist. Die Software an sich existiert und funktioniert. Sicher, mal besser, mal schlechter, aber alles in allem mangelt es nicht an Software-Lösungen. Nun müssen diese Software-Lösungen aber ja auch irgendwie eingeführt werden. Es braucht Schulungen. Das machen Menschen. Je nachdem, wie gut geschult wird, sind die „Geschulten“ in der Lage, das Gelernte umzusetzen. Die „Geschulten“ sind also der nächste Faktor Mensch. Meist konzentriert sich die Diskussion auf sie, wenn es zum Beispiel heißt, die Verwaltungen hätten ja gar kein Interesse daran, neue Systeme einzuführen und würden somit die Digitalisierung behindern. Auch das mag stimmen. Aber eben nur teilweise.
Denn es gibt daneben noch eine weitere Gruppe, die Verantwortung für die Digitalisierung übernehmen kann. Na, haben Sie’s erraten? In dem Fall gehörte ich selbst dieser Gruppe an. Denn anstatt verständnisvoll und geduldig zu reagieren, hätte ich auch – wie ein Mann hinter mir, der aus allen Wolken fiel, dass auch noch andere Menschen etwas auf dem Amt zu erledigen hatten, und das auch lautstark kundtat – die Nerven verlieren können. Aber da ist es auch an uns, als diejenigen, die am Ende der Kette stehen, Verständnis zu zeigen. Ich gehe davon aus: Wenn ich bei der Sache die Nerven behalte und die Mitarbeiterin den Vorgang einmal komplett durchspielen kann, wird es ihr bei der nächsten Fundsache schon leichter fallen.
Wir können nicht einerseits Digitalisierung fordern und andererseits sofort eskalieren, wenn etwas nicht wie gewünscht läuft. Ja, Digitalisierung ist überfällig, und wir hängen vielleicht hinterher. Das bedeutet aber nicht, dass sie trivial ist. Mit Verständnis beginnt es. Umarmen Sie Ihr inneres Versuchskaninchen!