Der Kreuzberger Johannes Groschupf überlebte 1994 als Einziger ein Hubschrauberunglück in der Sahara. Das veränderte sein Leben. Er wurde Schriftsteller und verfasste mehrere Bestseller.
Algerien, Sommer 1994: Nach einem aufregenden Tag in der Sahara holen zwei Hubschrauber Reisejournalisten von ihrer Tour ab. Die Presseleute wollen schnell zurück und fast alle in den ersten Helikopter. Der ist mit 13 Insassen bald rappelvoll. „Mir winkte noch einer aus dem zweiten Hubschrauber zu: ‚Komm‘ doch rüber‘. Doch der Weg über ein Geröllfeld im Gebirge nahe der Oase Djanet war mir zu weit“, erinnert sich Autor Johannes Groschupf. „Unser Hubschrauber stürzte kurz nach dem Start aus etwa 20 Metern Höhe ab – weil er wohl zu schwer beladen war. Als wir aufschlugen, ging er in Flammen auf. Ich war der Einzige, der überlebte, weil ich rechtzeitig herauskam, ehe die Treibstofftanks der Maschine sowjetischen Fabrikats explodierten.“
Groschupf entdeckt die zersplitterte Glasfront des Cockpits und klettert dort hinaus. Seine Berufskollegen versuchen indes, den verunglückten Helikopter an geschlossenen Fenstern zu verlassen. Es ist ein aussichtsloses Unterfangen. „Da lebend rauszukommen war pures Glück. Für mich begann danach mein zweites Leben, auch wenn ich ein Jahr im Krankenhaus lag und meine Haut großflächig verbrannt war“, erinnert sich der Wahl-Berliner.
„Bis heute bin ich vom Unglück gezeichnet, doch jeden Tag froh, auf der Welt zu sein: einfach die Luft zu atmen, die Bäume zu sehen. Damals wollte ich auch überleben, um meinen kleinen Kindern ein Vater zu sein. Heute bin ich stolzer Großvater. Dafür haben sich die Schmerzen gelohnt“, lächelt der 59-Jährige.
Geschichten entstehen nicht am Reißbrett
Der Einschnitt führt dazu, dass Johannes Groschupf in seinem Leben nichts mehr aufschiebt. So beginnt er auch, den Traum vom eigenen Buch zu verwirklichen. „Das Unglück war wie ein Weckruf“, so der gebürtige Braunschweiger, der in Lüneburg aufwuchs und einst für „Die Zeit“ (und „Berliner Zeitung“) schrieb. Gleich sein erstes Buch „Zu weit draußen“, in dem er den Absturz thematisiert, wird ein großer Erfolg. Es folgen „Berlin Prepper“, für den Groschupf den Deutschen Krimipreis (erster Platz) erhält sowie „Berlin Heat“ (Deutscher Krimipreis zweiter Platz).
Jetzt legt der frühere Reisejournalist mit „Die Stunde der Hyänen“ (Suhrkamp) nach: Die Szenerie spielt in Kreuzberg. Hier wütet ein Feuerteufel und zündet nachts Autos an. Kripo und Anwohner scheinen machtlos. Doch eine strafversetzte Polizeibeamtin und eine Journalistin nehmen die Spur auf. Parallel beschreibt der Autor fesselnd den Kreuzberger Kiez, in dem er auch selber lebt.
„Über ferne Galaxien oder geheimnisvolle Troll-Welten könnte ich auch nicht schreiben. Ich brauche Szenen und Milieus, die ich genau kenne. Das muss nicht Kreuzberg sein, aber doch Berlin“, erklärt Groschupf. Besonders interessierten ihn „kleine Leute“: der Postbote, die Kassiererin, der Kneipen-Trinker sowie ihre alltäglichen Verflechtungen und Frustrationen, die sich manchmal katastrophal entladen.
Seine Geschichten entwerfe er nicht am Reißbrett, sie entstünden im Erzählen selbst, sagt Johannes Groschupf. „Wichtige Impulse sind Orte und Menschen sowie Fundstücke in meiner Umgebung. So bin ich in meinem Kiez über mehrere ausgebrannte Autos gestolpert und begleitete einen Freund auf seinen Touren als Postbote. Bei einer Schreibwerkstatt mit Jugendlichen schrieb eine Schülerin von ihrem Stiefvater, der sie mehrere Male ‚angetatscht‘ habe. Daraus bildet sich ein Netz von Geschichten, an dem ich dann weiterstricke.“
Ein halbes Jahr lang habe er an sechs Tagen in der Woche die Staatsbibliothek besucht, um am Buch zu schreiben. „Das war eine fast mönchische Erfahrung. Drei Monate brauchte ich für die erste Fassung und drei Monate für die zweite. Das letzte Kapitel schrieb ich dann in New York in einem völlig überhitzten Appartement“, blickt Johannes Groschupf zurück. In der amerikanischen Metropole fühle er sich schon seit seiner Jugend wohl, weshalb er immer wieder in den „Big Apple“ zurückkehre.
„New York ist meine große Liebe, seit ich mit 16 Jahren das erste Mal dort war“, blickt Johannes Groschupf zurück. Auch den europäischen Osten habe er später für sich entdeckt, darunter Kiew, Prag, Olmütz, Lwiw (Lemberg). Später kamen Indien, China, die Karibik und Hawaii dazu.
Mit Schülern hat er ein True-Crime-Projekt
Warum der Autor nach seinem Studium der Germanistik, Amerikanistik und Publizistik an der Freien Uni Berlin gerade in Kreuzberg hängenblieb? „Weil mir der Mix gefällt. Mit den Dealern im Görlitzer Park ist es zwar ein raues Pflaster. Da ist aber auch die anregende Bohème rund um den Landwehrkanal.“ Neukölln schätze er wegen der Eckkneipen, Mitte wegen „schicker Leute“ und Moabit wegen des Kriminalgerichts, an dem Groschupf seit zwölf Jahren Schöffe ist.
Doch auch mit Brandenburg kann der groß gewachsene Mann viel anfangen: In Birkenhöhe bei Bernau hat der Autor sogar einen Garten. „Dort bin ich für die grobmotorischen Verrichtungen zuständig: Löcher buddeln, Rasen mähen, Hecke schneiden. Wenn meine Frau es erlaubt, laufe ich die weiten Felder entlang, durch kleine Wälder bis rüber nach Börnicke. Dabei finde ich auch viele Einfälle für den nächsten Thriller“, so der Hobbygärtner, der gern draußen in der Natur ist und den eigenen Worten nach noch nie ein Sportstudio von innen gesehen hat.
„Da laufe ich lieber an der frischen Luft und bin das ganze Jahr über mit dem Rad unterwegs. Im Berliner Stadtverkehr ist das ein Survivalsport. Ansonsten spiele ich gern Billard mit Sohn und Tochter, die ihren alten Herrn mittlerweile in Grund und Boden spielen“, lacht Groschupf, der 2014 Stadtschreiber in Rheinsberg war und auch schon Autorenpatenschaften in Oranienburg und Erkner übernahm.
Aktuell arbeitet er mit Schülern des Carl-Bechstein-Gymnasiums Erkner. „Unser Thema heißt, wenig überraschend: True Crime. Wir schreiben ein Jahr lang miteinander, besuchen das Berliner Kriminalgericht und einen Kommissar in Erkner. Am Ende steht ein Buch mit Texten der Jugendlichen.“
Am Ende kommt das Gespräch im Berliner Kaffeehaus nochmal auf Brandenburg. Die Mark habe er ins Herz geschlossen, sagt er, doch ihre Einwohner seien schon ein „herber Menschenschlag“. „Brandenburger erinnern mich oft an die Bauern und Händler in der Lüneburger Heide“, schmunzelt Groschupf, der, was gute Krimis anbetrifft, nun selbst zum Wiederholungstäter wurde.