Saudi-Arabien investiert seit Jahren massiv in den Sport und hat Top-Events und Top-Athleten ins Land geholt. Auch das Tennis öffnet sich mehr und mehr dem Geld des Königreichs – allen Bedenken wegen der Menschenrechtslage zum Trotz.
Das Ende einer historischen Rivalität fand im Tennis-Niemandsland statt. Bei einem Show-Turnier. Außerhalb der traditionellen Wettkämpfe. Als Novak Djokovic und Rafael Nadal sich ein 61. und letztes Mal in einem Match gegenüberstanden, ging es nicht um einen offiziellen Titel oder Weltranglistenpunkte. Es ging noch nicht einmal so sehr ums Prestige. Beiden Tennisstars ging es vor allem darum, das letzte Aufeinandertreffen zu genießen – und den Fans in der Arena und am TV eine gute Show zu liefern. Für die Veranstalter des Six Kings Slam in Saudi-Arabien hätte nichts Besseres passieren können, als dass sich Djokovic und Nadal zum Abschluss des umstrittenen Events noch mal ein Duell um Platz drei liefern. Und die beiden Großmeister ihres Faches, die 46 Grand-Slam-Titel auf sich vereinen, lieferten ab. Allen voran Nadal.
Abschied beim Six Kings Slam
Spaniens ikonischer Tennisstar hatte drei Monate zuvor sein bis dahin letztes Einzel-Match bestritten – beim Olympia-Aus in Paris in der zweiten Runde gegen Djokovic. Danach verkündete der verletzungsgeplagte 38-Jährige seinen endgültigen Rücktritt zum Jahresende, was auch Djokovic sehr betrübte. „Verlass das Tennis nicht. Bleib noch ein bisschen länger, bleib bei uns“, sagte der Serbe bei seiner Siegerrede nach dem 6:2, 7:6 in Richtung seines langjährigen Dauerrivalen: „Ich habe den allergrößten Respekt vor dir. Du bist ein unglaublicher Athlet, ein unglaublicher Mensch.“ Die sportliche Rivalität zu Nadal und auch Roger Federer, der 2022 seine Tennis-Karriere beendet hatte, sei „unfassbar intensiv“ gewesen, meinte Djokovic: „Also hoffe ich, dass wir in Zukunft einmal gemeinsam bei einem Drink am Strand sitzen werden, über das Leben reflektieren und über etwas anderes als Tennis reden.“ Auf der Plattform X bedankte sich Djokovic (37) ebenfalls bei Nadal und schrieb: „Der letzte Tanz war episch.“
Nun ja, sportlich betrachtet hatte es in den vergangenen 18 Jahren deutlich hochklassigere und spektakulärere Duelle zwischen beiden Top-Athleten gegeben. Nadal war der fehlende Rhythmus nach der langen Wettkampfpause und auch das Fitness-Defizit anzumerken. Doch mitunter blitzte seine Klasse auf, als er zum Beispiel Djokovic mit einem gewitzten Stoppball überlistete oder seine gefürchtete Vorhand-Peitsche auspackte. Dann ging Nadal auch emotional aus sich heraus, er streckte die Faust ins Publikum und schrie „Vamos!“ Bei der Davis-Cup-Endrunde ab dem 19. November wird Nadal mit dem spanischen Team seinen allerletzten Auftritt haben. Als Einzelkämpfer verabschiedete sich Nadal ausgerechnet in Saudi-Arabien. In einem Land, in dem der Tennissport noch in den Kinderschuhen steckt. In dem die Menschenrechtslage von internationalen Beobachtern „als alarmierend beschrieben wird“, wie es im jüngsten Länderreport des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge heißt: „Politische Parteien und Oppositionsbewegungen sind verboten, Forderungen nach bürgerlichen Freiheiten und politischer Dissens werden in vielen Fällen strafrechtlich verfolgt.“ Die weitreichende Diskriminierung von Frauen halte an, auch der Umgang der Regierung mit religiösen Minderheiten sei „problematisch. Berichte über Folter, unmenschliche Behandlung und Bestrafung sind weit verbreitet; dies sowie die exzessive Anwendung der Todesstrafe geben Anlass zur Sorge.“
Diskriminierung von Frauen hält an
Und dennoch schlugen Nadal, Djokovic und vier andere Tennisstars beim sogenannten Six Kings Slam auf. Warum? Geld dürfte das ausschlaggebende Argument sein. Jeder der sechs Spieler soll eine Antrittsgage von 1,5 Millionen US-Dollar kassiert haben. Der italienische Weltranglistenerste Jannik Sinner durfte sich als Gewinner des Show-Events sogar über einen weiteren Scheck über sechs Millionen US-Dollar freuen. Das ist fast doppelt so viel, wie er für seinen Triumph bei den US Open im vergangenen September kassiert hat. Und dass Nadal im Königreich an den Start geht, war spätestens im Januar klar, als seine Rolle als offizieller Botschafter für den saudi-arabischen Tennisverband bekannt wurde. Er erkenne dort ein „großes Potenzial“, sagte der 22-malige Grand-Slam-Turniergewinner. Gegen die Kritik an dieser Partnerschaft wehrte er sich: „Ich möchte dazu beitragen, dieses Land zu einer größeren Sport-Nation zu machen, sodass Männer und Frauen in absoluter Gleichheit Tennis spielen können, und diese Vision teilen sie mit mir. Ich glaube nicht, dass sie mich verpflichten, um ihr Image zu pflegen.“
Bestenfalls naiv sei diese Einstellung, entgegnen Kritiker. „Die moralischen und ethischen Grundsätze muss jeder für sich selber beurteilen. Das ist eine Überlegung, die aber meines Erachtens leider ein wenig in den Hintergrund gerät“, sagte Dietloff von Arnim, Präsident des Deutschen Tennis-Bundes (DTB). Das trifft aber nicht nur auf die Sportler, sondern auch auf die Profi-Vereinigungen ATP (Männer) und WTA (Frauen) zu. Sie stehen den Bemühungen Saudi-Arabiens, im Tennissport erheblich an Einfluss zu gewinnen, offen gegenüber. Die moralischen Zweifel werden angesichts der monetären Vorteile schon jetzt hintangestellt. Bestes Beispiel sind die WTA-Finals der besten acht Spielerinnen des Jahres, die vom 2. bis 9. November erstmals in Saudi-Arabien stattfinden.
„Wir haben das Frauentennis nicht mit aufgebaut, damit es von Saudi-Arabien ausgenutzt werden kann“, schrieben die Tennis-Ikonen Chris Evert und Martina Navratilova in einem Beitrag der „Washington Post“. Beide schrieben vor der Vergabe auch einen Brief an WTA-Boss Steve Simon, in dem sie ihre Wut zum Ausdruck brachten. WTA-Finals in einem Land, das die Frauenrechte so wenig achte, seien „unvereinbar mit dem Spirit und dem Auftrag des Damen-Tennis und der WTA“. Die WTA wiederrum argumentierte, dass das Geld vom Wüstenstaat helfe werde, das Equal Pay (gleiche Bezahlung wie bei Männern) im Tennissport nicht nur bei den vier Grand-Slam-Turnieren zu etablieren. Bei der diesjährigen Endrunde wurde sogleich das Preisgeld auf 15,25 Millionen US-Dollar massiv nach oben geschraubt. In den zwei kommenden Jahren soll es noch höher sein. Aber Geld ist massiv vorhanden bei den Bestrebungen Saudi-Arabiens, den Sport für seine Zwecke zu nutzen.
Der Staatsfonds PIF, der geschätzt 650 bis 750 Milliarden Euro beträgt, wurde eigens dafür geschaffen, um den Staatsplan „Vision 2030“ in die Tat umzusetzen. Generell geht es darum, Saudi-Arabien in Zukunft unabhängiger vom Öl- und Erdgas-Geschäft und für den Tourismus attraktiver zu machen. Auch soll – so die offiziellen Ziele – die Wirtschaft diverser aufgestellt und die eigene Bevölkerung mit attraktiven Angeboten fit für die Zukunft gemacht werden. Und hier kommt dem Sport eine zentrale Rolle zu. Seit einigen Jahren investiert Saudi-Arabien in diesem Bereich massiv Geld. Inzwischen spielen Fußball-Superstars wie Cristiano Ronaldo in der heimischen Liga, 2034 wird die Fußball-WM in Saudi-Arabien stattfinden. Auch für die Formel 1, das Golf, Profiboxen und für viele andere Sportarten darf das 33 Millionen Einwohner zählende Land dank seiner Finanzkraft Top-Events austragen. Kritiker weisen immer wieder darauf hin, dass Saudi-Arabien mit seinem Engagement im Sport vor allem sein Image verbessern und von Menschenrechts-Verstößen ablenken will.
Wichtiger Titel bei WTA-Finals
Der Begriff dafür heißt „Sportswashing“ und besagt laut des renommierten Politik-Analysten James Dorsey, „dass sich Länder als Sport-Sponsoren engagieren oder Stars einkaufen, um damit von einer beschädigten Reputation abzulenken. Und ganz offensichtlich hat Saudi-Arabien einen schlechten Ruf.“ Auch für den im Exil lebenden saudischen Anwalt und Menschenrechtsaktivisten Taha al-Hajji ist klar, dass mit den Deals und Events im Sport „die dunkle Seite des Landes“ vertuscht werden soll, „durch die großen Events und die Stars versuchen die Saudis, die Presse und die Öffentlichkeit zu täuschen“. Dass Sportler und Verbände dem Geld eher folgen als der Moral, hilft bei dem Prozess. Der frühere Fußball-Weltmeister Toni Kroos kann Profis nicht verstehen, die die Qualität für Top-Clubs in Europa haben, sich aber für Wechsel nach Saudi-Arabien entscheiden. Die Menschenrechtslage in dem Land sei „das eine, was mich von so einem Wechsel abhalten würde“, ergänzte der frühere Profi von Real Madrid, der seine Karriere nicht in Saudi-Arabien ausklingen lassen wollte. Dort gehe es „nur ums Geld“, meinte Kroos, „und ab da beginnt es schwierig zu werden für den Fußball, den wir alle kennen und lieben.“
Bei den WTA-Finals geht es jedoch auch um einen wichtigen Titel im Tennis – und das macht es auch für politisch engagierte Spielerinnen wie die polnische Weltranglistenerste Iga Swiatek so schwierig, „nein“ zu sagen und auf einen Start zu verzichten. „Die Spielerinnen haben ihre Entscheidung getroffen, und ich respektiere das“, sagte Martina Navratilova. Die 18-malige Grand-Slam-Turniergewinnerin und die amerikanische Tennis-Ikone Chris Evert haben mit manchen Top-Spielerinnen das Gespräch deswegen gesucht. „Wir sagen ihnen, was wir denken, aber wir sind davon nicht betroffen“, sagte Navratilova und erklärte: „Wir wollten nur sichergehen, dass sie diese Entscheidung nicht im luftleeren Raum getroffen haben, und dass sie wissen, auf was sie sich einlassen.“ Das Argument einiger Spielerinnen, dass sie nicht politisch sein wollen, wischt Navratilova beiseite. „Nach Saudi-Arabien zu gehen ist so politisch, wie man nur sein kann. Willkommen im Sport. Sport ist politisch“, sagte sie. Dass sich durch Sportevents wie dem Six Kings Slam oder den WTA-Finals in Saudi-Arabien wirklich etwas zum Positiven verändern kann, wie Nadal argumentiert, glaubt Navratilova eher nicht. Alles hänge vom Segen des Kronprinzen und Premierministers Mohammed bin Salman Al Saud ab. „Letztlich entscheidet er, was geht und was nicht geht.“