In Berlin entsteht derzeit ein Vorzeigeprojekt der neuen Stadtentwicklung: ein ökologischer und gleichzeitig gesunder Gewerbepark. Angela Balatoni, Geschäftsführerin der Allergy Friendly Buildings Alliance GmbH, denkt beim Bauen an Mensch und Umwelt.
Seit fast 15 Jahren befindet sich auf dem ehemaligen Firmengelände von Reemtsma in Berlin-Wilmersdorf eine Zigaretten-Brache. Dort, wo bis 2011 noch Glimmstängel gestopft und abgepackt wurden, soll heute etwas entstehen, das nicht nur gesund für Mensch, sondern auch die Umwelt ist. Das gesamte Gelände umfasst sieben Hektar – mitten im Westen der Hauptstadt eine ungenutzte Betonfläche. Doch nun kommt wieder Bewegung auf das riesige Gewerbegelände in bester Lage mit direktem Autobahnanschluss.
Es soll ein beinahe klimaneutrales Vorzeigeprojekt für ganz Deutschland werden, bei dem nun auch die Gesundheit der zukünftigen Mitarbeiter bei der Planung große Beachtung findet. Noch wühlen sich Bagger durchs Erdreich und heben Baugruben für die ersten Projektabschnitte aus, alle Produktionshallen der ehemaligen Zigarettenfabrik auf dem weitläufigen Areal sind bereits abgerissen. Nur in der Mitte der riesigen Baustelle steht noch ein Bürohaus mit den Resten einer Lagerhalle. Dort sitzt der gesamte Planungsstab für das Großprojekt, das bis 2035 abgeschlossen sein soll.
Material mit wenig Schadstoffen
Zukünftig entstehen hier keine großen, zusammenhängenden Produktionshallen mehr, sondern es wird kleinteilig gebaut, mit begrünten Freiflächen dazwischen. Zum einen soll dort Regenwasser nicht wie bisher in die Kanalisation ablaufen, sondern im Erdreich versickern. Dabei wird absichtlich auf die momentan bei solchen Projekten beliebten Schottergärten zwischen den Gebäuden verzichtet, also eine betonierte Ummantelung und darin ein Meer kleiner dunkler Steine. Die würden der Anlage zwar einen mediterranen Hauch geben und wären obendrein weniger arbeitsintensiv als Vorgärten mit Blumen und Sträuchern. „Für die Artenvielfalt und das Mikroklima sind diese Steinwüsten aber ein schlimmer Trend. Das ist Flächenverbrauch im Kleinen“, sagt Stefan Petzold vom Naturschutzbund (Nabu). „Zudem erhitzen sich Schottergärten im Sommer auf bis zu 70 Grad. Die Steine speichern diese Hitze über Nacht, und entsprechend ist dann die Umgebungsluft deutlich wärmer.“ Das Mikroklima in der gesamten Umgebung wird gestört. Darum geht der Trend zurück zum grünen Rasen. Sozusagen eine natürliche Flächenkühlung im Erdboden, bestätigt die Geschäftsführerin der Allergy Friendly Buildings Alliance (Afba), Angela Balatoni.
Die einzelnen Gewerke werden weiterhin in herkömmlicher Form aus Stahl und Beton gebaut, alles andere würde aus finanzieller und auch ökologischer Sicht keinen Sinn machen. Doch alle Dächer werden nicht nur begrünt sein, sondern hier soll es auch Nutzpflanzen geben. „Das heißt, hier wird Obst und Gemüse angebaut. Wir werden auch Bienenstöcke auf den vielen Dächern des zukünftigen Gewerbeparks haben“, erklärt Balatoni. Die Produkte aus diesen Dach-Farmen sollen dann entweder in der Kantine direkt verarbeitet oder auf einem kleinen Wochenmarkt im Gewerbepark verkauft werden. Mit dieser flächendeckenden Dachbegrünung soll das Gelände, das in seiner alten Form als Zigarettenfabrik eher durch Asphalt und dunkle Fassaden bestach, eine zusätzliche, kleine grüne Lunge mitten in der Großstadt werden. Auch sollen die der Sonne zugewandten Außenwände der Gebäude begrünt werden. Da beginnt dann die eigentliche Aufgabe der Immobilien-Entwicklerin. „Wir achten darauf, dass das gesamte Strauchwerk an den Gebäuden und Bäume in den kleinen Parks die allergene Belastung nicht zusätzlich erhöht. Also nehmen wir nur Pflanzen, die auch für Allergiker unbedenklich sind“, erklärt die Expertin.
Für die 42-Jährige wird hier ein völlig neuer Weg beschritten: Erstmalig bei diesem Bauprojekt arbeiten nicht nur Architekten und Bauingenieure eng zusammen, sondern auch Mediziner. Dabei werden die Baustoffe in all ihren Formen nicht nur nach Gesichtspunkten der Statik, sondern auch der Klimaverträglichkeit und der Gesundheit für die Menschen zusammengestellt, die sich hier bewegen werden. Das fängt bei der Begrünung der umliegenden Flächen und Fassaden an und gipfelt nach der Fertigstellung des Rohbaus im Gebäudeinneren. Hier geht es vor allem um das Zusammenspiel von gutem Klima und dem gesunden Leben in den Räumen. „Der Mensch verbringt 90 Prozent seiner Zeit in Gebäuden und ist dort einer 30-mal höheren Schadstoffbelastung als im Außenbereich ausgesetzt. Hohe Schadstoffkonzentrationen sorgen nicht nur bei Allergikern für mehr krankheitsbedingte Fehlzeiten“, sagt die Geschäftsführerin.
Da die Luftzirkulation in den Büros nur begrenzt ist, müssen Materialien verbaut werden, die keine weiteren Schadstoffe abgeben. Gebäude müssen laut den neuesten gesetzlichen Vorgaben, nach außen weitgehend energetisch versiegelt sein, um Heizenergie zu sparen. Damit können aber weniger Feuchtigkeit und Schadstoffe nach außen abtransportiert werden. Sie bleiben im Raum und werden über die Atemluft aufgenommen. „Darum ist es wichtig bei Wandfarben, Teppichböden und deren Kleber oder Klimaeinrichtungen darauf zu achten, dass bedenkliche Zusatzstoffe in den Produkten weit unter den derzeit zulässigen Grenzwerten liegen und dann auch gezielt eingesetzt werden“, erklärt Balatoni.
Nicht teurer, aber effizienter
Zertifiziert wird dieses allergikerfreundliche Bauen durch die Europäische Stiftung für Allergieforschung (Ecarf). Ähnliche Projekte wird es in Düsseldorf, Hamburg und Potsdam geben. Immobilien-Entwicklerin Balatoni setzt bei dem zukunftweisenden Projekt in Berlin schon beim Bauen auf Kontrolle. „Alles, was an Material auf die Baustelle kommt, wird bereits am Eingang auf diesen neuen Standard überprüft. Nächster Schritt Verarbeitung: Da gibt es Wandfarben, die man ohne weiteres in Gängen oder der Tiefgarage, aber eben nicht in Büroräumen verwenden darf. Darauf wird sehr genau geachtet.“
Doch weiterhin wird auch Stahlbeton mit Rigips-Zwischenwänden verbaut, was bei der Produktion viel CO2 freisetzt. Die daraus resultierende Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, einen solchen ökologischen Gewerbepark in Holzbauweise zu errichten, verneint Balatoni vehement. „Das würde keinen ökologischen und schon gar keinen medizinischen Sinn machen. Holz als natürlicher Baustoff klingt natürlich immer gut. Aber geschlagenes Holz ist vergänglich und muss vor Umwelteinflüssen geschützt werden. Das geht nicht ohne viel Chemie in Form von Holzschutzmitteln.“ Die würden dann wiederum die Umwelt und vor allem den Menschen belasten. Außerdem sei ein lebender Baum besser für die Umwelt als ein verbauter Baum.
Dieses bundesweit bislang einmalige Projekt ist laut Balatoni nicht teurer als andere Projekte in dieser Dimension, die Ressourcen werden nur abgestimmter eingesetzt. „Das ist kein Hightech-Bau, sondern ein Lowtech-Bau. Auf alles, was zusätzlich Energie verbraucht, wird verzichtet. Es macht keinen Sinn, Klimaanlangen, die viel Energie verbrauchen, einzubauen, wenn das auch durch intelligentes Baumanagement, zum Beispiel durch Begrünung der Dachflächen oder ein durchdachtes Lüftungssystem geht.“ Balatoni ist sicher, dass dieses Bauprojekt bundesweit Schule machen und somit zukünftig beim Bauen nicht nur auf Energie und Klima, sondern eben auch auf Gesundheit geachtet wird.