Johann Wolfgang von Goethe wäre dieser Tage 275 Jahre alt geworden. Grund genug, dem großen deutschen Dichter und Denker auf den folgenden 18 Seiten ein Schwerpunktthema zu widmen – beginnend mit einer sehr persönlichen Hommage an den großen Dichterfürsten und Einblicken in seinen Lebensalltag.
Kein anderer Wein will mir schmecken, und ich bin verdrießlich, wenn mir mein gewohnter Lieblingstrank abgeht“ – dergestalt pries Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe den „Würzburger Stein“. Für welchen einst eigens der fränkische „Bocksbeutel“ geformt ward. Ein exzellentes Erzeugnis, dem von alters her ein Ehrenplatz in der Riege nobler deutscher Weine gebührt: trocken, mineralisch, Nuancen exotischer Früchte versprühend – und „mit langem Nachhall“. Letzteren verspürte er denn auch an diesem Morgen, wenngleich andersartig, der südhessische Dichterfürst. Trotz ausgiebigen Schlafes, dem er, wie so häufig, zehn Stunden gefrönt hatte. Er war auch nötig. Hatte er doch im Verlaufe des gestrigen Tages sein tägliches Quantum von zwei Litern Rebensaft im abendlichen Plausch mit Freunden einmal mehr überschritten.
Betrunken war er indes zeitlebens nur selten. Als Freund edlen Weines war er schließlich jahrzehntelang gestählt. Mit 18 Jahren will er allerdings, wie er einem Freund brieflich anvertraute, einmal „so besoffen wie eine Bestie“ gewesen sein. Dürfen wir es erwähnen: Neben dem Tübinger Cotta-Haus prangt seit Langem ein Schildlein: „Hier kotzte Goethe.“ Daselbst war Goethe in der Tat zweimal bei seinem Verleger zu Gast. Dem Wein schrieb er lebenslang schöpferische Kräfte zu und ironisierte: „Andere schlafen ihren Rausch aus, bei mir steht er auf dem Papier!“
Zeitlebens 40.000 Reisekilometer
Seine eher karge Bettstatt aus Nadelholz knarzte, er erhob sich. Und setzte sich zunächst auf das danebenstehende gediegene Ruhemöbel. Mit zunehmendem Alter wurde ihm eben alles beschwerlicher. Als er Anfang Sechzig ist, nimmt seine Umgebung wahr, dass Herr Geheimrat sichtlich altere. „Keineswegs geistig“, so meint Humboldt 1812, vielmehr: „Er ist noch ebenso munter, so rüstig, so leicht beweglich zu Scherz und Schimpf. Allein man sieht, dass er oft an seinen Körper erinnert wird. Mitten in Gesprächen geht er hinaus, sichtbar angegriffen.“
Das war vormals anders. 40.000 Reisekilometer legte er in seinem Leben zurück, gewöhnlich in einem sogenannten „Blüchermantel“. Als Student in Straßburg schwingt er sich behend in den Sattel und trabt an die 400 Kilometer durch Elsass und Lothringen, auch Thüringen. Er erklimmt den Brocken, Rigi, die helvetische „Königin der Berge“, auch der Sankt Gotthard schreckt ihn nicht. Er glänzt auf Schlittschuhen, adoriert den Tanz, schätzt kaltes und nackertes Baden.
Bis 1792 erscheint Goethe denn auch als jugendlicher stattlicher Herr. Und lange noch geht er täglich spazieren, zuweilen mehrere Stunden, denn, so sein Mantra: „Bewegung sei die beste Arznei“. Darin bestärkt ihn sein Briefpartner, der famose Göttinger Gelehrte Georg Christoph Lichtenberg: „Die Gesundheit sieht es lieber, wenn der Körper tanzt, als wenn er schreibt.“ Doch es naht die Zeit, da Goethe schon nach kurzen Wegen Sitzruhe benötigt.
Vermögen eines Millionärs
Meist hörte der Wahl-Weimarer lieber zu als selbst viel zu reden, was mitunter aber auch freigebig vorkam. Der Sohn des weltberühmten französischen Physikers Ampère fand: „Er ist der Einfachste und Liebenswür-digste aller Menschen. Ein wunderbarer, bezaubernder Mensch. Keine Spur von Getue oder Einbildung.“ Der großherzogliche Staatskanzler von Müller schildert Goethe als äußerst munter, witzig und scherzhaft; gelegentlich sei er aber auch steif, einsilbig, mundfaul, ironisch, eher negativ und launisch. Er habe ihm entfaltet: „Wer ist denn heutzutage noch ein Christ, wie Christus ihn haben wollte. Ich allein vielleicht, obgleich ihr mich heutzutage für einen Heiden haltet.“ Als Pantheist äußerte er einmal: „Die Natur verbirgt Gott. Aber nicht jedem.“ Das mochte IQ-bedingt sein, mit seinen galaktischen 170, wie die Moderne ihn posthum berechnet hat, lief er in Sachen Erkenntnis außer Konkurrenz.
Herr Geheimrat empfing zuweilen, ganz unschicklich, noch gegen 12.30 Uhr im flanellenen Schlafrock. Morgens wandelte er gerne, mit auf dem Rücken verschränkten Armen, darin umher. Und blieb stumm, wenn man ihn ansprach. Heute Morgen aber kleidet sich Johann Wolfgang mit weißem Schal in seinen an Napoleon Bonaparte erinnernden hellen Hausmantel – er sah ja in Bonaparte eher den genialen Teufelskerl als den furchtbaren Todesengel Hunderttausender. Wünschte sich im Scherz gar eine Niere gefallener zaristischer Soldaten. Zu arg plagten ihn Nierenkoliken. Zu schulden seinen erschröcklichen Nahrungsgewohnheiten.
In seinem geräumigen 18-zimmrigen Haus am Weimarer Frauenplan – durchaus standesgemäß für einen schwerreichen Minister, sein Vermögen würde ihn heutzutage mit dem Status eines vielfachen Millionärs ausstaffieren – vernahm er Lärm. Seine drei Enkel tobten mal wieder herum. Zu seiner Freude. Er, der Kindernarr, neigte das Haupt und lächelte milde. Hauptsache sie schonten seine kostbaren Sammlungen. Nein, was er an Lautäußerungen ausdrücklich hasste, das war Hundegebell. Mozart und Bach waren ihm lieber. Des Weiteren widerstanden ihm, wie er im gleichen Atemzug dartat, Sauerkraut – lieber griff er zu bei Spargel, Artischocken und selbst kreierten Salaten, zudem Konfekt – und der Schriftsteller Jean Paul. Letzterer schalt ihn: „Auch frisset er entsetzlich.“ Und beobachtete, dass er morgens – igitt – schon Knackwürste äße.
Thema Frühstück: Goethe nahm es gerne in seinem Gartenhaus ein. Es bestand zumeist aus „Dresdner Grütze“, nebst heißer Schokolade aus einem hohen, zweigriffigen Becher. Später, zum zweiten Frühstück, herzlich gerne ein Sardellensalat. Hielt er Diät, notierte er übellaunig und karg: „Nichts.“
Jetzt schreitet der „Olympier“ hinein in sein Arbeitszimmer. Es umfasst bloß konzentrationsfördernde 27 Quadratmeter. Der „Montgolfière-Ofen“ mit Kupferaufsatz, den er sich schon 1786 vom Hofkupferschmiedemeister Pflug hatte bauen lassen – wen wundert’s: nach seinen eigenen Entwürfen – strahlt schon behagliche Wärme aus. Sein Schreiber, der brave Johann Peter Eckermann, sein „getreuer Eckart“, dem er gleich erste morgendliche Sentenzen diktieren wird, sitzt am sichtbar arbeitsbewetzten, doch blitzblanken Tisch aus dunklem Holz bereit. Vier gepolsterte Stühle laden ein. Doch Goethe steht. Und geht langsam auf und ab. Ist er an Wortgewalt kaum zu überbieten, an Körpermaß liegt er im Gegensatz zu Schiller (1,80 Meter) im damaligen Mittel: 1,69 Meter. Dabei stets kerzengerader Haltung.
Geraucht wurde natürlich nicht. Der Dichter vertrat nämlich die Meinung, Rauchen mache dumm. Ganz ernst war das kaum gemeint, denn sein dichterisch kongenialer Busenfreund, Friedrich von Schiller, rauchte ja liebend gerne beim poetischen Schaffen, wozu ihn übrigens eine olfaktorische Ausströmung faulender Äpfel in der Schublade in Sonderheit beseelte. Und schwarzer Kaffee, tagsüber wie nächtens, bitteschön kannenweise. Sagen wir es frei heraus: Der promovierte schwäbische Mediziner lebte kühn entgegen den Regeln seiner Disziplin. Posthum stellte man fest, dass sein Herz nur mehr ein „schlaffer Beutel“ gewesen sein soll.
Unschickliche Liaison
Goethe hebt nun an und Eckermanns Feder kratzt über das handgeschöpfte Papier: „Eines Morgens wachst Du nicht mehr auf, die Vögel aber singen, wie sie gestern sangen. Nichts ändert diesen Tagesablauf. Nur Du bist fortgegangen.“ Er hält inne. Versonnen betrachtet er seinen feinen alten, an Laden reichen Schreibtisch. Ein treuer Begleiter auch er. Am Nachmittag würde er hinüber in sein Gartenhaus im Park an der Ilm promenieren, Geschenk seines Herzogs Karl August. Bloß ein Viertelstündlein Fußweg. Dahin, wo er den „Erlkönig“ schuf, den ein kühner 18-Jähriger namens Franz Schubert vertont hatte, was er so missmutig zur Kenntnis nahm, dass er ihn ignorierte. Und er würde drüben einen Teil seiner Münzen betrachten und ordnen. Selten nur zeigte er seinen numismatischen Schatz Fremden, da diese die Unart besäßen, seine Stücke in der Mitte statt am Rande zu ergreifen.
Goethe verplante sich sorgfältig – weil: „Wer vorsieht, ist Herr des Tags“ – um seinem enormen Arbeitspensum als Staatsmann, Naturforscher und Schriftsteller gerecht zu werden. Allein an Gedichten verfasste er 3.000. In den Jahren 1823 und 1824 empfing Goethe fast 1.100 Briefe von 450 verschiedenen Absendern. Er pflegte sie zu beantworten. Doch manche sandte er auch wortlos zurück oder er überantwortete sie dem Kaminfeuer.
Zu Mittag genoss er sächsische „Makkaroni“, die er brieflich bestellte, begleitet von dem ihm unverzichtbaren Parmesan. Seine italienische Reise hinterließ eben lebenslange Spuren. Auch amouröse – erst spät im Mannesleben genoss er sein erstes Beischlaferlebnis. „Uns ergötzen die Freuden des ächten nacketen Amors und des geschaukelten Betts lieblicher knarrender Ton“, schildert Goethe sein Empfinden des offenbar auf seinen „Bettschatz“ Christiane bezogenen Lachens zweier Körper.
Ach ja, sie … Christiane Vulpius. Klein, pummelig, wunderschön schwarz belockt, dunkle Augen, südlicher Teint. Tochter eines armen, aber juristisch studierten Kanzleikopisten, trug sie durch die Arbeit in einer Werkstatt für Papierblumen zum Einkommen bei. Lebensfreude pur. Hie wie da. „Ein Naturwesen“, wie ihr Geliebter schwärmte. An einem Sommertag im Jahre 1788 hatten sich die beiden, sie 23, er 17 Jahre älter, im Park kennengelernt. „Geh den Weibern zart entgegen, Du gewinnst sie auf mein Wort.“ Er gewann sie. Geschwind. Schon diese Nacht verbrachte das „Blumenmädchen“ bei ihm. Wie ließ er doch Mephisto sprechen: „Es ist eine der größten Himmelsgaben, so ein lieb Ding im Arm zu haben.“
Bald wurde das „lieb Ding“ darob schwanger. Alle „ehrbaren Frauen“ zeigten sich empört. Schließlich beginnen „Vulpius“ und „vulgär“ mit den gleichen drei Buchstaben. Hinter der römischen Schale und den Allegorien auf notable römische Kollegen wie Ovid oder Catull witterten sie, wohl nicht zu Unrecht, eine Lobpreisung seiner Nächte mit dieser bürgerlichen Madame. Welche er – retour von den altrömischen und italienischen Stätten – mit einem barocken Bückling in seine Wohnstatt hineingeleitet hatte. Wo sie fortan konkubinatisch miteinander leibten und lebten. Wenn es noch eines Beleges für das lüsterne Treiben der „Wilde-Ehe“-Leute bedarf: Aus dieser Zeit existieren Fakturen eines Weimarer Handwerkers über Bettreparaturen. Die hochgestellten Damen – Kopf nach links, spöttische Mundwinkel, halbgeschlossene Lider – benamsten die Neue arg ungnädig, als „Bettschatz“, ja „Hure“. Schillers Frau verstieg sich zu „ein rundes Nichts“ oder „Goethes dickere Hälfte“; Frau von Stein gab sich hoffähiger und begnügte sich boshaft mit „Kreatürchen“.
Indes – frei nach dem Motto „Wem Gott gibt ein Amt, dem gibt er auch Verstand“, und es war durchaus ein eminentes Amt, das sie nun für den Klassiker versah – gewahrte man eine erstaunliche Wandlung in Bildung und Auftreten. Die Goethe gar nicht allzu sehr erfreute, weil sie zulasten ihrer Ungezwungenheit ausfiel, die er doch so sehr an ihr mochte. Sie reiste couragiert allein und trug gar Pistolen mit sich. Dass sie dergleichen notfalls auch mal zum Einsatz brächte, darf man mutmaßen: Als 1806 marodierende, betrunkene napoleonische Soldaten in ihr Wohnhaus eindrangen, stellte nicht ihr Gemahl, sondern allein das „Kreatürchen“ sich diesen heldenhaft entgegen. Es hätte tödlich enden können. Die Soldaten wussten ja nicht: Napoleon soll „Die Leiden des jungen Werther“, mit denen Goethe weltberühmt wurde, dermaßen geschätzt haben, dass er ihn gar auf seine Feldzüge mitnahm. Er lud den Autor zum Frühstück und verlieh ihm das Ritterkreuz der französischen Ehrenlegion.
Für Christiane nun auch der Adelsschlag: Kurz darauf bestellte Goethe das Aufgebot und fasste ein Testament zu ihren Gunsten ab, eine Idee, die er jedoch schon länger bei sich trug. Hinfort ist Christiane auch für die ihr Missgünstigen erhoben zur „Frau Geheimrätin Goethe“. Entgegen landläufiger Meinung war sie keineswegs von „Dummbach“: Ihre Vorfahren waren väterlicherseits allesamt Akademiker, und ihr Bruder Christian August war jener Schriftsteller, der den Erfolgsroman „Rinaldo Rinaldini“ geschrieben hat. Für seinen Schwager war er auch als Librettist tätig.
Schillers Tod war ein schwerer Schlag
Sie gebar dem nicht allzu treuen Geheimrat fünf Kinder, von denen nur eines – August – nicht sehr früh starb. Man nimmt an, dass eine Rhesus-Unverträglichkeit die Ursache war. Schon 1816 schied die so treue Gattin aus dem Leben, mit nur 51 Jahren, unter fürchterlichen Krämpfen, an Nierenversagen. Der Dichter mied auffallend Situationen, die ihn, so darf vermutet werden, innerlich zu sehr bewegen könnten oder ihn zwängen, ostentativ Gefühlsregungen, beispielshalber bei Siechtum, zu bekunden. Eine Eigenheit, die in ihren Auswirkungen nicht jedermann sympathisch sein mag.
Als im Jahre 1816 seine Frau unter solchen Qualen verstirbt, dass gar die entsetzten Mägde davonstieben, begibt er sich in den hinteren Trakt – seelenruhig oder flüchtig, das bleibt uns verborgen – diktiert Briefe und experimentiert herum. Selbiges Verhaltensmuster zeigt er familiär immer wieder. Den Bestattungen seiner Frau, seiner Eltern, seiner Schwester, auch des Herzogs, Schillers, Charlotte von Steins, Herders und Wielands bleibt er denn auch fern. Lange Jahre trifft er nicht einmal Anstalten, seine verwelkende, gute Mutter aufzusuchen, und nach deren Tod schickt er, ehedem doch Rechtsanwalt von Beruf, Christiane aus, seine Erbangelegenheiten zu regeln.
Um des Geheimrats Gesundheit war es lebenslang nicht so stabil bestellt, wie sein für die damalige Epoche ungewöhnlich hohes Alter vermuten ließe. Schon seine Geburt am 28. August 1749 war riskant, da er fast erstickte, schwarz im Gesicht, zu schulden einer unfähigen Hebamme, und er nur „in einem warmen Weinbade“ überlebte, wie er spottete. Manche seiner Erkrankungen waren lebensbedrohlich, die Infarkte, Lungen- und Hirnhautentzündung, eine Wundrose. Andere lästig, wie Rheuma, Schwindel, häufige Bronchitiden. Er seufzte: „Mit den Jahren steigern sich die Prüfungen.“ Durch Zahneiterungen verlor er nach und nach sämtliche Zähne. Sein künstliches Gebiss war nur zu repräsentativen Zwecken tauglich, mitnichten zum Kauen. Er stöhnte: „Zahnreihen aber, junge, neidlos anzusehen, das ist die größte Prüfung mein, des Alten.“
Der Alkohol war – wie bei so vielen großen Schriftstellern der Weltgeschichte – sein Hauptlaster, das den Körper zernagte. Man diagnostizierte eine alkoholische Leberzirrhose. Was Wunder: In mittleren Jahren konsumierte er Zeitgenossen zufolge pro Mahlzeit – angefangen mit dem Frühstück – eine ganze Bouteille (0,75 Liter), wobei er starke Weine wie Malaga oder Madeira bevorzugte. Eine Tischgenossin fassungslos: „Von unserm guten Rheinwein konnte er ganz fürchterlich viel trinken.“
Goethe bilanzierte, sich „im Leben keine vier Wochen behaglich gefühlt“ zu haben. Zumal: Er litt unter Depressionen, die düstere Gedanken freisetzen und die Lebensbejahung gegen null fahren. Eine lange seelische Krise bedrängte ihn; da fühlte er sich „nur leidlich wohl“, winters unpässlich, wolle weder aufstehen noch das Haus verlassen. Seine Christiane 1803 aufgelöst: „Wegen dem Geheimen Rat lebe ich sehr in Sorge, er ist manchmal ganz Hypochonder, und ich stehe oft viel aus ... “
Das Ableben Friedrich Schillers im Mai 1805 beendet jäh den epochalen Dichter-Bund, der eine Dekade lang schöpferisch ungemein fruchttragend verlief. Goethe empfand dies als zäsurhaftes tragisches „Vorbei“. Durch Schillers Tod sei eine große Lücke in sein Dasein gefallen, bekennt er 1806, selbst ja von Krankheit heimgesucht: „Ich dachte mich selbst zu verlieren, und verliere nun einen Freund und in demselben die Hälfte meines Daseins. Eigentlich sollte ich eine neue Lebensweise anfangen; aber dazu ist in meinen Jahren auch kein Weg mehr. Ich sehe also jetzt nur jeden Tag unmittelbar vor mich hin, und tue das Nächste, ohne an eine weitre Folge zu denken.“
Am 1. Mai 1805 trafen Schiller und Goethe zum allerletzten Male zusammen. Wenige Tage danach verstarb der Schwabe, vermutlich an einer Lungenentzündung infolge einer Tuberkulose. Beide hatten sich bis zum Schluss um die Gesundheit des Anderen gesorgt. Niemand traute sich, dem kranken Goethe die Todesbotschaft zu überbringen. Bedurfte er doch selber aller Energie, um dem eigenen Schicksal zu trotzen. Johann Wolfgang hatte am Abend zuvor durchaus die Wirrnis in seiner Entourage erspürt. Unvermittelt fragte er Christiane: „Nicht wahr, Schillern war gestern sehr krank ..?“ Sie schluchzt. Goethe nun fest: „Er ist tot?“ Christiane zögernd: „Sie haben es selbst ausgesprochen.“ „Er ist tot ...“, wiederholt ihr Mann leise. Zur Seite gewandt, beweint ein Olympier seinesgleichen. Trauerflor bricht Lorbeerkranz.
Zeitgenossen tadeln den Lebenswandel
Sieben Monate führte Goethe nun kein Tagebuch mehr. „Unleidlicher Schmerz ergriff mich, und da mich körperliche Leiden von jeglicher Gesellschaft trennten, war ich in traurigster Einsamkeit befangen.“ Doch das Leben ging noch einmal weiter. Jeder Tag wurde ihm bewusst kostbar. Mit 74 Jahren schrammt er nur knapp an der Lächerlichkeit vorbei, als er um die Hand der 19-jährigen Ulrike Sophie von Levetzow anhält. Doch sie lehnt ab. Danach fühlt er sich älter als je zuvor. Die junge Adlige lebt nönnisch, bis sie mit 95 Jahren verstirbt. Ein Liebesverhältnis zu Goethe, gar körperlich, wies sie lebenslang weit von sich.
Humboldt ist wenig angetan von des Geheimrates Lebenswandel in dessen späten Jahren: Er lebe nur von „Bier und Semmeln, er trinke große Gläser davon schon des Morgens und deliberiere (= beratschlage) mit einem Diener, ob er nun dunkles oder hellbraunes Bier und welcher Provenienz trinken solle“, wobei er dem Köstritzer gerne zusprach. Irgendwann lässt er dann resignierend wissen: „Mein Bündel ist geschnürt, und ich warte auf die Ordre zum Abmarsch.“ Und mag dabei mitunter an sein „Warte nur, balde ruhest du auch“ gedacht haben.
Eines Nachts ergreift den Greis Panik, unruhig schaut er ins Flackern des Kerzenlichts. Die Brustschmerzen werden heftiger, rasseln, kalter Schweiß tritt aus. Sterbende sprechen still. Er verlangt als letztes: „Mehr Licht.“ (Nach einem prallvollen langen Leben klagt man nicht „Mehr nicht“, wie es ihm eifrige Romantiker in den Mund legen wollten. Lebensnäher klingt indes auch die Variante: „Du hast mir doch keinen Zucker in den Wein getan?“)
Am 22. März 1832 ist Johann Wolfgang von Goethe Friedrich von Schiller nachgefolgt. Unter Hinterlassung einer „Nation der Dichter und Denker“. Die spätestens 100 Jahre danach in Trümmern lag und bis heute nicht mehr wiederaufgebaut wurde. Mangels Streben und Masse. Goethe und Schiller wurden in Weimar nebeneinander beigesetzt. Die Gebeine in Schillers Sarg sind, wie man mittels Gentests nachweisen konnte, nicht die seinen. So ist sein Sarg leer. Schiller hat, im Gegensatz zu Goethe, lebende Nachfahren; es konnte ein sogenannter „Schiller-Code“ entziffert werden.
Ein Tipp zum Schluss: Der Maler Joseph Karl Stieler (1781 – 1858) soll 1828 Goethe, namentlich seine Augen, am authentischsten eingefangen haben. Sie sind in der Pinakothek der Moderne in München zu beschauen.