Sie sind ein eigener kleiner Kosmos. Und wirklich zu uns dringt nur wenig: Gefängnisse kennen die meisten nur von außen oder aus dem Fernsehen. Aber wie viel von dem, was wir uns in unseren Köpfen vorstellen, ist hinter Gittern tatsächlich auch der Fall?
Stahl aus Schweden galt früher als besonders stabil. Kein Wunder, dass viele Haftanstalten damals das schwedische Edelmetall nutzten. Die Gefangenen saßen also „hinter schwedischen Gardinen“. Bis heute hält sich diese Redewendung, wenn es darum geht, dass jemand inhaftiert wurde. Dabei zeigte der Space-Report der Universität von Lausanne aus dem Jahr 2017, der für den Europarat erstellt wurde, dass es ausgerechnet in Schweden (hochgerechnet auf 10.000 Häftlinge) fast viermal so viele erfolgreiche Gefängnisausbrüche gab wie in Deutschland (61) – nämlich ganze 238. Allerdings: Aus einer der 172 Haftanstalten auszubrechen, ist in Deutschland noch nicht einmal strafbar. Aus gutem Grund: In der allgemeinen Rechtsüberzeugung sei der Grundsatz verwurzelt, „dass ein dem natürlichen Freiheitsdrang des Menschen entspringendes Verhalten nicht unter Strafandrohung gestellt werden sollte“, begründet das Oberlandesgericht München.
Trotzdem wird in Deutschland immer mehr eingesperrt, und die Gefängnisse platzen derzeit aus allen Nähten. Im Juni 2022 befanden sich insgesamt 56.557 Häftlinge in Verwahrung deutscher Justizvollzugsanstalten (JVA) – davon 602 in Sicherheitsverwahrung. Das müsste nicht sein, ist der ehemalige Gefängnisdirektor Thomas Galli überzeugt. Gerade einmal fünf Prozent der Inhaftierten seien Schwerstverbrecher, für viele andere wären alternative Haftformen, wie ein offener Vollzug sinnvoller, sagt der Jurist. In der Tat verbüßen etwa 40 Prozent der Inhaftierten eine Haftstrafe, die kürzer als ein Jahr bemisst, 20 Prozent gar eine Haftstrafe unter sechs Monate.
Dennoch befinden sich gerade einmal 17 Prozent der Häftlinge in einem solchen offenen Vollzug, bei dem ihnen das Verlassen der Einrichtung zu bestimmten Zeiten oder auch zum Ausüben einer Arbeit gestattet ist. Das würde auch die Resozialisierung fördern, sagt Galli. Das Resozialisierungsmodell geht davon aus, dass Verbrechen am besten verhindert werden, indem man an den ökonomischen, sozialen oder personellen Faktoren ansetzt. In der Tat sind derzeit viele Inhaftierte Wiederholungstäter. Mehr als 68 Prozent waren vor ihrer Haftstrafe bereits vorbestraft, rund 15.700 sind bereits zum wiederholten Male im Gefängnis. Das liegt nach Meinung vieler Experten an mangelnder Resozialisierung und Therapie. Ob diese Therapieangebote schlussendlich angenommen oder schlicht nur abgesessen werden, muss am Ende jeder Häftling für sich entscheiden.
Resozialisierung als Schlüssel
Generell ist das Thema der mentalen Gesundheit in Gefängnissen noch einmal von ganz besonderer Bedeutung. Dazu gehört auch die Arbeit von Gefängnisseelsorgern und -seelsorgerinnen. Mit Carmen Folz hat das Bistum Trier vor vier Jahren die erste Frau mit dieser Aufgabe vertraut. Das Besondere: Sie ist nicht nur Seelsorgerin für die Gefangenen, sondern auch für die Polizistinnen und Polizisten. Das unter einen Hut zu bringen, gelinge ihr bislang gut. Ihre Angebote reichen von Gesprächskreisen bis hin zu künstlerischen Projekten, um die mentale Gesundheit der Inhaftierten zu unterstützen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits 2005 bestimmte Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen festgelegt, die insbesondere die psychische Gesundheit, aber letztlich auch die Würde als Ganzes betreffen. Dennoch gibt es weltweit große Unterschiede in der Umsetzung. Wo es in Deutschland noch in den allermeisten Fällen menschlich zugeht, schocken beispielsweise Südamerika oder Russland oft mit regelrechten Horrorstorys aus Haftanstalten. In Russland kommen etwa 400 Häftlinge auf 100.000 Einwohner. Die Gefängnisse, genannt „Zonen“, sind hoffnungslos überlastet. Zur Folge hat das neben mangelnder medizinischer Versorgung auch Schikane und Folter. Auf Resozialisierung aus ist dort kaum jemand. Anders sieht es in skandinavischen Ländern wie Island, Dänemark oder Schweden aus. Der ehemalige Direktor der isländischen Haftanstalten, Páll Winkel, begründete diesen Erfolg mit der gezielten Wiedereingliederungspolitik der Regierung. „Es zeigt, dass die Chancen, nicht wieder eingewiesen zu werden, umso grösser sind, je mehr Unterstützung sie erhalten“, so Winkel. Eine Rückfallquote von nur 20 Prozent spreche dafür. Und vielleicht können von diesem Beispiel auch andere Länder lernen und irgendwann mehr auf isländische Hilfen statt schwedischer Gardinen setzen.