Wir trafen eine sehr herzliche Désirée Nosbusch samt Hund in München zum Interview und sprachen über ihr Regiedebüt „Poison – Eine Liebesgeschichte“, ihre Eltern und über ihre Selbstfindung als Schauspielerin.

Frau Nosbusch, Ihren Film „Poison – Eine Liebesgeschichte“ auf den Weg zu bringen war gar nicht so einfach, oder?
Oh nein. Sie können sich vorstellen, dass das Gremium einer Filmförderung nicht sofort „Juhu!“ ruft, wenn man mit einem Projekt vorstellig wird, das auf einem Theaterstück basiert, in dem sich ein Mann und eine Frau, die vor zehn Jahren ein Kind verloren haben, auf einem Friedhof 90 Minuten lang unterhalten. Es hat einiges an Überredungskünsten und Geduld gebraucht. Zum Glück konnte ich die Geldgeber von meiner Vision überzeugen.
Warum haben Sie für Ihr Regiedebüt so ein schwieriges Psychodrama ausgewählt?
Als ich an der UCLA in Los Angeles Regie studiert habe, war einer meiner Dozenten Mel Brooks. Auf die Frage, woran man erkennt, dass man eine Geschichte unbedingt erzählen will, hat er geantwortet: „Eine gute Geschichte klebt an dir wie ein Honigtopf. Wenn du nicht davon loskommen kannst, dann musst du diese Geschichte unbedingt erzählen.“ Genau das ist mir mit „Poison“ von der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans passiert …
Warum haben Sie den ursprünglichen Titel „Poison – Eine Ehegeschichte“ in „Poison – Eine Liebesgeschichte“ umgewandelt?
Das war mir ganz wichtig. Weil es viel mehr als eine Ehegeschichte ist. Wissen Sie, Liebe hat viele Gesichter. Edith und Lucas würden sich nach zehn Jahren doch nie auf dem Friedhof treffen, wenn es da nicht auch noch Liebe zwischen ihnen gäbe.
Man kommt aber sicher nicht aus dem Film heraus und denkt, die beiden sind noch ineinander verliebt.
Verliebt sein und lieben ist doch etwas völlig anderes. Eine tiefe Liebe kann auch bedeuten, dass man gar nicht mehr ineinander verliebt ist. Ich empfinde zu meinem Ex-Mann Harald (Kloser; Anm. d. Red.), dem Vater meiner beiden Kinder, eine tiefe Liebe, die auch immer da sein wird. Aber wir sind nicht mehr ineinander verliebt.
Sie haben sich schon in sehr jungen Jahren für Verlust und Tod interessiert. Das ist ziemlich ungewöhnlich.
Ich glaube, das kommt daher, dass meine Mutter vor und nach meiner Geburt jeweils einen Sohn verloren hat. Der Tod ihres ersten Sohns ist auch der Grund, warum ich Désirée – also die Gewünschte – heiße. Großer Schmerz und Verlust waren in unserer Familie unterschwellig immer präsent. Mein Vater, der sicher genauso gelitten hat wie meine Mutter, ist aber ganz anders damit umgegangen. Wenn mein Vater gefragt wurde, wie viele Kinder er hat, sagte er zwei; meine Mutter sagte vier.
Können wir uns eigentlich aussuchen, wie wir auf Verlust und Tod reagieren?

Ich habe Freunde in Europa, die den größten Verlust erlitten haben, nämlich den Tod ihres Kindes. Und ich kenne in Amerika zwei Familien, die dasselbe Schicksal erleiden mussten. Ich wurde so erzogen, dass man denjenigen, dem etwas so Dramatisches passiert ist, nicht stört. Nach dem Motto: „Da kann man nicht hingehen. Lass die mal in Ruhe trauern.“ In Amerika passiert genau das Gegenteil. In Amerika heißt es: „Du gehst hin, auch wenn du nicht eingeladen bist. Du klingelst, und wenn dir nicht aufgemacht wird, stellst du das Essen vor die Tür und kommst morgen wieder.“ Das heißt, man geht in die Situation hinein. Ich kann besser mit der Art umgehen. Und ich habe schnell erkannt: Das machst du, um den Menschen zu helfen, um ihnen nahe zu sein, aber letztlich machst du es auch für dich selbst.
Sie waren schon mit zwölf Jahren Moderatorin bei Radio Luxemburg. Dazu gehört viel Selbstvertrauen.
Ich war neugierig. Ich war irgendwie immer auf der Suche nach einem Lebensgefühl. Ich komme aus einem Elternhaus und aus einem Land, das Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre wenig mit Ausbrechen zu tun hatte. Man hielt sich an die Norm. Ich war umgeben von Menschen, die nach dem Abitur auf Nummer sicher gehen und Beamte werden wollten. Oder Arzt oder Anwältin. Ich dachte immer, das Leben müsste doch noch viel mehr Raum haben – für eine andere Art von Lebensfreude, für mehr Abenteuer. Meine Suche hatte mehr damit zu tun als mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein.
Glauben Sie, dass sich Menschen tatsächlich ändern können? Oder ist der Charakter schon in unserer DNA festgeschrieben?
Ich glaube schon, dass wir Dinge vererbt bekommen. Von meiner Mutter habe ich zum Beispiel das Chamäleonhafte. Das heißt, dass ich mich überall auf der Welt sehr schnell anpassen kann. Meine unbändige Lebensfreude und Neugier auf die Welt und die Menschen. Von meinem Vater habe ich den Hang zur Gerechtigkeit. Mein Vater war Lkw-Fahrer, war sehr intelligent, wurde Präsident der Fahrer-Gewerkschaft und hat immer sehr für die Rechte der Leute gekämpft. Wenn er vor seinen Kollegen Reden hielt, sprühten die nur so vor Witz. Das machte er alles aus dem Stegreif. Ich habe nie gesehen, dass sich mein Vater irgendetwas aufgeschrieben hat. Dieses Talent habe ich auch von ihm. Ich möchte Ihnen gerne noch etwas über meinen Vater erzählen …
Bitte, sehr gerne.
Eines der rührendsten Geschenke habe ich von ihm bekommen. Und zwar zu meinem 18. Geburtstag. Da schrieb er mir in einen Notizkalender, den er von irgendeiner Bank bekommen hatte, vorne auf der ersten Seite ein Gedicht von ihm hinein. In schönster Schreibschrift. Er hatte wochenlang dafür geübt, erzählte mir meine Mutter später. Er hatte Schreibschrift nämlich nie richtig gelernt und schrieb nur mit Druckbuchstaben. Das beschütze ich wie den Heiligen Gral.

Als Sie den Film „Fame“ sahen, in dem es um junge Menschen geht, die auf der Highschool of Performing Arts in New York den Künstlerberuf erlernen, waren Sie so begeistert, dass Sie tatsächlich nach New York gingen, um Schauspiel zu studieren. Mit gerade einmal 19 Jahren. Woher kam der Mut dafür?
Indem ich ganz, ganz naiv den Koffer packte, mir bei Iceland Air für 99 Dollar ein One-Way-Ticket kaufte, über Reykjavik nach New York flog und mich in einem YMCA auf der Upper Westside einbuchte. Dann bin ich zur Schauspielschule gegangen und sagte: „Hallo, hier bin ich, und ich möchte hier studieren!“ Doch dann kam die kalte Dusche. Man sagte mir nämlich: „Sorry – das geht nicht. Das hier ist eine Highschool. Da muss man Amerikaner sein, hier gemeldet sein, hier leben und Steuern zahlen.“
Wie ging es dann weiter?
Ich bin in das ARD-Büro zu Werner Becker gegangen, der machte damals die TV-Sendung „New York, New York“. Zum Glück kannte er mich und hat mir geholfen. Er gab mir eine Liste mit Schauspielschulen. Die sollte ich mir alle anschauen. Da war alles dabei – von Lee Strasberg bis Stella Adler. Schließlich bin ich bei den großartigen Schauspiellehrern Uta Hagen und Herbert Berghof untergekommen.
Was haben Sie denn bei denen gelernt?
Dass die Schauspielerei ein Beruf ist. Uta Hagen sagte immer: „Ein angehender Tänzer steht acht Stunden am Tag an der Stange und macht Pliés, ein Musiker übt stundenlang am Klavier. Mit welchem Recht hockt ein Schauspieler in der Kneipe, säuft sich einen an und sagt dann: Ich bin Schauspieler, und die Welt ist gegen mich“? Und noch ein Satz von ihr begleitet mich bis heute: „Wir machen diesen Beruf für die kleinen Momente, in denen wir glauben, dass wir fliegen.“ Das ist auch mein Mantra im Leben.
Von Mitte 30 bis fast 50 haben Sie versucht, jemand zu sein, der Sie eigentlich gar nicht waren. Warum?
Damals lebte ich noch in Amerika und meine Karriere verlief alles andere als positiv. Vieles von dem, was ich mal vorhatte, musste ich wegen der Distanz zu Europa aufgeben. Natürlich auch, um bei den Kindern zu sein. Dazu kam, dass ich in Amerika im Leben nie wirklich Fuß gefasst habe, weil ich sehr oft zum Drehen in Deutschland war. Und in Luxemburg war ich auch nicht mehr richtig zu Hause, weil ich zu oft in den USA war. Da habe ich eben versucht, mich anzupassen und Dinge zu moderieren, Rollen zu spielen, die ich heute wahrscheinlich nicht mehr akzeptieren würde. Mein Selbstwertgefühl hat darunter sehr gelitten.
Wie sind Sie aus dem Tief wieder herausgekommen?

Indem ich keine Kompromisse mehr machen wollte. Wenn die Filmschauspielerei nicht für mich sein sollte – zumindest auf dem Niveau, auf dem ich sie machen möchte –, dann spiele ich eben Theater und mache kleinere Sachen, bei denen ich kreative Erfüllung empfinde. Den Rest lasse ich einfach bleiben. Und dann kam 2018 die Einladung zum Casting für die Fernsehserie „Bad Banks“. Genau in dem Moment, als ich losgelassen habe, hat sich mein Schicksal total gewendet.
Wie sieht denn Ihre nähere berufliche Zukunft aus?
Ich werde weiterhin für die Reihen „Der Irland-Krimi“ in der ARD und „Ein Fall für Conti“ im ZDF vor der Kamera stehen. Meine nächste Regiearbeit basiert wieder locker auf einem Theaterstück. Es heißt „Quietly“ und ist von dem irischen Autor Owen McCafferty. Dabei geht es um den Konflikt in Nordirland. Und um die großen Themen des Lebens, wie Verstehen und Vergebung.
Nennen Sie bitte noch drei Charaktereigenschaften, die Sie an sich schätzen – und drei, die Sie nicht so gut finden.
Ich schätze an mir Ehrlichkeit, Loyalität und Hilfsbereitschaft. Nicht so sehr schätze ich meine Sturheit, meinen Hang zum Pessimismus – ich habe Phasen, in denen ich das Glas eher halbleer sehe als halbvoll. Und manchmal bin ich auch zu ehrgeizig. Gut finde ich noch, dass ich überhaupt nicht nachtragend bin.
Sie haben einen sehr lieben Hund zum Interview mitgebracht. Wie heißt er denn?
Bowie, wie David. Er ist ein Maltipoo (Kreuzung zwischen Malteser und Pudel, Anm. d. Red.).