Mehr als 50 Jahre war darüber spekuliert worden, nun konnten italienische Wissenschaftler erstmals den Nachweis über die Existenz einer Lavahöhle auf dem Mond liefern. Diese könnte bei künftigen Missionen ein schützendes Refugium bieten und als Standort für die Errichtung von Mondbasen dienen.
Auf der Erde sind die Lavatunnel in diversen vulkanischen Regionen eine Touristenattraktion. Bei ihrer Entstehung floss einst dünnflüssige Lava von einem flachen Vulkanhang talwärts. Im Laufe dieses Prozesses erkaltete das eruptierte Magma nach und nach an den Rändern und der Oberseite des Lavastroms und bildete dabei erstarrend-feste Strukturen heraus. Während darunter wie im Inneren einer Röhre der Lavastrom sich weiterhin seinen Weg bahnte. Nach dem Versiegen des Lavastromes blieben leere Röhren oder Tunnel zurück. Am wohl bekanntesten ist der Kazumura Cave auf Hawaii, der mit einer Länge von 65,5 Kilometern und einer Tiefe von mehr als 1.100 Metern die längste und tiefste Lavaröhre der Welt ist. Aber auch auf den Kanaren, auf Island oder rund um den sizilianischen Ätna können solche Tunnel besichtigt werden. Auf der Kanareninsel Lanzarote hat der heimische Künstler César Manrique einige Lavahöhlen sogar zu Wohnhäusern oder gar Konzerthallen ausgebaut. An manchen Stellen war die Decke dieser irdischen Lavatunnel im Laufe der Zeit eingestürzt, es kam zur Ausbildung von mehr oder weniger großen Löchern, die in der wissenschaftlichen Fachsprache als sogenannte Skylights bezeichnet werden.
Mehr als 200 große Löcher entdeckt
Seit rund 50 Jahren vermutet oder spekuliert die Forschung auf Basis von theoretischen Modellen oder Analogie-Schlüssen zu vulkanischen Strukturen auf der Erde darauf, dass es auf dem Mond, der die Erde in einer mittleren Entfernung von 384.403 Kilometern umkreist und laut neuesten Erkenntnissen vor 4,46 Milliarden Jahren entstanden war, ähnliche Lavatunnel geben müsste, die daher nicht nur ein rein terrestrisches Phänomen sein könnten. Ein Beweis für diese Hypothese konnte nicht erbracht werden. Allerdings konnten anhand von Beobachtungen auf der erdzugewandten Seite des Mondes und von Bildern, die von diversen Mondsonden aufgenommen worden waren, auffällige Löcher auf der Oberfläche des Erdtrabanten identifiziert werden. Mehr als 200 dieser großen, oft kreisrunden Löcher konnten schon nachgewiesen werden. Es wurden Parallelen zu den irdischen Skylights gezogen und diese lunaren Löcher auf den Namen „Pits“ getauft. Wobei in den Jahren 2009/2010 Radarmessungen, deren charakteristische Echos auf größere Hohlräume in bestimmten Bereichen der Mondoberfläche hindeuteten, das etwaige Vorhandensein von lunaren Lavahöhlen schon mal etwas untermauern konnten.
Tunnel im Mare Tranquillitatis
Dafür wurden 2009 die Daten analysiert, die man im Rahmen der Nasa-Mission Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) mit Hilfe spezieller Techniken und komplexer Signalverarbeitungsmethoden gewonnen hatte. Die Auswertung der Radarreflexionen ließ die Wissenschaftler auf einen großen unterirdischen Tunnel im Bereich des Mare Tranquillitatis (= Meer der Ruhe) schließen. Beim Mare Tranquillitatis handelt es sich um eine dunkle Tiefebene im Norden des Erdtrabanten, wo am 20. Juli 1969 die beiden US-Astronauten Neil Armstrong und Buzz Altrin im Rahmen der Apollo-11-Mission als erste Menschen den Mond betreten hatten. Die gängige Bezeichnung von großen dunklen Flecken auf dem Mond als Mare (= Meer, Singular) oder Maria (Plural) ist ziemlich irreführend, wurde aber wegen ihres ozeanähnlichen Aussehens aus der Ferne im Unterschied zu den hellen Bereichen der Mondoberfläche gebräuchlich. Auf der trockenen Mondoberfläche gibt es jedenfalls definitiv weder Meere, Seen noch Sümpfe. Was allerdings das etwaige Vorhandensein von Wassermolekülen in tieferen Bereichen oder auch an verborgenen Stellen in den Polargebieten des Mondes nicht gänzlich ausschließt.
Im Jahr 2010 konnte im Rahmen der LRO ein sogenanntes Miniatur-Radiofrequenz-Instrument (Mini-RF) Daten ermitteln, die die mögliche Existenz eines grubenähnlichen Lochs oder Pits im Bereich des Mare Tranquilliatis weiter zu erhärten schienen. Doch ob es neben den Pits auf dem Mond tatsächlich auch noch Lavahöhlengänge gibt, konnte daraus noch nicht mit Sicherheit abgeleitet werden. „Bislang war unklar, ob die Einbrüche heute noch Zugang zu längeren Hohlräumen in den alten Lavaröhren bieten“, so Prof. Leonardo Carrer von der Universität Trient. Gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Lorenzo Bruzzone, beide Wissenschaftler sind im Fachbereich Informationstechnik und Informatik an der Südtiroler Universität tätig, konnte Prof. Carrer endlich Licht ins Spekulationszwielicht rund um die lunaren Lavahöhlen bringen und erstmals die Existenz eines ausgedehnten Höhlentunnels im Monduntergrund nachweisen. Wobei neben Forschern der Uni Trient auch noch Wissenschaftler der Universität Padua und der Non-Profit-Organisation La Venta Geographic Explorations APS an dem teilweise von der italienischen Weltraumbehörde mitfinanzierten Studien-Projekt beteiligt waren. Dessen Ergebnisse wurden jüngst im Fachmagazin „Nature Astronomy“ veröffentlicht.
Ausgedehnte Höhlentunnel
Das Team um die beiden Professoren Carrer und Bruzzone hatte als Ausgangspunkt für seine Untersuchungen die Ergebnisse der Mini-RF aus dem Jahr 2010 nochmals zur Hand genommen. Ihr Hauptaugenmerk lag dabei auf dem sogenannten Mare Tranquillitatis Pit (MTP), dem tiefsten bislang bekannten Loch der Mondoberfläche mit einem Durchmesser von etwa 100 Metern sowie senkrechten und etwas überhängenden Wänden. Es befindet sich einige hunderte Kilometer nordöstlich der Stelle der ersten Mondlandung. „Wir haben diese Daten mit komplexen Signalverarbeitungstechniken, die wir kürzlich entwickelt haben, neu analysiert“, so Prof. Carrer. „Dabei konnten wir Radarreflexionen im Bereich der Grube entdecken, die sich durch einen unterirdischen Gang erklären lassen. Diese Beobachtungen lieferten den ersten direkten Beweis für eine Lavaröhre unter der Mondoberfläche.“
Beim Analysieren der Radarbilder der Mini-RF stießen die Forscher zunächst auf einen schmalen Streifen, der vom MTP aus nach Westen verlief. Dieser schmale Streifen hatte die Radarstrahlung deutlich stärker als das Umfeld reflektiert, woraus die Wissenschaftler auf das Vorhandensein eines möglichen Hohlraumes geschlossen hatten. Was die Forscher anschließend mit Hilfe von Computersimulationen überprüft hatten. Laut ihren Berechnungen muss es sich um einen Höhlengang in einer Tiefe von 130 bis 170 Metern handeln, der auf dem Grund des Pits in einer Länge von 30 bis 80 Metern und mit einem Durchmesser von etwa 45 Metern vom Mare Tranquillitatis in westlicher Richtung abzweigt. Außerdem konnte aus den Daten abgeleitet werden, dass der Höhlengang vom leicht abschüssigen Boden des Pits mehr oder weniger horizontal oder zumindest nicht steil abfallend verläuft, was ihn theoretisch für Menschen erschließbar machen könnte. „Das deutet darauf hin, dass das MTP zu einem zugänglichen Höhlengang unter der Mondoberfläche führt“, so das Forscherteam.
Letzte Sicherheit gibt es diesbezüglich allerdings nicht, vielleicht führt der Gang nach einigen Meter auch schroff in die Tiefe. Was laut den Forschern damit zusammenhängt, dass die bislang zum Einsatz gekommenen Kameras und Radarinstrumente von Raumsonden im Mondorbit meist nur senkrecht oder maximal leicht schräg in die Öffnungen der Pits hineinblicken oder hineinwirken können. Steile Wände oder überhängende Felswände können damit problemlos nachgewiesen werden, aber nur in seltenen Glücksfällen wie beim MTP lassen sich seitliche Abgänge am Grund der Pits auffinden. Laut Prof. Carrer war das Radar im Rahmen der LRO-Mission wegen einer vergleichsweise geringen Auflösung eigentlich auch gar nicht darauf spezialisiert gewesen, etwaige Höhlengänge aufzuspüren. „Es war für uns deshalb nicht möglich, weitere Höhlen bei anderen Pits nachzuweisen“, so Prof. Carrer. Radarmessgeräte, die die Mondoberfläche in einem besonders flachen Winkel abtasten können, sollten daher laut den Forschern künftig zum Einsatz gebracht werden. Mit Blick auf die Relevanz solcher Tunnel für einen längeren menschlichen Aufenthalt auf dem Erdtrabanten empfehlen die Wissenschaftler daher die Entsendung einer Sonde mit spezialisiertem Radargerät in die Mondumlaufbahn. „Ein vollständiger Kataloge aller bekannten Pits würde uns zeigen, welche Stellen sich am besten für die Errichtung einer Mondbasis eignen würden“, so das Forscherteam. „Zudem lässt sich unsere Methode auch für den Mars anwenden. Denn auch dort sind bereits über 1.000 solcher Gruben bekannt.“
Standort für Mondbasis
Zwar könnte die Erforschung der lunaren Lavahöhlen bei künftigen Mondmissionen wertvolle Informationen über die geologische Vergangenheit des Erdtrabanten und wertvolle Einblicke zur etappenweisen Entstehung der lunaren Maria anhand von unterschiedlich alten Lavaproben liefern. Doch viel wichtiger könnten die Höhlen als potentiell sicherer Aufenthaltsort für die Astronauten werden. Zumindest als kurzzeitiges Refugium für den langwierigen Bau von dauerhaften Mondbasen. Denn laut neuesten Nasa-Studien könnten die Temperaturen in lunaren Lavagängen des MTP konstant bei geradezu idealen rund 17 Grad Celsius liegen. Womit eines der größten Probleme bei der langfristig angedachten Mondbesiedelung gelöst werden könnte. „Die Oberflächentemperaturen auf der sonnenbeschienen Seite des Mondes können bis zu 127 Grad Celsius erreichen. Während die Temperaturen auf der unbeleuchteten Seite auf minus 173 Grad Celsius sinken können. Diese Bedingungen machen es erforderlich, sichere Standorte für den Bau von Infrastrukturen zu finden, die eine nachhaltige Exploration ermöglichen“, so die Forscher. Zusätzlich könnten Lavahöhlen auch Schutz vor Mikrometeoriten sowie vor der permanent starken kosmischen und solaren Strahlung bieten, die laut den Wissenschaftlern auf dem Mond bis zu 150-mal stärker als auf der Erde ist. Laut Einschätzung des Forscher-Teams wäre das MTP „ein vielversprechender Standort für eine Mondbasis“. Gruben wie das MTP sollten daher bei künftigen Mondmissionen mit Robotern gründlich untersucht werden. Aber selbst für die Roboter dürften die Pit-Erkundungen laut den Wissenschaftlern eine große Herausforderung darstellen. Aber ohne vorherige genaue Kenntnisse über die unterirdischen Gänge wird wohl niemand einen Menschen dort hineinschicken wollen.