Er ist der „Überraschungs-Papst“, seine Wahl eine „Sensation“. Papst Leo XIV. will die von Franziskus vorgezeichneten Wege weitergehen. Die Erwartungen, nicht nur der Katholiken, sind groß.

Vierundzwanzig Stunden, vier Wahlgänge, und dann mehr als die erforderliche Zweidrittel-mehrheit. Wobei Letzteres nicht wirklich genau bekannt ist, denn die Wahl eines neuen Papstes ist die wohl abgeschirmteste und verschwiegenste Wahl, die es weltweit gibt.
Das Ritual samt Rauchzeichen aus dem Schornstein über dem Dach der weltberühmten Sixtinischen Kapelle unterstreicht in seiner Einzigartigkeit dieses außergewöhnliche Ereignis.
Die berühmte Möwe, die ihre Kreise über dem Dachrund um den Schornstein zieht, hat ihre eigene Berühmtheit erlangt und ist bei Reportern aus aller Welt beliebt. Nachdem der weiße Rauch unter Begutachtung jener Möwe aufgestiegen war, waren eben diese Reporter vor allem mit zwei Fragen beschäftigt: Prevost – wer? Und: Welche Schuhe wird er bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als Papst tragen?
Dabei war die Schuhfrage alles andere als die Frage nach einem modischen Detail. Schließlich hatte der verstorbene Papst Franziskus bei seinem ersten Gruß als Papst neben vielen anderen Symbolen auch mit seinen Schuhen mit der langen Tradition gebrochen, wonach Päpste würdevoll mit roten Schuhen unterwegs sind. Franziskus signalisierte dagegen von der ersten Minute an, dass er wie normale Menschen unterwegs sein wollte.
Mit der Schuhfrage stand also im Raum: Wird Robert Francis Prevost als Papst Leo XIV. in den Fußstapfen von Franziskus weitergehen oder andere Wege einschlagen?
Zuerst einmal beteuerten aber Vatikanexperten, die zuvor unablässig Interviews gegeben haben, sie hätten den US-Amerikaner (und Peruaner, Prevost hat beide Staatsbürgerschaften), durchaus auf ihrem Zettel gehabt. Wäre es aber nach diesen Zetteln gegangen, dann hätte aus einem kurzen Enklave eigentlich nur Pietro Parolin, Staatssekretär im Vatikan, als Papst hervorgehen können. Im Fall längerer Beratungen und weiterer Abstimmungen waren auch noch etliche weitere Kardinäle aus Afrika und dem asiatischen Raum als „papabile“ im Gespräch.
Prevost erwarb sich guten Ruf

Die Kardinäle haben nun schnell und offenbar sehr klar nicht nur die Welt, sondern auch so gut wie sämtliche Vatikan-Experten überrascht. Die wiederum finden im Nachhinein die Wahl von Robert Francis Prevost gar nicht so unplausibel. Kardinal Prevost war von Papst Franziskus als Leiter der Bischofsbehörde berufen worden und damit quasi Personalchef der Kardinäle. Dort hat er sich offenbar einen außerordentlich guten Ruf erworben.
Sein Werdegang und Wirken in den USA, aber vor allem in Peru als Bischof des Bistums Chiclayo und auch als weltweiter Leiter des Augustinerordens (Generalprior) liest sich ohnehin wie eine passende Bewerbung für das höchste Amt der katholischen Kirche. Allenfalls die Tatsache, dass er US-Amerikaner ist, schien als ein No-Go für einen Papst gegen seine Wahl zu sprechen.
Nun also doch. Die Kommentatoren sprachen von „Sensation“ und einem „Überraschungspapst“. Und jede noch so kleine Geste, jedes einzelne Wort samt Mimik wurden akribisch notiert und analysiert.
Was ist vom neuen Papst, der sich den Namen Leo ausgewählt hat, zu erwarten? Die Frage stellen sich nicht nur die rund 1,4 Milliarden katholischen Christen weltweit.
Die erste Vermutung: Leo XIV. könnte ein „politischer“ Papst werden. Politisch in dem Sinn, dass er sich auch als Orientierung gebende Instanz einmischt. Mit seinem ersten Satz als Papst hat er bereits ein Schlüsselwort genannt: Frieden.
Und das hat er bei seinem ersten Sonntagsgottesdienst noch einmal ausdrücklich unterstrichen: „Angesichts des aktuellen dramatischen Szenarios eines Stück weit Dritten Weltkriegs, wie es Papst Franziskus wiederholt festgestellt hat, wende ich mich an die Großen dieser Welt und wiederhole diesen weiterhin aktuellen Appell: Nie wieder Krieg!“
Nun sind Nächstenliebe und Frieden Kernelemente des christlichen Glaubens, insofern sollte es also eigentlich keine Überraschung sein, wenn ein Papst davon spricht. Dass trotzdem dieser erste Satz öffentlich so aufgenommen wurde, hat natürlich mit der aktuellen Situation weltweit zu tun.
Vielleicht ist in diesem Moment auch noch mal ein erst wenige Tage altes Bild in den kollektiven Sinn gekommen. Fotos vom Gespräch zwischen US-Präsident Trump und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj am Rande der Trauerfeierlichkeiten für Papst Franziskus. Beide Präsidenten mitten in einer imposanten Halle (von denen der Vatikan einige hat), alleine im Gespräch. Schon das Foto zeigte den kompletten Gegenentwurf zu dem, wie sich sonst die Staats- und Regierungschefs begegnen, und erst recht zu den Bildern, die üblicherweise aus dem Weißen Haus um die Welt gehen, besonders dem berühmten Treffen, bei dem Selenskyj auch von US- Vizepräsident Vance abgekanzelt wurde.
Auffallend ist, dass sich seit dem Treffen im Vatikan erst der Tonfall deutlich verändert hat und inzwischen auch die Entwicklungen der Gespräche und Verhandlungen. Ein Beitrag vatikanischer Diplomatie?
Natürlich wurde auch schnell daran erinnert, wie Kardinal Prevost Vizepräsident Vance, der vor einigen Jahren zur katholischen Kirche übergetreten ist, öffentlich zurechtgewiesen hat. Vance hatte versucht, die harte Migrationspolitik der US-Administration mit einem Zitat des Kirchenlehrers Thomas von Aquin zu rechtfertigen. Prevot konterte: „JD Vance liegt falsch.“
Papst Franziskus hatte noch in den letzten Wochen den US-amerikanischen Bischöfen, die Kritik an der Regierung Trump geübt hatten, den Rücken gestärkt.
Und jetzt Papst Leo XIV. als „Antipode zu Trump“, wie es der katholische Sozialethiker Markus Vogt im Bayerischen Rundfunk einordnet?
Vance öffentlich zurechtgewiesen

Es wäre zu kurz gegriffen, das Wirken eines Papstes nur vor dem Hintergrund tagesaktueller Entwicklungen zu sehen. Trotzdem lassen die Äußerungen der ersten Tage des Pontifikats von Leo XIV. erwarten, dass er sich selbst in einer Kontinuität zu Franziskus sieht, wenn auch wohl weniger radikal. Sätze wie „Diese Wirtschaft tötet“ wird man vermutlich nicht mehr lesen oder hören, wohl aber, dass sich die Kirche um die „Geringsten und Ausgestoßenen“ zu kümmern habe. Ein Weg, den er als „demütiger Diener“ beschreiten wolle. Das klingt wie Franziskus pur. Was wiederum im Grunde der Kernbotschaft der Christen entspricht. In der Sache hat sich der neue Papst schon mit seiner Namenswahl in ein Programm gestellt, das klar auf der Seite der Schwächeren steht.
Dass Leo XIII. Ende des 19. Jahrhunderts mit „Rerum Novarum“ die erste katholische Sozialenzyklika während der aufstrebenden Industrialisierung formulierte und damit die Grundlagen für die katholische Soziallehre legte, was ihm den Beinamen „Arbeiterpapst“ eintrug, ist bereits vielfach erwähnt worden.
Gut 135 Jahre später erkennt nun Leo XIV. in neuen technologischen Entwicklungen Herausforderungen und Fragen, die an die Substanz gehen. Der Papst, der aus dem Land von Alphabet (Google), Amazon, Meta und wie die Tech-Giganten alle heißen, kommt, sieht in Künstlicher Intelligenz (KI) eine der größten Herausforderungen „für die Verteidigung der Menschenwürde, der Gerechtigkeit und der Arbeit“. Und dabei will er sich auch einmischen: „In unserer Zeit bietet die Kirche allen den Schatz ihrer Soziallehre als Antwort auf eine weitere industrielle Revolution und auf die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz an“, sagte er bei seiner ersten Audienz.
Es spricht also viel schon aus den ersten Tagen dafür, dass Papst Leo XIV. insofern ein „politischer“ Papst werden wird, als er sich in den wesentlichen und zentralen Fragen, die alle Menschen, egal wo auf der Welt, betreffen, einmischen wird. Die zweite Vermutung: Papst Leo XIV. wird Reformen der Kirche (behutsam) weiterführen. Die Geschichte der katholischen Kirche war immer wieder durch Gegenbewegungen gekennzeichnet. Nach einem reformfreudigeren Papst wurde häufig ein Traditionalist gewählt, auf einen stärker der Welt zugewandten Papst folgte ein theologischer Denker (und jeweils umgekehrt). Folglich waren auch viele Spekulationen im Vorfeld in der Welt, dass nach einem Franziskus, der auch schon mal mit seinen Einmischungen für Irritationen sorgte, nun wieder ein Gegenpart gewählt werden könnte.
Das war nun erkennbar nicht der Fall. Im Gegenteil: Leo XIV. hat sich von der ersten Minute an immer wieder direkt oder inhaltlich in die Kontinuität von Franziskus gestellt.
Dass das Wort „synodal“ gleich zweimal in seiner ersten kurzen Ansprache vorkam, war ein unmissverständlicher Hinweis. Das wiederholte er wohl inhaltlich bei seiner ersten Ansprache an das Kardinalskollegium am Tag danach, wo er sich auch auf das II. Vatikanische Konzil und die Synodalität berief.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sieht in der Papstwahl ein „Kontinuum, aber keine Kopie“. Daraus lässt sich noch kaum ablesen, was das für das Verhältnis der deutschen Katholiken zum Vatikan bedeutet.
„Kontinuum, aber keine Kopie“
Der „Synodale Weg“, den man in den letzten Jahren in Deutschland versucht hat, zu gehen, ist von Papst Franziskus eher skeptisch bis ablehnend betrachtet worden. Unvergessen seine Kommentierung, Deutschland habe doch bereits eine gute evangelische Kirche. Obwohl seine anfängliche Botschaft mit dem Schreiben „an das pilgernde Volk“ noch Hoffnung geweckt hatte, in Rom auf Wohlwollen für neue Wege zu treffen. Der deutsche Weg, der auch eine Antwort sein soll auf verloren gegangenes Vertrauen (vor allem wegen der Missbrauchsfälle) und Kirchenaustritte, der aber auch in der umstrittenen Frauenfrage versucht, Fortschritte zu erreichen, ist allerdings mit Blick auf die Weltkirche eine Besonderheit und Ausnahme. Während sich die katholische Kirche in Deutschland und anderen Teilen Europas mit einem Schrumpfungsprozess auseinandersetzen muss, zeigt sie sich in anderen Weltregionen im Aufwind. Und dort stellen sich ganz andere Fragen und Herausforderungen als hierzulande.
In Afrika ist die Zahl der Katholiken in den vergangenen Jahren um mehr als drei Prozent gewachsen, damit machen sie inzwischen rund 20 Prozent der Katholiken weltweit aus, womit der Anteil ähnlich groß ist wie der der Europäer (20,4 Prozent der Katholiken lebten Ende 2023 in Europa). Nicht umsonst wurde auch lange spekuliert, ob es nicht auch den ersten schwarzen Papst geben könnte (Fridolin Ambongo Besungu).
Den größten Anteil haben nach wie vor Katholiken in Amerika, vor allem Südamerika. Allein in Brasilien bekennen sich über 180 Millionen zur katholischen Kirche.
Auch im asiatisch-pazifischen Raum wächst die Kirche (Luis Antonio Tagle aus Indonesien war ebenfalls im Gespräch). In diesen Regionen haben die Gläubigen andere Sorgen (und andere Gewohnheiten), auf die ein Papst zu achten hat.

Dass ihn die einen als (US-)amerikanischen Papst sehen, die anderen aber eher als Papst aus Peru, (und er ganz nebenbei eine ganze Reihe von Sprachen spricht) ist eine der guten Kombinationen von Erfahrungen, die bei den globalen Herausforderungen extrem hilfreich sein dürften.
Sein Wahlspruch ist auf die Einheit angelegt: „Nos multi in illo uno unum“,[35] heißt sinngemäß: „In jenem einen (Christus) sind wir vielen eins“. Auf dem päpstlichen Wappen steht verkürzt: „in illo uno unum“.
Der Ruf des „Brückenbauers“ geht Papst Leo XIV. voraus. Er ist so oft in den ersten Amtstagen bemüht worden, dass sich daraus auch eine der vielleicht größten Erwartungshaltungen ablesen lässt, sicher nach innen gerichtet, aber eben auch mit dem Wirken in der Welt.
Nach den ersten Eindrücken scheint es, als seien Erwartungen und Hoffnungen nicht nur der Katholiken eher noch gestiegen. Weshalb der Theologe Paul Zulehner knapp bemerkt: „Nun ist es an Leo XIV., Nägel mit Köpfen zu machen“. Und inzwischen gehen auch nicht wenige davon aus, dass dieser Papst noch für Überraschungen gut ist.