Die Männerheilkunde ist ein weit gestecktes Feld und befasst sich mit spezifischen Krankheiten des Geschlechts. Dr. Christian Leiber gibt einen ersten Einblick in die Andrologie.
Erektionsstörungen belasten Beziehungen. Umso erfreuter ist Dr. Christian Leiber, wenn er Paaren helfen kann, aus so einer Krise herauszukommen. Der Urologe ist seit Anfang des Jahres tätig am Alexianer Krankenhaus Maria-Hilf GmbH Krefeld. In der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Urogynäkologie ist er als Oberarzt für den Bereich Andrologie dabei, diesen Bereich weiter auszubauen. Als Medienbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Andrologie gehört er zum Vorstand des Verbandes und möchte mit Aufklärungsarbeit dazu beitragen, über die Andrologie – also die Männerheilkunde – zu informieren. Und das sei immens wichtig – denn unter Erektionsstörungen beispielsweise würden rund vier Millionen Bundesbürger leiden. „Tendenz steigend", wie Christian Leiber erklärt.
Ein Grund dafür sei, „weil wir in einer älter werdenden Bevölkerung leben", wie er hervorhebt. Doch die Erektile Dysfunktion hat natürlich nicht nur körperliche Hintergründe, auch die Psyche spielt dabei eine große Rolle. Dabei sei es ein Phänomen, dass in einer heterosexuellen Partnerschaft die Frau oftmals denke, dass es an ihr liege. Sein Tipp: ganz offen darüber sprechen. Eine seelische Komponente liegt zum Beispiel vor, wenn der Mann Angst hat, sexuell zu versagen. Dies lässt sich oftmals zurückführen auf Beziehungskonflikte, Trennungsgedanken, Selbstvorwürfe, beruflichen Misserfolg und auf die sich ändernden Rollenkonflikte als Mann.
Im schlimmsten Fall sind Erektionsprobleme ein Warnsignal für ein körperlich noch fataleres Problem: Herz-Kreislauf-Störungen. Dabei würden sich die Risikofaktoren ziemlich genau entsprechen: Rauchen, zu wenig Bewegung, zu viel Alkohol, zu viel Körpergewicht. Ein Zusammenhang ergibt sich dadurch, dass die Blutgefäße im Glied im Durchmesser etwa halb so groß sind wie die des Herzens. Medizinisch ausgedrückt: Eine generalisierte Arteriosklerose wird kleinere, haarfeine Kapillargefäße sehr viel schneller beeinträchtigen als beispielsweise die im Vergleich deutlich größeren Herzkranzgefäße. Untersuchungen und Studien haben ergeben, dass Erektionsstörungen bei Patienten etwa fünf bis sieben Jahre vor einem möglichen Herzinfarkt oder Schlaganfall auftreten. Die Erektile Dysfunktion kann also „auf ein Risiko hindeuten, von dem der Mann noch gar nichts weiß".
Im Gespräch mit FORUM zeigt sich Christian Leiber als Freund der offenen Worte. Genau dies sei auch bei der Diagnostik wichtig, wie er erläutert. Denn es bringe ja dem Patienten im Endeffekt nichts, das eigentliche Problem außen vor zu lassen. Dann müsse „Klartext bis zur Schmerzgrenze" her, wie er es ausdrückt. Da müsse man stellenweise schon mal „eine gewisse Frustrationstoleranz haben", wenn es etwa nicht gelinge, zum Patienten durchzudringen. Je nach Diagnostik gehe es dann an die Therapie, die zum Beispiel medikamentös oder in psychotherapeutischen Sitzungen erfolge.
Dann gebe es natürlich die Möglichkeit zu einem operativen Eingriff, bei dem beispielsweise ein Penis-Implantat eingesetzt wird. Die Zufriedenheitsrate bei den operierten Männern liege extrem hoch, bei 80 bis 90 Prozent. „Das freut einen natürlich als Operateur." Doch er weist auch darauf hin, wann Therapien nicht helfen: „Das zählt nicht für verkorkste Beziehungen." Denn sollte es, salopp formuliert, mit der Partnerin nicht klappen, aber mit einer Geliebten schon – dann könne ein Androloge auch kaum etwas machen.
Rund vier Millionen Männer leiden in Deutschland an einer Erektionsstörung
Ein weiteres wichtiges Thema im Feld der Männerheilkunde ist die Fertilität beziehungsweise Infertilität – sprich die Fähigkeit zur Fortpflanzung oder eben die Unfruchtbarkeit. „Warum gibt es noch keine Pille für den Mann?", fragt Christian Leiber rhetorisch. Das sei schlicht biologisch schwieriger, als es für Frauen sei, die das Verhütungsmittel für die orale Einnahme schon seit den 60er-Jahren haben. Hormonell wird hier jeweils der Eisprung einer einzelnen Eizelle verhindert. Und hier liege umgekehrt die Krux: „Wie wenig Spermien braucht man, um nicht zeugungsfähig zu sein?", sei dabei die Frage, die nicht recht beantwortet werden könne. Zudem sei es sehr teuer, Medikamente auf den Weg zu bringen, also von der Forschung über die Beschreibung bis zur Zulassung. Dennoch werde natürlich weiter geforscht. Der Androloge fasst zusammen: „Ein unmittelbarer Durchbruch steht noch nicht bevor."
In Sachen freiwilliger Zeugungsunfähigkeit sehe er außerdem einen eindeutigen Wechsel im Zeitgeist, da jüngere Männer heute deutlich eher zu Behandlungen bereit seien als noch vor einigen Jahren. Eine Sterilisation ist bei Frauen zudem ein deutlich komplexerer Eingriff als bei Männern die Vasektomie. Bei der auch Vasoresektion genannten Operation werden die Samenleiter innerhalb des Hodensacks durchtrennt, was zur Zeugungsunfähigkeit führt. Die Fortpflanzung ist also nicht mehr möglich – und der Patient somit unfruchtbar.
Das bedeutet aber auch, dass Samenzellen weiterhin produziert werden. Die sexuelle Lust existiert ebenfalls weiterhin und die Fähigkeit zur Erektion bleibt erhalten. Die Ejakulation mit dem Austritt von Samenflüssigkeit ist weiterhin möglich, sie enthält aber eben keine Samenzellen mehr. Stattdessen wandern die produzierten Samenzellen in den Nebenhoden und werden dort abgebaut. Im Gegensatz dazu wird eine Kastration heute im Grunde nur noch aus medizinischen Gründen vorgenommen. Das Entfernen der Hoden wurde früher vor allem in Kriegen zur Demütigung oder aus religiösen Gründen umgesetzt.
Das dritte große Feld in der Männerheilkunde ist die Diagnostik und Therapie bei Hormonstörungen. Diese betreffen bei Männern vor allem das Testosteron und können zu Erektionsproblemen und Libidoverlust führen, aber auch zu allgemeiner Abgeschlagenheit und Müdigkeit. Auch wenn das Alter der Patienten von Pubertierenden bis zu Senioren reicht, sind doch vor allem Männer in fortgeschrittenen Jahren betroffen. Hormone sind Stoffe in einem Organismus, die elementare Vorgänge regeln, etwa den Stoffwechsel oder das Wachstum. Es gibt sehr viele Hormone, die jedoch immer ein komplexes System bilden.
Am bekanntesten sind wohl die Geschlechtshormone Östrogen und Testosteron, die starken Einfluss auf die Libido haben. Obwohl Testosteron bei allen Geschlechtern vorkommt, wird das Hormon vor allem mit Männern assoziiert. Das Sexualhormon ist beim Mann hauptsächlich für die Ausprägung der „männlichen Erscheinung", für das Wachstum insbesondere von Fettspeicher und Muskelmasse und für die Produktion von Spermien zuständig. Fehlt Testosteron dauerhaft, können Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie, Osteoporose, Anämie oder Depressionen entstehen.
Gerade Letzteres sei bei Männern noch immer ein Tabuthema. „Vielen ist das unangenehm und fast peinlich", sagt Christian Leiber. Häufige Müdigkeit, Antriebslosigkeit und Gewichtsveränderungen können Anzeichen einer Hormonstörung sein. Dabei sei es ungeklärt, ob zum Beispiel eine Gewichtszunahme von einer Hormonschwankung komme oder umgekehrt. Die alte Frage also: War zuerst das Huhn oder das Ei da? Der Androloge erklärt: „Das ist nicht zu beantworten, aber ein Zusammenhang ist offensichtlich."
Fehlt es dem männlichen Körper an Testosteron, kann dieses in einer Therapie künstlich zugeführt werden. Das geschieht beispielsweise durch eine Spritze in die Muskulatur oder mittels Auftragen auf die Haut per Gel. Die Zufuhr per Spritze erfolgt im Regelfall über einen längeren Zeitraum hinweg. Christian Leiber erklärt: „Man ist schon stolz, wenn ein Patient nach zwei bis drei Jahren Behandlung ein anderes Erscheinungsbild hat." Auch hier zähle im Vorfeld ein offenes und natürlich vertrauliches Gespräch. „Das ist vielleicht manchmal ein guter Trigger." Etwa 30 bis 50 Prozent seiner Patienten, so schätzt er, würden die Behandlung durchziehen. Fest stehe jedenfalls: „Das Gesamtbewusstsein hat sich dramatisch geändert und verbessert."
In der Andrologie sei es im Grunde wie bei jedem anderen medizinischen Bereich: „Man könnte viel mit Prävention verhindern." Da seien erst mal die Vermeidung von Risikofaktoren. Wie bereits erwähnt, zählen hierzu der eingeschränkte Konsum von Alkohol, das Einstellen des Rauchens und mehr Bewegung. Dazu komme die männerspezifisch riskantere Lebensweise: Etwa zehnmal so viele Männer wie Frauen würden beispielsweise durch Unfälle versterben. Auch begingen Männer fünfmal so oft Selbstmord wie Frauen, was wiederum für einen offeneren Umgang des weiblichen Geschlechts mit Depressionen spricht.
„Globaler betrachtet sterben Männer im Schnitt fünf Jahre früher als Frauen", erklärt Christian Leiber. 50 Prozent aller Männer über 50 Jahre seien übergewichtig. „Das ist natürlich eine Katastrophe", bringt er es auf den Punkt. Das könne man auf die Evolution zurückführen, als man vor Zehntausenden Jahren noch regelmäßig 30 Kilometer zu Fuß am Tag zurücklegte und ein Fettspeicher sinnvoll war. Der Facharzt für Urologie plädiert für eine Umstellung der Ernährung, rät jedoch von überhasteten Diäten ab.
Zur Prävention könnten auch Jungensprechstunden beitragen. Dafür setze sich dann beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Urologie ein, bei der er ebenfalls Mitglied ist. Die Scham über einen Arztbesuch müsse abgebaut werden, damit man beispielsweise bereits mit 30 Jahren zu einer Vorsorgeuntersuchung gehe. Fakt sei aber: „Man braucht männliche Idole, die das vorleben." Anzeigenschaltungen in Fachmagazinen mit vorwiegend männlichem Publikum wie „Auto Motor Sport" könnten ebenfalls hilfreich sein. Am Ende laufe es wohl auf die vereinfachende Frage hinaus: „Will ich rauchen oder eine gesunde Erektion?"