Dillinger und Saarstahl weisen nach personeller Schrumpfkur und Aufkäufen ein Rekordergebnis aus. Gleichzeitig sitzt der Vorstand auf glühenden Kohlen: Um rechtzeitig die EU-Klimaziele zu erreichen, braucht es bald Förderzusagen aus Brüssel und Berlin.
Mit viel Geld muss die saarländische Stahlindustrie das Fundament für ihre CO2-Reduktion legen. Die gute Nachricht: Nach einer heftigen Corona-Delle stiegen die Einnahmen 2022 wieder – sogar auf Rekordhöhen. Die Marktführerschaft bei Offshore-Windenergieanlagen konnte ausgebaut werden. Darauf hatte sich Dillinger bereits sehr früh konzentriert. „Diese Position wollen wir weiter ausbauen“, sagt Karl-Ulrich Köhler, Vorstandschef von Dillinger und Saarstahl. Für die Beschäftigten der beiden Unternehmen gibt es ebenfalls gute Nachrichten: Der Jobabbau der vergangenen Jahre ist gestoppt. Etwa 14.200 Mitarbeiter zählten sie gemeinsam noch vor fünf Jahren, mittlerweile arbeiten 1.000 Menschen weniger in den beiden Stahlunternehmen – sozialverträglich ohne betriebsbedingte Kündigungen abgebaut, betont Personalvorstand Jörg Disteldorf. Jetzt sei es an der Zeit, Fachkräfte einzustellen und die derzeit vorhandenen umzuschulen: Die Hütte braucht mehr und mehr Verfahrenstechnologen, Industriemechaniker oder Elektronikspezialisten, die die neue Art, Stahl herzustellen, beherrschen. „Die Unternehmen haben trotz schwieriger Bedingungen im Jahr 2022 die Ergebnisse des Vorjahres deutlich übertroffen und sich auf hohem Niveau stabilisiert. Diese Ergebnisse geben das notwendige Vertrauen für die großen Schritte auf dem Weg zur Produktion von ‚grünem‘ Stahl. Dies ist auch dem Engagement und der Leidenschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verdanken, die für diesen Erfolg viel geleistet haben“, so Köhler.
„Auf hohem Niveau stabilisiert“
Trotzdem gibt es nicht nur gute Nachrichten. Die Mengennachfrage bei wichtigen Produkten, vor allem bei Langprodukten, ist rückläufig. Dies bekommt vor allem Saarstahl zu spüren, das die derzeit stark unter Druck stehende Autoindustrie beliefert. Die Folge: Kurzarbeit. Die Nachfrage insgesamt ist schwankend: Während sie im ersten Halbjahr hoch gewesen sei, schwächte sie sich anschließend und bis ins Jahr 2023 reichend ab, stellt Köhler fest. Die Industriestrompreise sind zu hoch, ebenso weitere Rohstoffpreise. Wahrscheinlich werden Stahlprodukte teurer, weil die Unternehmen die hohen Kosten an ihre Kunden weitergeben.
Für die Produktion von „grünem“ Stahl benötigen die Unternehmen der Stahlholding, Dillinger und Saarstahl, nun Investitionen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro. Auf der aktuellen Jahres-Pressekonferenz lieferten die Unternehmen und ihr Vorstandschef Karl-Ulrich-Köhler nun den Beweis, dass ihre Betriebe nach wie vor sehr profitabel arbeiten. Dennoch können die beiden Schwesterunternehmen die notwendigen Investitionen nicht alleine stemmen. Dafür stellt nun das Land einen Teil des jüngst aufgelegten Transformationsfonds als Beihilfe zur Verfügung, damit infolgedessen IPCEI-Fördergelder der Europäischen Union den technologischen Umbau der Unternehmen unterstützen. Die Signale seien gut, so Karl-Ulrich Köhler.
Denn künftig wird die Herstellung anders laufen müssen. Eine wesentliche Rolle dabei sollen Elektrolichtbogenöfen spielen. In diesen elektrisch betriebenen Öfen wird Schrott eingeschmolzen – mehrere Millionen Tonnen pro Jahr müssen es schon sein, damit es sich rechnet. Die Schrottmenge sei da, so Köhler. Aber der deutsche Markt für Schrott wird sich verändern müssen, um die deutschen Stahlunternehmen, die allesamt in den gleichen Veränderungsprozessen wie Dillinger und Saarstahl stecken, zu bedienen. Derzeit exportiert Deutschland deutlich mehr Schrott, als es importiert, nach Angaben des Fachverbandes Schrott netto 4,34 Millionen Tonnen im Jahr 2019. Knapp drei Millionen Tonnen braucht nach Angaben der Stahlholding alleine die saarländische Stahlindustrie, wenn die Produktionsroute komplett auf Wasserstoff statt Koks umgestellt würde – und das im laufenden Betrieb.
Ermutigende Aussichten
Die notwendigen Bauvorhaben sind vorbereitet, Genehmigungen eingeholt. Dillinger und Saarstahl sind bereits mit 150 Millionen Euro in Vorleistung gegangen. Was noch fehlt, sind die Förderzusagen aus Berlin und Brüssel, aber Köhler bleibt zuversichtlich. Bis 2030 muss das Projekt beendet sein, dann müssen die CO2-Emissionen laut EU-Plan um 55 Prozent heruntergefahren sein, bis 2055 dann um 100 Prozent. Die Stahlindustrie ist für acht Prozent der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich. Bis spätestens 2028 soll deshalb in Phase eins des Umbauprozesses – mit jenen bereits veranschlagten 3,5 Milliarden Euro Investitionsvolumen – die Stahlproduktion CO2-ärmer werden, dank zweier Elektrolichtbogenöfen in Dillingen und Völklingen, dank verstärkter Wasserstoffeinspritzung in den Hochofen. Einer der noch verbleibenden alten Hochöfen in Dillingen wird dann stillgelegt. In Phase zwei soll dann bis 2045 ein dritter Elektrolichtbogenofen dazukommen und der Wasserstoffeinsatz noch einmal deutlich erhöht werden. Das Polster für die Zukunft, das sich die beiden Stahlunternehmen erwirtschaftet haben, ist also wichtig angesichts einer schwierigen Marktlage.
Dabei sind die Aussichten nach Konzernangaben durchaus ermutigend. Vor allem das Geschäft mit Dickblechen für die Offshore-Windanlagen verspricht einen weiteren Aufschwung. Die Suche nach neuen Geschäftsfeldern für Saarstahl geht weiter, während sich das Unternehmen vor allem bei der Produktion von „grünen“ Schienen engagiert – infolge des Aufkaufs zweier französischer Stahlwerke. Erste Lieferverträge für grünen Strom seien ebenfalls geschlossen, sagt Köhler. Dillinger und Saarstahl stehen in den Startblöcken. Die Förderzusage wäre der Startschuss zum endgültigen Umbau einer ganzen Industriesparte. Der Blick richtet sich nun nach Brüssel und Berlin.