Sie sind älter als die Pyramiden und Stonehenge: die „Ganggräber“ von Newgrange, Knowth und Dowth im irischen Boyne Valley. Seit 1993 gehören sie zum Unesco-Welterbe, ein aktuelles Forschungsprojekt hat neue Erkenntnisse zutage gefördert.
Eigentlich wollte der Großgrundbesitzer Charles Campbell im Jahr 1699 auf seinem Besitz lediglich aus einem überwachsenen Erdhügel Steine für den Bau von Mauern und Gebäuden graben lassen. Doch seine Arbeiter stießen dabei auf einen Eingang und einen Tunnel, der in den Hügel hinein bis zu einer Grabkammer führte. Zufällig hielt sich damals der walisische Altertumsforscher Edward Lhuyd in der Region auf, von ihm stammte der erste Bericht über den Grabhügel von Newgrange, in dessen Inneren man auch die Überreste zweier Menschen sowie Glas- und Keramikperlen gefunden hatte. Lhuyds Beschreibungen riefen andere Wissenschaftler und Interessierte auf den Plan, darunter Sir Thomas Molyneux, einen Professor des Trinity Colleges in Dublin. Aber auch den britischen Politiker Thomas Pownell, der lange Jahre britische Kolonien in Nordamerika unter anderem als Gouverneur der Massachusetts Bay verwaltet hatte. Und sich nach seiner Rückkehr nach England archäologischen Forschungen widmete.
Er ließ 1769 den Hügel von Newgrange vermessen, dokumentierte aber auch die Anzahl der Megalithen, die den Hügel einfassten und die Felsbilder, die unter dem wuchernden Pflanzenwuchs zum Vorschein kamen. Pownell konnte sich allerdings ebenso wenig wie andere seiner Zeitgenossen vorstellen, dass die Anlage von Newgrange zusammen mit weiteren ähnlichen Strukturen im Flusstal des Boyne von irischen Siedlern in der Jungsteinzeit erbaut worden war. Vielmehr ging man davon aus, dass Newgrange mit seinen stattlichen 85 Metern Durchmessern im Frühmittelalter von Wikingern, die nach Irland eingedrungen waren, errichtet worden sein musste. Oder dass Menschen in der Bronzezeit den Hügel aus Schichten von Gestein, Erde und Gras als Kult- und Grabstätte für ihre Herrscher aufgetürmt hatten.
Zwischen 3.500 und 2.500 Jahre vor Christus
Heute weiß man, dass nicht nur New-grange, sondern auch die nur wenige Kilometer entfernt liegenden Grabhügel von Knowth und Dowth zwischen 3500 und 2500 Jahren vor Christus entstanden. In einer Schlinge des Boyne, dem Bend of the Boyne, bilden sie die größte Sammlung megalithischer Kunstwerke in Europa. Und dokumentieren eindrucksvoll, dass in der Region rund um den Fluss vor über 5.000 Jahren eine hochentwickelte Zivilisation siedelte, für die die monumentalen Hügel unterschiedliche Zwecke und Bedeutungen hatten. Verständlich, dass von den Monumenten seit ihrer Entdeckung eine ungeheure Faszination ausging, Touristen kamen bereits im 19. und verstärkt im 20. Jahrhundert. Da der Grabhügel von Newgrange auch deswegen zu Beginn der 1960er-Jahre in einem baulich schlechten Zustand war, es keinen öffentlichen Zugang gab, entschied man sich für eine Teilrekonstruktion unter archäologischer Leitung. Damit wurde der Archäologe Michael J. O’Kelly beauftragt, der zwischen 1962 und 1975 mit seinem Team Ausgrabungen und gründliche Untersuchungen insbesondere zum Schichtenaufbau und der Materialzusammensetzung des Hügels vornahm.
O’Kelly entdeckte eine astronomische Ausrichtung des Eingangs, zudem wurden in der kreuzförmigen Grabkammer Überreste von fünf Menschen sowie diverse Grabbeigaben gefunden. Bis 1975 dauerten die Rekonstruktionsarbeiten, Ziel war es, Besuchern ein möglichst realistisches Bild der ursprünglichen Anlage zu vermitteln, gleichzeitig auch einen sicheren Zugang zu schaffen. Dafür wurde nicht nur der Eingangsbereich nach O’Kellys Untersuchungsergebnissen rekonstruiert, im Inneren wurden für die Statik zahlreiche Betonstreben eingezogen. Was in archäologischen Kreisen teilweise für Kritik sorgte.
Nichtsdestotrotz gehört heute ein Besuch von Newgrange beziehungsweise dem gesamten Areal „Brú na Bóinne“ zu den Highlights eines Irlandaufenthalts. Denn wo sonst kommt man einer Vielzahl jahrtausendealter Monumente so nahe, kann sie – wie im Falle des Hügels von Newgrange – im Rahmen einer Führung sogar betreten? Was nichts für klaustrophobisch Veranlagte ist, denn der Gang ins Innere des rund zwölf Meter hohen mit Gras bewachsenen Hügels ist schmal und niedrig, Taschen und Rucksäcke müssen draußen gelassen werden. Hat man sich gebückt den Gang entlanggearbeitet, dann steht man in einer Kammer mit Kraggewölbe, einer Vorform eines „echten Gewölbes“. Von hier zweigen drei Nischen ab, in einer hatten Wissenschaftler einen mit Petroglyphen verzierten Altarblock entdeckt.
Zwölf Meter hoher Hügel
Doch der wohl eigentliche Grund für die Faszination, die Newgrange auf Besucher ausübt, ist das Schauspiel, das sich zur Zeit der Wintersonnenwende bietet. Dann nämlich dringt ein Lichtstrahl bei Sonnenaufgang für ungefähr 15 Minuten durch eine Öffnung über dem Eingang direkt in den Gang und die dahinter liegende Kammer, erhellt den Raum, der den Rest des Jahres im Dunklen liegt. Selbst für Wissenschaftler ist die dafür vor Jahrtausenden beim Bau angewandte Präzision nach wie vor verblüffend. Und weil die begehrten „Besuchsslots“ zur Zeit der Wintersonnenwende vom Brú na Bóinne Besucherzentrum in einer Lotterie verlost werden, gibt es im Rahmen jeder Führung immerhin ein nachgestelltes Naturschauspiel – mit elektrischem Licht.
Auch für eine solche Tour müssen sich Interessierte länger im Voraus anmelden, der Zugang zu Newgrange aber auch zu den Anlagen von Knowth und Dowth ist streng reglementiert und nur mit einem Guide möglich. Schließlich gilt es die in Jahrtausenden geformte Kulturlandschaft mit ihren hügelähnlichen Monumenten zu bewahren, „Brú na Bóinne“ ist seit 1993 Unesco-Welterbe. Zudem dauern die wissenschaftlichen Untersuchungen des Areals an.
Neues über steinzeitliche Gemeinschaft
Im Rahmen des Projekts „From Boyne to Brodgar“ hat beispielsweise ein Forschungsteam der Römisch-Germanischen Kommission (des Deutschen Archäologischen Instituts) unter anderem in Kooperation mit dem University College Dublin das Umfeld der megalithischen Anlagen von Newgrange, Knowth und Dowth untersucht. Auch um mehr über mögliche prähistorische Verbindungen zwischen dem Osten Irlands und dem Norden Schottlands, genauer den Orkney-Inseln, herauszufinden, so die langjährige Projektleiterin Eszter Bánffy. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es im Neolithikum eine westatlantische Route gab, entlang derer Menschen von Frankreich Richtung Irland und weiter hinauf nach Schottland zogen, um in den betreffenden Regionen sesshaft zu werden. Und dass zwischen diesen verschiedenen Völkergruppen Kontakte bestanden.
So wurde ein Gebiet rund um Newgrange, Knowth und Dowth mit Hilfe von Sensoren und Drohnenflügen untersucht, mit sogenannten Prospektionen, das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt steuerte Satellitenaufnahmen bei. „Zudem wurden Bohrungen vorgenommen,“ erklärt Eszter Bánffy, „wobei die Bohrkerne multidisziplinär analysiert wurden, zum Beispiel mit geochemikalischen Untersuchungen, Makrobotanik, Pollen, Boden-Bakterien-Analyse und anderen molekular-biologischen Methoden. Ein Beispiel für die Informationsmenge aus den Bohrkernen: Hohe Phosphorwerte sind ein Indikator für die Anhäufung von Abfall und Fäkalien – ein klarer Hinweis auf intensive Anwesenheit des Menschen und von Haustieren“.
Bei den Fernerkundungsverfahren mit Drohne oder Sensor konnte das Forschungsteam zwischen Newgrange und Dowth, nahe des Flusses Boyne, eine hohe Konzentration von Gräben, Kreisgräben und Siedlungsstrukturen nachweisen – dabei konnten die Kreisgräben in das Neolithikum beziehungsweise die Bronzezeit datiert werden.
Unklar ist aber nach wie vor, was die Anzahl und verschiedenen Größen der Grabhügel – im irischen Boyne Valley aber auch auf der Orkney-Insel Rousay– über die steinzeitlichen Gemeinschaften und ihre Entwicklung aussagen, so fasst es Eszter Bánffy zusammen. Dazu müssten weitere archäologische Daten ausgewertet werden.
Als bedeutendstes Ergebnis bei den Untersuchungen im Boyne-Tal bezeichnet sie die Entdeckung eines bislang unbekannten Grabmonuments nahe Newgrange. Es besteht aus einem Kreisgraben mit Architektur-Resten im inneren Bereich. Die Ausrichtung folgt der Grabkammer in Newgrange, die auf den Aufgang der Sonne zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende hin orientiert ist. Welche Verbindungen zwischen beiden Monumenten bestehen, das könnte Gegenstand zukünftiger Forschungsprojekte sein.