Der weltweite Fleischkonsum ist mitverantwortlich für die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes. Die Menschen sollen deswegen mehr pflanzenbasierte Proteine essen, fordert eine brasilianische Organisation. Davon würden auch lokale Bauern profitieren.
Wer Fleisch isst, trägt zur Abholzung des Amazonas bei. Denn dort werden Bäume gerodet, um mehr Soja für Tierfutter anzubauen und größere Weideflächen für Rinder zu gewinnen. Das Good Food Institute möchte weg vom Fleisch und hin zum Konsum von sogenannten alternativen Proteinen. Darunter versteht man pflanzliche Produkte wie Burger aus Erbsenproteinen, fermentierte Lebensmittel wie veganen Käse oder auch Labor-Fleisch. Mariana Bernal arbeitet als Analystin für öffentliche Politik beim Good Food Institute in Brasilien, einer gemeinnützigen Denkfabrik, die sich dafür einsetzt, das globale Lebensmittelsystem für den Planeten, die Menschen und die Tiere zu verbessern. Bernal erklärt im Interview, warum es eine „Proteinwende“ braucht.
Frau Bernal, warum sollten wir weniger Fleisch essen?
Heute werden 77 Prozent unserer landwirtschaftlichen Nutzfläche für die Tierhaltung genutzt, die aber nur 18 Prozent der Kalorien der Welt liefert. Unser globales Ernährungssystem ist für mehr als ein Drittel der vom Menschen verursachten Treibhausgase verantwortlich – mehr als der gesamte Verkehrssektor. Selbst wenn alle Emissionen fossiler Brennstoffe sofort gestoppt würden, würde allein die Tierhaltung die Erwärmung des Planeten um mehr als 1,5 Grad vorantreiben.
Der Fleischkonsum steigt weltweit und die Weltbevölkerung wächst. Wenn wir weiterhin Fleisch essen wollen, müssen wir das nachhaltiger gestalten. Das wollen wir erreichen, indem wir den Verbrauchern dieselben Produkte anbieten, an die sie gewöhnt sind, die aber mit einem Bruchteil der Ressourcen hergestellt werden: pflanzliche, kultivierte und durch Fermentation gewonnene Produkte, auch alternative Proteine genannt.
Brasilien ist der führende Lieferant von Soja für Tierfutter und einer der größten Fleischexporteure. Welche Probleme verursacht die Viehzucht in Brasilien?
Es wird massiv Wald abgeholzt, sowohl für Weideflächen der Rinderfarmen als auch für den Sojaanbau für Tierfutter. In der Vergangenheit hat das ständige Streben nach neuem Weide- und Ackerland auch zu Landraub und zur Verletzung der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften geführt. Die Viehhaltung verbraucht sehr viel Wasser. Für die lokale Bevölkerung bleibt stellenweise nicht genug übrig. Besonders ausgeprägt ist dies in Regionen wie dem Amazonas, dem Cerrado und dem Pantanal in Brasilien.
Sie wollen Brasilien zum „Supermarkt der Welt“ machen. Brasilien ist bereits Exportweltmeister von landwirtschaftlichen Produkten. Soll Brasilien noch mehr produzieren?
Unsere biologische Vielfalt und das tropische Klima haben Brasilien zum weltweit führenden Lieferanten vieler Nutzpflanzen und Rohstoffe gemacht. Aber: Die Wertschöpfung findet woanders statt. Wir exportieren die Rohstoffe und importieren dann Produkte, die aus brasilianischen Zutaten hergestellt wurden. Wir wollen die gesamte Wertschöpfungskette in Brasilien ermöglichen. Brasilien zum Supermarkt der Welt zu machen, bedeutet, die einheimischen Zutaten, das nationale Fachwissen und die Arbeitskräfte sowie Spitzentechnologie und Forschung und Entwicklung zu nutzen, um innovative Lebensmittel mit Mehrwert zu produzieren und zu verkaufen.
Welche innovativen Lebensmittel könnten das sein?
Wir beabsichtigen nicht, Landwirte von Pflanzen abzubringen, die sie seit Generationen anbauen. Wir wollen vielmehr diese Kulturen in höherwertige Rohstoffe umwandeln, die sowohl lokale als auch externe Märkte bedienen können. Ein Beispiel, das sich noch in der Anfangsphase befindet, betrifft die Verwendung von zerbrochenen Bohnen für alternative Proteinprodukte. In der Vergangenheit wurden diese Bohnen aufgrund ihres geringeren Marktwerts als Tierfutter verkauft. Aus den zerbrochenen Bohnen wollen wir in Brasilien pflanzliche Fleischalternativen herstellen. Das würde den Landwirten einen größeren Profit einbringen, weil sie die Bohnen höherwertig verkaufen können. Wir beziehen Landwirte aktiv in unsere Überlegungen ein und wollen, dass alle Bereiche der Gesellschaft von der Proteinwende profitieren.
Noch befindet sich das Projekt in der Pilotphase. Was benötigt es, um Landwirte zu Produzenten von alternativen Proteinprodukten zu machen?
Die Finanzierung spielt eine Schlüsselrolle. Es braucht Investitionen in Ausrüstung und Infrastruktur innerhalb der landwirtschaftlichen Genossenschaften, damit sie zerbrochene Bohnen zu hochwertigen Zutaten für pflanzliche Fleischprodukte verarbeiten können. Auch die Unterstützung durch die Regierung ist von entscheidender Bedeutung sowie die Beteiligung der Embrapa, einer staatlichen Forschungseinrichtung. Die Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Akteuren birgt ein beträchtliches Potenzial, die Lebensbedingungen der Landwirte zu verbessern und ihr Gesamteinkommen zu steigern.
Wie reagieren die Landwirte, wenn Sie ihnen von der Proteinwende erzählen?
Wir verwenden ein Mantra: Alternative Proteine sind Teil der Agrarindustrie, und die Menschen, die mit pflanzlichen Produkten Geld verdienen, sind Agrarproduzenten. Je öfter wir diese Aussage in Gesprächen mit Landwirten wiederholen, desto mehr ersetzen wir ihre anfängliche Angst vor dem Unbekannten durch ein Gefühl der Chance. Alternative Proteine können durch Innovation und Agro-Industrialisierung Möglichkeiten zur Einkommensdiversifizierung und sozioökonomischen Entwicklung bieten. Landwirte und Agrarproduzenten verstehen diese Sprache gut. Einige Sektoren sträuben sich noch, vor allem kleine und mittlere Milchproduzenten. Aber wir stellen fest, dass sich auch bei ihnen diese Wahrnehmung allmählich ändert.
Wie wollen Sie den Wandel erreichen?
Wir beraten Regierungen weltweit, alternative Proteine als Lösung für zahlreiche Herausforderungen zu betrachten: Klima, globale Gesundheit, Lebensmittelsicherheit und Schutz der Artenvielfalt. Unsere Wissenschafts- und Technologieteams untersuchen, wie wir alternative Proteinprodukte geschmacklich verbessern können. Unternehmen zeigen wir, welche Innovationen und Investitionsmöglichkeiten es gibt. In Brasilien unterstützen wir die Regierung bei der Schaffung eines rechtlichen Rahmens für alternative Proteine. Wir finanzieren außerdem ein Projekt, das die Entwicklung von pflanzenbasierten Produkten aus einheimischen Arten im Amazonas und Cerrado fördert (Cerrado ist die artenreichste Savanne der Welt und liegt in der Mitte Brasiliens; Anm. d. Red.). Ganz generell wollen wir die führende Rolle Brasiliens und des globalen Südens in Klimafragen unterstützen. Denn: Alternative Proteine sind Teil des Klimaschutzes.