Das deutsche Rettungswesen befindet sich in einer Systemkrise, sagt Udo di Fabio in seinem Gutachten für die Björn Steiger Stiftung. Die sieht sich in ihrer jahrelangen Forderung nach Verbesserungen durch das Gutachten bestätigt.
Fast 20 Jahre hat Janosch Dahmen als Notfallsanitäter und nach seinem Studium als Notfallmediziner im Rettungswesen gearbeitet. Der 43-Jährige kennt damit die missliche Lage aus eigener leidvoller Erfahrung, wenn Hilfe bei einem Notfall gebraucht wird und er dann mit seinem Team zu spät kommt, weil zum Beispiel die Kommunikation nicht funktioniert hat. Ein Grund, warum er seinen Arbeitsplatz unter anderem auf dem Rettungshubschrauber aufgegeben hat und nun Bundestagsabgeordneter für die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen ist. „Ich will etwas verändern, und gerade beim Rettungswesen gibt es mittlerweile so viele Defizite, die alle nicht sein müssten, wenn es endlich eine einheitliche Koordinierung der Rettungskräfte geben würde“, so Dahmen gegenüber FORUM.
Dabei sind die Anforderungen für eine Reform ganz offensichtlich mehr als vielfältig, um endlich mal eine länderübergreifende, bundeseinheitliche Linie festzulegen. Unter anderem geht es um die Alarmierung der Kräfte. „Wir sind des Öfteren angefordert worden für Fälle, die auch ein Hausarzt hätte gut lösen können, während wir zum Beispiel auf der Autobahn A1 nach einem Unfall gefehlt haben beziehungsweise viel später kamen als notwendig.“
Das Rettungswesen, also Kranken- und Notarztwagen-Einsatz, ist in Deutschland Ländersache. Doch der Notfallmediziner aus Nordrhein-Westfalen, der nun Bundestagsabgeordneter ist, will trotzdem eine Gesetzes-Initiative starten. „Das Rettungswesen ist in allen Bereichen ein Flickenteppich. Das fängt schon bei der Eingangsmeldung an, also dem Notruf. Das muss zukünftig schon bei der Abfrage standardisiert werden, nicht jede Leitstelle darf mit einem eigenen Fragenkatalog arbeiten. Das muss bundesweit vereinheitlicht werden“, so Dahmen.
Komplizierte Kompetenzverteilung
Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, Prof. Udo di Fabio, hat allerdings seine Zweifel, dass das so einfach wird. „Wir haben da eine Kompetenzverteilung, die nicht ganz einfach ist. Die Länder sind zuständig für die Notfallrettung in Deutschland. Die haben dies aber nun noch in ihrer Zuständigkeit auf die Kommunen, Kreise und Städte delegiert, haben da also auch keinen direkten Zugriff, und müssten dann selbst erstmal gesetzgeberisch tätig werden.“ Der ehemalige Bundesverfassungsrichter sieht für eine auch aus seiner Sicht notwendige Reform des Rettungswesens nur eine Möglichkeit, nämlich dass der Bund die Initiative ergreifen könnte, und zwar auf dem Umweg über die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), für die er zuständig ist.
„Die Gesetzlichen finanzieren die Mehrheit der Rettungseinsätze, damit könnte der Bund in seinen Leistungskatalog reinschreiben, welche Einsätze bezahlt werden und welche nicht. Das ist das einzige Steuerungsmittel des Bundes, um die Rettungsdienste zu entlasten“, so Udo di Fabio in seinem Gutachten, das FORUM vorliegt. Allerdings würde dies nicht dazu führen, dass die völlig unzulängliche Kommunikation zwischen den Rettungs-Leitstellen reformiert wird. Lediglich völlig unsinnige Einsätze könnten unterbunden werden.
Um die Kommunikation zwischen den einzelnen Rettungsbezirken und deren Leitstellen in den Ländern zu verbessern und das dann auch noch bundesweit einheitlich einzuführen, müssten sich die Innenminister der 16 Länder auf eine gemeinsame Linie einigen. Die Erfahrung bei solchen Reformprojekten in den letzten Jahrzehnten lässt erahnen, dass die Rettungskräfte in den Kreisen, Städten und Ländern noch ziemlich lange auf sich allein gestellt sein werden. Jeder macht seins, zu Lasten der Notfallpatienten, die schnell Hilfe brauchen.