Das Universitätsklinikum Dresden hat eine neue, überaus wirksame Therapie entwickelt: die periphere Nervenstimulation. Mit deren Hilfe können chronische Knieschmerzen einfach ausgeschaltet werden – dank einer implantierten dünnen Elektrode.
In der Bundesrepublik bekommen jährlich rund 150.000 Patienten ein künstliches Kniegelenk oder eine sogenannte Knieendoprothese eingesetzt. Wobei meist eine fortgeschrittene Arthrose oder eine Verletzung aufgrund eines Unfalls oder eines Malheurs beim Sport ursächlich für eine schmerzbedingt nötige Operation ist. Bei der Knieteilprothese wird bei einem kleineren Knorpelschaden lediglich ein Teil des Kniegelenks ersetzt, während bei der Knietotalendoprothese (Knie-TEP) das natürliche Kniegelenk vollständig ausgewechselt wird. Beide Prothesen-Typen, die aus Metall und Kunststoffkomponenten (Polyethylen) zusammengesetzt sind, werden operativ direkt im Knochen verankert. Das Ziel der größeren Operation besteht darin, dass der Patient nach dem erfolgreichen Eingriff, bei dem ein Teil der Prothese das Ende des Oberschenkelknochens und ein anderer das Schienbeinplateau bedeckt, sein Knie dank der Polyethylen-Metall-Gleitpaarung wieder möglichst beschwerdefrei und ohne Schmerzen bewegen und belasten kann.
Kontinuierliche elektrische Impulse
Doch trotz bemerkenswert guter Erfolge bei diesem chirurgischen Eingriff ist nicht gänzlich auszuschließen, dass die erwünschte Schmerzlinderung ausbleibt und sich chronische Knieschmerzen ausbilden oder weiterhin bestehen. Für die Betroffenen beginnt dann häufig eine wahre Odyssee von einem Behandlungsansatz zum nächsten. „Die meisten unterziehen sich weiteren Operationen am Kniegelenk“, so das seit Anfang der 1990er-Jahre auf Neurochirurgische Schmerztherapie spezialisierte Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden in einer Pressemitteilung, „was aber selten zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führt. Sind alle operativen Möglichkeiten ausgeschöpft, kommen oft starke Schmerzmedikamente zum Einsatz. Diese können allerdings nicht gezielt am Knieschmerz eingesetzt werden, sondern breiten sich im ganzen Körper aus. Zudem wird im Schnitt nur bei einem von fünf Betroffenen eine Verringerung der Schmerzen erreicht. Zusätzlich überwiegen die oft heftigen Nebenwirkungen den eigentlichen Effekt.“
Um den häufig langen Leidensweg der Betroffenen abzukürzen oder im besten Fall sogar zu beenden, hat das Universitätsklinikum Dresden einen neuen Behandlungsansatz für chronische Knieschmerzen entwickelt: die „periphere Nervenstimulation“. Periphere Nerven sind alle Nervenstränge im Körper, die nicht im Rückenmark oder Gehirn verlaufen. Das Team unter Leitung von Oberarzt Dr. Daniel Martin, einem der hiesigen Vorreiter der sogenannten direkten Neurostimulation und einem der führenden deutschen Experten für periphere Nerven, konnte damit auch schon beachtliche Erfolge erzielen. Er setzt die Methode vor allem bei Fällen ein, bei denen Nervenschädigungen nach Verletzungen oder Operationen aufgetreten und dabei klar umrissene Schmerzbereiche entstanden sind. Dafür wird mit einem Eingriff eine dünne Elektrode direkt auf dem unter mikroskopischer Sicht freigelegten Nerv platziert. Anschließend wird im Zuge der sogenannten direkten Neurostimulation der betroffene Nerv kontinuierlich durch elektrische Impulse stimuliert, deren Stärke vom Patienten selbst je nach Bedarf reguliert werden kann. Der leichte Stromimpuls kann gleichsam wie ein Störsignal die Knieschmerzen dauerhaft unterbrechen, weil er die Weiterleitung der Schmerzmeldung an das Gehirn unterbinden kann. Statt Schmerzen spüren die Patienten nur noch ein minimales – angeblich angenehmes – Kribbeln. Natürlich kann dabei nicht die Schmerzursache behoben werden, aber zumindest kann das Schmerzempfinden der Betroffenen minimiert oder bestenfalls beseitigt werden.
Der Großteil der bislang in Dresden damit behandelten Personen berichtete von einer Schmerzreduktion von über 50 Prozent, wodurch die Schmerzmedikation deutlich heruntergefahren werden konnte. „In wenigen, einzelnen Fällen ist sogar eine komplette Schmerzfreiheit möglich“, so das Universitätsklinikum Dresden. Am Beispiel eines Patienten, bei dem nach Einsetzen der Elektrode Ende 2023 schon eine Schmerzreduktion von 80 Prozent erzielt werden konnte, zeigten die Dresdner Klinik-Verantwortlichen den wohl typischen Leidensweg eines von stechenden Knieschmerzen Betroffenen auf. „Schon seit 2010 leidet der heute 71-jährige Dresdner unter starken Knieschmerzen, war zunächst in ambulanter orthopädischer Behandlung. Dem folgten mehrere Eingriffe wie Knorpelglättung, Arthroskopie, Narkosemobilisation, 2016 schließlich ein Prothesenwechsel. Medikamente, Physiotherapien, Reha, Schmerzarzt – all das begleitet Gerald Jenert seit vielen Jahren ohne nennenswerte Besserung. Im vergangenen Jahr beginnt er am Uniklinikum Dresden eine multimodale Schmerztherapie. Ende 2023 wird die Elektrode für die periphere Nervenstimulation eingesetzt.“ Der damit erzielte Erfolg war erstaunlich: Statt von einem dauerhaft stechenden Schmerz berichtete der Patient nur noch von einem dumpfen Schmerz direkt im Knie. „Das Gehen von längeren Strecken und allgemein eine größere Belastung sind wieder möglich“, so Gerald Jenert. „Die periphere Nervenstimulation hat sich als effektive Therapie bei Schmerzpatientinnen und -patienten etabliert und sorgt für wesentlich mehr Lebensqualität bei den Betroffenen“, so Prof. Ilker Eyüpoglu, Direktor der Dresdner Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie. „Dass wir als Maximalversorger Vorreiter in der Anwendung dieser neuartigen Methode sind, unterstreicht einmal mehr die große Bandbreite unserer Therapiemöglichkeiten und Expertise“, so Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand am Dresdner Uniklinikum.
Über 50 Prozent Schmerzreduktion
Um eine unnötige Operation zu vermeiden, wurde ein einfacher Test entwickelt, mit dessen Hilfe sich die Erfolgsaussichten der Elektroden-Implantation ziemlich gut einschätzen lassen. Dabei betäubt Dr. Daniel Martin den infrage kommenden Nerv mittels eines Lokalanästhetikums für wenige Stunden. Falls sich die Schmerzen dadurch unterdrücken lassen, ist der Nachweis für die Möglichkeit einer Nervenblockade an dieser zentralen Stelle erbracht. Laut den Dresdner Medizinern kann die periphere Nervenstimulation nicht nur bei chronischen Kniebeschwerden hilfreich sein, sondern grundsätzlich bei allen chronischen Schmerzen nach Nervenverletzungen durch Unfälle oder Operationen an Armen und Beinen sinnvoll zum Einsatz kommen. Die periphere Nervenstimulation bietet eine ganze Reihe von Vorteilen. Sie ist eine gezielte Schmerztherapie, weil sie direkt am betroffenen Nerv ansetzen kann. Sie ist, wenn überhaupt, nur mit minimalen Nebenwirkungen verbunden, weil die elektrischen Impulse nur lokal und nicht auf den gesamten Körper wirken. Sie lässt sich individuell von den Betroffenen in ihrer Intensität steuern.