Die Atlantik-Provinz Nova Scotia hat so einiges zu bieten – darunter eine Jahrhunderte alte Geschichte, die bis heute an vielen Stellen der nordöstlich gelegenen Region wiederzufinden ist. FORUM-Autor Knut Hänschke war vor Ort.
„Canadas Ocean Playground“ steht plakativ auf den Nummernschildern der in Nova Scotia registrierten Autos. Ohne Frage ist die nordöstliche Provinz am Atlantik eine erlebnisreiche und schöne Spielwiese für Besucher aus aller Welt. Aber es war ein mühsamer und verlustreicher Weg dahin. Die dauerhafte europäische Besiedlung begann im 15. Jahrhundert. 1605 wurde Port Royal, das heutige Annapolis Royal, gegründet. Immer mehr Franzosen wanderten in die neue gegründete Provinz Akadien ein, viele aus der Bretagne und der Normandie. Heute leben noch circa 12.000 Nachfahren der „Acadiens“ in Nova Scotia. 1713 wurde die Region im Frieden von Utrecht Großbritannien zugesprochen. Frankreich behielt seine Besatzungen nur auf der Isle de Jean (Prince Edward Island) und die Ile Royale (Kap-Breton-Insel) wo es die Festung Louisbourg gründete. Trotz einer forcierten Einwanderung schottischer Bürger war sich England der Tatsache bewusst, dass die Mehrheit der Siedler aus katholischen und Französisch sprechenden „Akadiern“ bestand, die es ablehnten, der britischen Krone Treue zu schwören. England vertrieb 1755 mehr als 12.000 Akadier und warb in Europa, speziell in Süddeutschland, Protestanten als Neu-Einwanderer an.
Nova Scotia ist flächenmäßig größer als Niedersachsen. Eine individuelle Reiseplanung ist der beste Weg, um flexibel die vielfältigen touristischen Höhepunkte zu entdecken. Ganz sicher gehört die Festungsstadt Louisbourg dazu, die auf der Kap-Beton-Insel im Nordosten liegt. 1719 wurde Louisbourg gegründet, und nach König Louis XV. benannt. Schnell gelangte die Gemeinde zu Wohlstand. Der geschützte und eisfreie Hafen war der Umschlagplatz für Warenströme zwischen dem französischen Kanada und dem Mutterland, aber auch in die karibischen Überseebesitzungen der Grande Nation. Die Kabeljau-Fischerei und -Weiterverarbeitung sicherte Einfluss und Einnahmen, was die Engländer mit Misstrauen verfolgten. Louisbourg war nur zur See hin stark befestigt, was sich rächen sollte. 1758 kam es zur entscheidenden Schlacht. 39 Schiffe mit 14.000 Mann segelten unter englischer Flagge Richtung Louisbourg und ein Vernichtungskampf begann, an dessen Ende die Eroberung der französischen Festung stand. Der Sieg war für den weiteren Verlauf des Siebenjährigen Kriegs in Nordamerika entscheidend. Frankreich hatte keinen Nachschubhafen mehr und den Briten gelang die Besetzung Kanadas.
Mit viel Liebe zum Detail restauriert
Ein großzügiges Besucherzentrum begrüßt die Gäste, die dann mit einem Shuttlebus zur Festung gefahren werden. 1961 begann man mit dem Wiederaufbau von einem Viertel der ursprünglichen Festungsstadt. Es ist der Parkverwaltung gelungen, die damalige Zeit authentisch zu vermitteln.
Während der Busfahrt zur Festung, die einige Minuten dauert, hat man einen herrlichen Blick über die gesamte Anlage. Am Eingangstor, dem Dauphin Gate, wartet ein Soldat in der alten Uniform, um den Besuchern ihre „Rechte und Pflichten“ zu erklären. Mit viel Liebe zum Detail wurde die Festung restauriert. Um 11.45 Uhr werden die Kanonen aktiviert. Nachdem sich der Pulverdampf verzogen hat, sorgen uniformierte Soldaten mit Trommeln und Querpfeifen für die passende musikalische Unterhaltung. Das Schauspiel findet in der King’s Bastion statt, dem imposantesten Gebäude der Anlage. Insgesamt können die Besucher 37 Häuser, Kasernen, Ställe, Warenlager und vieles mehr besichtigen.
Auf dem Weg zum Nationalpark kamen wir durch den malerischen Fischerort Chéticamp. In den Jahren der Verfolgung kamen akadische Fischer, die vor der Deportation flohen, hierher. Die Schilder mit den Straßennamen waren alle mit den Farben der Tricolore unterlegt. Mehr als nur Symbolik!
Der Cape Breton Highlands National Park ist ein geschütztes 950 Quadratkilometer großes Areal im Nordwesten der Region. Spektakuläre Ausblicke auf den Atlantik, aber auch über weite, bewaldete Hochebenen verwandeln den Park zu einer einzigartigen, wilden Schönheit. Schwarzbären, Steppenwölfe und Elche sind die natürlichen Bewohner dieser rauen Landschaft. Die Parkverwaltung verteilt bei der Einfahrt in den Park eine Broschüre mit Hinweisen, wie sich der Mensch bei einem Treffen mit den Vierbeinern verhalten soll. Besonders hartnäckig im Verteidigen der eigenen Position sind die Elche. Autofahrer müssen jederzeit vorbereitet sein, einem Tier auf der Straße gegenüberzustehen. Meist entscheidet der Elch, der sich keinen Meter bewegt, wann die Fahrt weitergeht. 26 markierte Wanderwege warten auf die sportlich ambitionierten Besucher, denen empfohlen wird, in kleinen Gruppen unterwegs zu sein. Die Straße durch den Park ist ganzjährig geöffnet, die Wanderwege allerdings nicht. So haben die wilden Bewohner des Parks wenigstens im Winter ihre Ruhe.
Der Elch entscheidet, wann es weitergeht
Obwohl wir darauf vorbereitet waren, kam beim Anblick der Weinberge Freude auf. Orte wie Gaspereau, Falmouth, Port Williams, Wolfville, Canning oder Avondale beherbergen zahlreiche Weingüter. Der Weinbau begann 1634 mit der Anpflanzung von Bordeaux-Reben. Es wurde eine Erfolgsgeschichte, die bis heute weiter fortgeführt wird. Ein Doppelstöcker britischer Bauart, genannt der Magic Winery Bus, fährt die Gäste zu vier verschiedenen Weingütern. Neben den obligatorischen Weinproben ist auch ein rustikales Mittagessen dabei. Und die Erklärungen zur Geschichte und der regionalen Weinkultur vermitteln einen guten Überblick. Mitten im Anbaugebiet liegt Grand Pré, eine von der Unesco ernannte Weltkulturerbstätte. Und auch hier führt die Geschichte den Besucher zurück in die Zeit der französischen Herrschaft. Der Ort wurde um 1680 von Akadiern gegründet. Die Siedler nutzten die traditionellen französischen Deichbautechniken, um ihre Anbauflächen in einem Sumpfgebiet vor den Gezeiten zu schützen. Die Produkte exportierten die Bauern bis nach Neuengland. 1755 erfolgte die Deportation. 1917 war das Geburtsjahr einer Gedenkstätte, 2012 erfolgte die Aufnahme in den Kreis der Unesco-Welterbstätten.
Zum Übernachten bietet sich Wolfville an, ein lebendiges Städtchen mit 5.000 Einwohnern, einer Universität und einer überraschenden Kulturszene. Auf der Hauptstraße geht es fröhlich zu. Straßencafés, Kneipen und Restaurants laden ein, und die alten viktorianischen Häuser bieten eine prächtige Kulisse, um beim Wein das Leben zu genießen.
100 Kilometer westlich liegt Annapolis Royal. Die Wiege der Nation, wie es clevere Marketingexperten benannt haben. 1605 ließ sich eine kleine Gruppe von französischen Entdeckern auf dem Land der Ureinwohner, der Mi’kmaq nieder. Sie nannten ihre Siedlung Port Royal und pflegten ein gutes Verhältnis zu den Einheimischen. 1613 wurde die Siedlung von England niedergebrannt. Einige der Franzosen blieben und heirateten in den Mi’kmaq-Stamm ein. Nach einer relativ kurzen Zeit schottischer Einwanderung kamen die Franzosen 1630 zurück, wurden aber später wieder von den Briten abgelöst. Die Geschichte des Ortes ist einmalig und nicht vergleichbar mit anderen Städten Kanadas.
Annapolis Royal besteht aus einer Hauptstraße mit 25 geschichtsträchtigen Gebäuden. Das älteste erhaltene Haus ist aus dem Jahr 1710. In der Mitte des Ortes liegt Fort Anne National Historic Side. Der Bau der Anlage mit vier Bastionen wurde zur Zeit der französischen Herrschaft begonnen und zeigt die charakteristische Bauweise des großen Meisters Vauban. Beim Bummel durch das gepflegte Städtchen entdeckten wir ein Schild mit dem Hinweis „German Bakery – Sachsen Café & Restaurant“. Ein Besuch im sehenswerten Historischen Garten, einem kleinen Paradies mitten im Ort, war der Abschluss eines wunderschönen Tages. Da eines der 25 erwähnten Gebäude, das Queen Anne Inn, Übernachtungen anbietet, war es nur logisch in den Gemäuern von 1869 zu nächtigen.
Die letzte Etappe führte uns auf die „Straße der Leuchttürme“ (Lighthouse Route). Sie beginnt in der Hauptstadt Halifax und endet in Yarmouth, einem Fährhafen mit Verbindungen nach Maine (USA). Der erste Stopp (für viele auch der einzige) ist Peggy’s Cove. Wahrscheinlich ist der Leuchtturm in dem kleinen, beschaulichen Fischerdorf der meistfotografierte Kanadas. Einen Sonnenaufgang hier zu erleben ist ein besonderes Naturschauspiel und hat den Vorteil, es ohne Touristenmassen genießen zu können. Danach wird es eng im Ort, Besucher aus Halifax aber auch Kreuzfahrtpassagiere kommen in Scharen an die wilde Küste.
Die Bucht zwischen Peggy’s Cove und Bayswater war im September 1998 Schauplatz einer Tragödie. Swissair Flug 111, auf dem Weg nach Genf, stürzte hier ins Meer. Den Opfern, aber auch den vielen Helfern ist eine Gedenkstätte gewidmet.
„Straße der Leuchttürme“
Man muss viel Zeit mitbringen, um der reizvollen Küstenstraße zu folgen. Als Belohnung wartet hinter jeder Kurve ein neuer, freier Blick auf den Ozean. Mal mit, mal ohne vorgelagerte Inseln. Die Landschaft ähnelt den Küsten Schwedens und Finnlands. Der nächste größere Ort ist Chester, das durch Einwanderer aus Massachusetts gegründet wurde. Früher muss es hier wild zugegangen sein. Der Ort diente Piraten und Alkoholschmugglern als Schlupfwinkel. Heute kommen stattdessen Segler nach Chester, um in der Mahone Bay ihrem Sport nachzugehen. Der Ort Mahone Bay hat viel Charme und drei Kirchen, die in der „New York Times“ als „schön wie ein Gemälde“ beschrieben wurden. Der Abstecher nach Blue Rocks, einer Künstlerkolonie am offenen Meer, ist empfehlenswert. Man bekommt als Belohnung den Blick auf eine unverfälschte, ungemein beruhigende Natur. Das Gebell eines nicht sichtbaren Hundes hielt uns zurück. Dann aber tauchte der Hausherr, ein US-Amerikaner, auf und plauderte mit uns. Das Bellen der Hunde, erfuhren wir, ist pure Freude über neue Bekanntschaften. Wer hier lebt, hat das Wort Hektik aus seinem Vokabular gestrichen.
Lunenburg, der Endpunkt unserer Reise, hat eine deutsche Vergangenheit. 1751 zogen die Neuankömmlinge in die damals französische Ortschaft Merliguesche ein. Handwerkliche Fähigkeiten und der Wille, in der „Neuen Heimat“ schnell sesshaft zu werden, brachten der Stadt Prosperität. Der Bau der Häuser gemäß der Vorgabe zur quadratischen Anordnung der Straßen war aufgrund der Topografie nicht einfach. Lunenburg entwickelte sich zu einem Zentrum der Fischerei- und Schiffsbauindustrie und pflegt bis heute deutsche Traditionen. Fast schon logisch, dass an markanter Stelle im Ort ein großer Block der Berliner Mauer steht. Am 7. Juni wird zum Ausdruck der Anerkennung gar der „German Settlers Day“ gefeiert.