Damit hat wohl niemand gerechnet: Der neu gegründete Club Delay Sports Berlin (Kreisliga C) um Internetstar Elias Nerlich steigt gleich im ersten Jahr auf.
Ahnungslose Beobachter dürften am Sonntag vergangener Woche im Preussenstadion des Öfteren unwillkürlich zusammengezuckt sein: Noch während sich die beiden Teams warm machten, zog eine Drohne ihre Bahnen über dem Platz, der bereits gut besucht war. Dass die Partien von Delay Sports Berlin weit mehr als durchschnittlich viele Zuschauer anziehen, ist inzwischen hinlänglich bekannt – seit dieser Saison nimmt der Club, der aus Influencern und ehemaligen höherklassigen Fußballern (oder beides in einem) gebildet wird, am offiziellen Spielbetrieb des Berliner Fußball-Verbands (BFV) teil. Es war dabei davon auszugehen, dass das Team um Elias Nerlich für die elfte Liga überqualifiziert sein würde – und genauso sollte es in der ersten Saison kommen. Man gewann alle Partien und durfte sich so bereits am 12. März Hoffnungen machen, den Aufstieg mit einem weiteren Dreier vorzeitig klarzumachen. Allerdings hatte man sich mit dem Tabellenzweiten zu duellieren, der auch nichts zu verschenken hatte. So fanden sich also nicht nur an die 2.000 vorwiegend jüngere Besucher im Südwesten Berlins ein, sondern auch der eine oder andere Medien-, aber vor allem Social-Media-Vertreter – zusätzlich zu den vereinseigenen Kamerateams, die Nerlich und Co. auf Schritt und Tritt verfolgen. Der Verein ist also die perfekt orchestrierte PR-Maschine. Ob in der Kabine oder auf dem Spielfeld: Stets werden Kicker und Staff von Kameras verfolgt.
Für die elfte Liga überqualifiziert
Prominentester Akteur der Mannschaft, was zumindest seine Fußballmeriten betrifft, ist bislang Sidney Friede. Dem Ex-Profi (unter anderem Hertha BSC, SV Wehen Wiesbaden) blieb aufgrund von vielen Verletzungen möglicherweise eine größere Karriere versagt, vor der Saison war der internetaffine 25-Jährige aber schnell von der Idee überzeugt. Immerhin 14 Tore in neun Einsätzen sprechen für seine Qualität – allerdings fiel Friede zuletzt wegen eines Bänderrisses auf unbestimmte Zeit aus. Kapitän der Mannschaft ist Alieu Sawaneh, der mit seinen 25 Jahren auch schon in der Regionalliga Südwest (unter anderem Offenbach, FSV Frankfurt) am Start war. Bilal Kamarieh (15 Tore) wiederum spielte in der U19-Bundesliga für Hertha BSC und absolvierte später für die Reserve von Mainz 05 sogar ein paar Einsätze in der 3. Liga, bevor er in Ober- und Verbandsliga aktiv war. Im Zentrum der ganzen Veranstaltung aber steht Elias Nerlich, der in seiner Jugend auch im hochklassigen Fußball agierte, dann aber nach mehreren Verletzungen als „EliasN97“ unter anderem mit der Computerspielreihe „Fifa“ im Internet zu einer großen Fangemeinde kam, und diese nun als Influencer unter anderem mit Delay Sports in bare Münze umzusetzen versteht. Der 25-Jährige kann die Massen mobilisieren: So füllt er schon mal mit dem „Eligella“-Cup – der Name nimmt Bezug auf eines seiner (weiteren) Pseudonyme als „Gamer“ – den Audi Dome in München mit 5.000 Leuten. Dabei handelt es sich „nur“ um ein reales Fußballturnier mit bekannten Streamern und E-Sportlern. Der Jungunternehmer hat auch sein eigenes Trendgetränk auf dem Markt und konnte mit seiner Popularität auch den bekanntesten deutschen Sportartikelhersteller im Handumdrehen davon überzeugen, eine Kollektion für den Berliner C-Klasse-Verein aufzulegen. Im Gegenzug lassen sich Nerlich und Co. dabei filmen, wie sie dem Flagshipstore in der Hauptstadt einen Besuch abstatten und dabei in ästhetisch hochwertigen Aufnahmen die Kollektion des Ausrüsters testen. Da lässt sich Nerlich etwa auf seine fabrikneuen Schuhe ein „EN 97“ eingravieren und veräppelt damit nicht nur den großen Fußballzirkus, sondern wandelt parallel auf dem schmalen Grat zwischen Selbstironie und -vermarktung.
Dafür liebt ihn seine Fangemeinde – und Nerlich liefert frei nach dem Motto: „Give the people what they want.“ So stehen er und seine Mitstreiter von Delay Sports auch immer wieder bereitwillig für Selfies zur Verfügung. Und: Auf dem echten Fußballplatz darf auch ein bisschen „gezockt“ werden wie auf der Konsole – so wird schon mal der ein oder andere Haken vollführt, der die Gegner nicht besonders gut aussehen lässt, aber die Fans zu spontanen Begeisterungsstürmen hinreißt. Auch Trainer Andreas Schild weiß um diese „Bedingungen“ – der 46-Jährige ist ein waschechter Fußballtrainer, der jahrelang die Dritte Männer-Mannschaft des 1. FC Schöneberg geleitet hat. Trotzdem ließ er sich von der ungewöhnlichen Offerte im vergangenen Sommer überzeugen, muss ab und an aber immer noch etwas gequält lächeln, wenn einer der Tricks in einem Ballverlust endet. Doch die Mischung kommt beim „Zielpublikum“ an – so hat Delay Sports inzwischen 462.000 Follower bei Instagram, beinahe so viele wie Hertha BSC und 1. FC Union zusammen. Das aber ist immer noch vergleichsweise wenig gegenüber Friede, dem rund 900.000 in dem sozialen Netzwerk folgen, oder eben Nerlich, der dort, aber auch bei Twitch und Youtube längst die Millionenmarke geknackt hat. Mit seinen Firmen bringt es der Mittzwanziger inzwischen auf knapp sechs Millionen Euro brutto Jahresumsatz – und leistet es sich auch mal, die mit dem Namen seines Vitaminwassers verzierte Trikotbrust von Delay zum guten Zweck zu räumen. So brachte die Kleidung mit dem Schriftzug der Deutschen Krebshilfe bei der Versteigerung einen mittleren vierstelligen Betrag ein.
462.000 Follower für Publikumsmagnet
Bei den Spielen pöbeln die Fans auch immer mal herzhaft, aber nicht wirklich böse gegen die Kontrahenten. Wenn es den Kickern auf dem Platz aber doch zu viel wird, mahnen sie mit eindeutigen Gesten zur Sportlichkeit. Im Netz schießt mancher Anhänger beziehungsweise Follower aber auch mal über das Ziel hinaus: Nach dem Hinspiel hatte es jedenfalls eine Art Shitstorm gegen Beteiligte des Tabellenzweiten gegeben, der auf diese ungewohnt und daher durchaus bedrohlich gewirkt hatte – der eine oder andere war daher nicht sonderlich glücklich, beim Wiedersehen den zahlreichen Kameras ausgesetzt zu sein. Dennoch ging die Mannschaft zunächst in Führung, aber Kamarieh drehte die Partie mit zwei Treffern, und Nerlich sorgte per Foulelfmeter für die Vorentscheidung – und damit quasi auch Social-Media-gerecht für den Aufstieg seines Clubs. So geht die Geschichte von Delay Sports wie geplant weiter – bis der Verein aber erst einmal auf die Karte sportlicher Bedeutung in Berlin rückt, müssen eigentlich noch mindestens drei bis vier Aufstiege folgen: „EliasN97“ und seine Mitstreiter müssen also weiter beweisen, wie ernst sie es wirklich meinen.