Länder und Kommunen fordern mehr Unterstützung bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. Ein Gipfel im Mai beim Kanzler soll es richten. Eine auch nur mittelfristige Migrationsstrategie ist weder beim Bund noch in der EU wirklich in Sicht.
In Berlin ist der ehemalige Flughafen Tegel eine große Flüchtlingsunterkunft geworden, im Saarland wird gerade ein Containerdorf hergerichtet. „Streit um Flüchtlingsunterkunft“ ist regelmäßige Überschrift in den regionalen Zeitungen der Republik. Dabei muss es nicht allerorten gleich so zugehen wie bei dem inzwischen bundesweit bekannten und viel diskutierten Beispiel Upahl in Mecklenburg-Vorpommern, wo neben den 500 Einwohnern ein Containerdorf für 400 Geflüchtete geplant wurde.
Die Lage ist angespannt, nicht erst seit den letzten Tagen und Wochen. Die Zahl der Asylbewerber ist im vergangenen Jahr wieder knapp über die magische Grenze von 200.000 gestiegen, die vor Jahren als „Obergrenze“ diskutiert worden war. Die Zahl hatte der damalige CSU-Chef zum Höhepunkt der Flüchtlingssituation 2014/2015 als „verkraftbar“ bezeichnet. Darüber ließe sich weiter streiten. Das Problem ist bekanntermaßen, dass zusätzlich über eine Million Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, nach Deutschland kamen. Unterbringungskapazitäten in den Kommunen sind folglich mehr als ausgeschöpft. Kommunen sehen die Grenze der Belastung längst als überschritten an. Brandbriefe von Bürgermeistern ans Kanzleramt sind keine Seltenheit. Ebenso wenig gemeinsame Positionierungen.
CDU-Bürgermeister im Saarland haben die Probleme aus ihrer Sicht in einem gemeinsamen Positionspapier aufgelistet. Grundtenor: Natürlich wolle man den Menschen helfen, aber die Grenzen des Leistbaren seien erreicht. Das dürften Verwaltungschefs gleich welcher politischen Couleur quer durch die Republik unterschreiben können. Vor diesem Hintergrund haben sich die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder klar in Richtung Bund positioniert.
Flucht wird weiter zunehmen
Höchste Zeit also für einen weiteren Flüchtlingsgipfel. Kanzler und Ministerpräsidenten haben sich den 16. Mai vorgemerkt. Und die Länderchefs und -chefinnen haben gleich dazu geschrieben, was dann verhandelt und – aus ihrer Sicht – bestenfalls auch entschieden werden soll. In der Kurzformel könnte die Zusammenfassung lauten: Mehr Geld – weniger Flüchtlinge.
Was Geld betrifft, ist die Forderung klar. Der Bund müsse künftig die Hälfte der Kosten übernehmen. Das war es dann aber auch schon mit der Klarheit. Denn bereits die Zahl, die der Chef der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, in den Raum stellt, ist keineswegs so eindeutig, wie sie aussieht.
Auf 16 Milliarden bezifferte Weil die Kosten für Unterbringung und Versorgung. Der Bund hält dagegen und Kanzler Olaf Stolz rechnet vor: 3,5 Milliarden hat der Bund im vergangenen Jahr bereitgestellt, weitere 2,75 Milliarden für dieses Jahr zugesagt. Wenn man dann dazu rechne, dass der allergrößte Teil ukrainischer Flüchtlinge Bürgergeld bekommen könnte, ergebe sich, dass der Bund bereits jetzt den größten Teil der Kosten trage.
Die Kommunen rechnen noch mal weiter. Denn Unterbringung und Versorgung, selbst wenn sie aus anderen Töpfen finanziert werden, ziehen Kosten nach sich, die an ihnen hängen bleiben. Das fängt bei Sicherheit an und hört bei Dolmetschern noch lange nicht auf. Dazu komme vieles an Folgen, was nicht auf den ersten Blick groß sichtbar oder bezifferbar ist, sondern sich erst auf der Zeitachse auswirken wird. Ihnen muss folglich daran gelegen sein, auch dafür mindestens einen Teil ausgeglichen zu bekommen.
Trotzdem ist zumindest in etwa die Größenordnung klar, um die es bei dem Streit geht, wer denn nun was zu übernehmen hat. Das muss für die aktuelle Situation in Deutschland geklärt werden. Der Hauptgeschäftsführer des Gemeindebundes, Gerd Landsberg, erwartet mehr, nämlich eine dauerhaft verlässliche finanzielle Basis für die Kommunen und eine längerfristige Strategie, „mindestens für die nächsten zehn Jahre“.
Das aber ist eine Herausforderung, die die Verständigung zwischen Bund und Ländern übersteigt und eine europäische Dimension hat. Der Krieg in der Ukraine hat die aktuelle Situation verschärft, die anderen Herausforderungen sind damit aber nicht geringer geworden. Migrationsexperten gehen schon lange davon aus, dass sich Europa auf größere Flüchtlingsbewegungen einstellen muss. Klimawandel ist dabei eine der bekannten Ursachen. Was sich ansonsten, auch in mittelbarer Folge der durch den Krieg Russlands ausgelösten globalen Verwerfungen, entwickelt, kann niemand voraussagen. Darauf, dass etwas kommt, sollte man sich allerdings einstellen.
UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi spricht von einer „neuen Realität“. Vertreibung betreffe nicht nur immer mehr Menschen, sondern sei auch „kein kurzfristiges und vorübergehendes Phänomen“. Er fordert deshalb eine „grundlegend neue Haltung“ sowie „viel entschlossenere Bestrebungen, Konflikte zu lösen, die jahrelang andauern und die Ursache dieses immensen Leidens sind“.
Die EU tut sich damit nach wie vor fürchterlich schwer. Die jüngsten Meldungen über Ertrunkene im Mittelmeer lösen zwar kurzfristig Entsetzen aus, danach geht es aber schnell wieder zurück in den Alltag. Und der hieß bei der EU auch zuletzt: stärkere Sicherung der Außengrenzen. Eine Reaktion auch darauf, dass die Zahl der irregulär Eingereisten nach einem Rückgang während der Pandemie-Jahre 2022 wieder deutlich angestiegen war, auf 330.000. Das ist allerdings weitaus weniger als beim Höchststand 2016 (1,8 Millionen).
Keine EU-weiten Vereinbarungen
Zäune und Mauern an den Grenzen mit den europäischen Sternen sind für die einen in der EU die Lösung, für andere schlicht ein Graus. „Es wäre eine Schande“, wetterte der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel auf dem Gipfel im Februar. Ihm dürften dabei, wie vielen anderen, noch die Schlagzeilen über illegale Pushbacks vor Augen gestanden haben, in die auch Teile der europäischen Grenzschutzagentur Frontex verwickelt waren.
Eine einheitliche Linie in der EU zu finden, was immer beschworen wird, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Gründe dafür gibt es viele. Das sind zum einen sicherlich unterschiedliche politische Orientierungen, aber auch unterschiedliche Betroffenheiten, und letztlich ist auch das Verständnis der unterschiedlichen Gründe, aus denen Menschen den Weg nach Europa suchen, nicht unbedingt deckungsgleich. Die Gemengelage scheint, obwohl das Thema seit Jahren auf der Agenda steht, unauflösbar. An Anläufen zu Reformen und einer gemeinsamen Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik mangelt es nicht. Bislang blieb es aber zumeist bei Vereinbarungen auf kleinster gemeinsamer Basis. Weder Verteilungen noch die Aufnahme von Bootsflüchtlingen waren EU-weit zu verabreden (einzelne Staaten beteiligten sich). Der Konflikt zwischen Befürwortern einer stärkeren Abschottung und Befürwortern einer regulierten Öffnung mit gerechter Lastenverteilung bleibt ein europäisches Spannungsfeld.
Die Mitgliedstaaten müssen sich mit der neuen Realität auseinandersetzen. Nächster Anlauf: der Flüchtlingsgipfel am 16. Mai.