Johann Wolfgang von Goethe war ein großer Musikfreund und inspirierte zahlreiche Komponisten – wenngleich er selbst einen konventionellen Musikgeschmack hatte.
Wie musikalisch war Goethe? Immerhin wurde kein anderer Dichter so oft vertont wie er. Er selbst hielt nicht viel vom eigenen Musikverständnis, doch spielte die Tonkunst für ihn zeitlebens eine wichtige Rolle. Goethe forschte zu Harmonie und Tonsatz, tauschte sich darüber mit Experten aus, ließ sich von Klängen unterhalten und trösten. Er war ein durchaus kritischer Hörer, wie seine Äußerungen über Konzertbesuche zeigen.
Schon im heimatlichen Frankfurt hatte sich Goethes Vater, ein Privatgelehrter, intensiv um die Erziehung der eigenen Kinder bemüht. Johann Wolfgang nahm zusammen mit seiner Schwester Cornelia Flöten- und Klavierunterricht. Im Frankfurter Goethe-Haus, dem Museum im Geburtshaus des Dichters, steht ein rötliches Clavichord, das innen mit prächtigen goldenen Chinoiserie-Motiven verziert ist. Goethe erwähnt es in seiner Autobiografie „Dichtung und Wahrheit“.
Bereits Student in Leipzig, beschäftigte sich Goethe mit der Verbindung von Poesie und Musik. Das bezeugt seine Sammlung von Volksliedern, die er bei Reisen im Elsass aufzeichnete. Später, in Weimar, weilte Goethe in einer Hofgesellschaft, die der Musik sehr zugetan war. Die Herzoginmutter Anna Amalia komponierte selbst. Goethes Freundin Charlotte von Stein spielte Klavier und Laute. Goethe veranstaltete sonntägliche Hausmusiken in den eigenen vier Wänden. Zwei Persönlichkeiten waren es, die das musikalische Denken Goethes hauptsächlich beeinflussten: der Komponist und Berliner Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt, der mit Goethe auch ein ehrgeiziges Opern-Projekt in Angriff nahm. Das scheiterte jedoch, ebenso wie Goethes anderweitige Libretto-Versuche, etwa der Versuch, einen zweiten Teil der „Zauberflöte“ zu texten. Goethes wichtigster Berater in musikalischen Fragen aber war sein Duzfreund Carl Friedrich Zelter: Leiter der Berliner Singakademie, Lehrer Mendelsohn-Bartholdys und ein großer Bach-Kenner. Zelter nahm den Platz ein, den der frühe Tod Schillers hinterlassen hatte. Über drei Jahrzehnte hinweg schrieben sich die beiden 871 Briefe. Goethe suchte den Austausch über seine Ideen zu einer umfassenden Theorie der musikalischen Phänomene.
Was seinen musikalischen Geschmack anging, so hatte Goethe klare Vorlieben, die den Idealen der Wiener Klassik nahestehen: Musik sollte formschön, bedeutungsvoll und geistreich sein. Ihm gefielen schlichte Strukturen wie das Volkslied, wo das Wort im Vordergrund steht. In einem Brief an Zelter stellt Goethe fest, die Musik sollte die Verse nur „wie ein einströmendes Gas, den Luftballon mit in die Höhe“ nehmen. Der Vergleich degradiert den Komponisten zum Gaslieferanten des dichtenden Ballonherstellers. Im Zeitalter der aufkommenden musikalischen Romantik war Goethe mit dieser Ansicht nicht mehr so richtig auf der Höhe der Zeit.
Dennoch wurde kaum ein Dichter so oft vertont wie Goethe. Er ist mit nahezu allen großen Komponisten verbunden: von Mozart und Schubert bis hin zu Schumann oder Wagner. Das Verhältnis zum Zeitgenossen Beethoven war zwiespältig. Zwar bewundert Goethe dessen musikalische Fähigkeiten, jedoch befremdet ihn der Eigensinn des Komponisten. Wie sehr sich die beiden Künstler charakterlich unterschieden, bezeugt ein Brief, in dem Bettina von Arnim vom gemeinsamen Spaziergang im böhmischen Heilbad Teplitz berichtet: Als sie die kaiserliche Familie treffen, tritt der Dichter ehrfürchtig zur Seite und macht einen tiefen Diener. Beethoven aber zieht nicht mal den Hut, sondern läuft stur geradeaus durch die Menge der Höflinge, bis er vom Kaiserpaar zuerst gegrüßt wird.
Beethoven schrieb mehrere Goethe-Lieder und eine Schauspielmusik zu dessen Trauerspiel „Egmont“. Zu einer Zusammenarbeit zwischen den beiden Genies kam es jedoch nie, was die Zeitgenossen sehr bedauerten.
Vor allem der „Faust“ wurde oft vertont
Auch Goethe und Schubert wurden nicht warm miteinander. Franz Schubert vertonte 80 Goethe-Gedichte, darunter „Heidenröslein“ oder „Gretchen am Spinnrade“. Verkaufsschlager wurde gleich sein Opus 1, der „Erlkönig“, den Schuberts Freunde auf eigene Kosten drucken ließen.
Mehrfach schickte Schubert seine Noten nach Weimar, er erhielt jedoch nie eine Antwort. Goethe konnte mit diesen Kompositionen nichts anfangen. Dass Schubert die Lieder auskomponierte, sich für jede Strophe eine andere Klavierbegleitung einfallen ließ, widersprach Goethes recht konventionellen Ansichten.
Auch nach Goethes Tod bedienten sich die Musiker bei dessen Versen. So erwies sich Robert Schumann als Goethe-Enthusiast. Besonders beeindruckt war er vom „Faust“, aus dem er 1.200 Verse für seine „Szenen aus Goethes Faust“ für Gesangssolisten, Knabenchor, gemischten Chor und Orchester vertonte – ein Monumentalwerk, das 1849 zu Goethes 100. Geburtstag landauf, landab aufgeführt wurde.
Der junge Richard Wagner entschloss sich, eine Sinfonie über den „Faust“-Stoff zu schreiben. Davon wiederum ließ sich Franz Liszt zu seiner „Faust-Symphonie“ inspirieren. „Faust“ beeinflusste aber auch Wagners Theatertexte. Im Libretto für seinen Zyklus „Ring des Nibelungen“ lassen sich etliche Parallelen zum „Faust“ finden.
Was Goethes Dramen angeht, so waren noch bis ins frühe 20. Jahrhundert Aufführungen üblich, die Wort und Gesang, Zwischenakt-Musiken und melodramatisches Rezitieren vereinten. Auch Goethe selbst dürfte sich seinen „Faust“ als ein derartiges Gesamtkunstwerk vorgestellt haben.
Die erfolgreichste Schauspielmusik zu Goethes Tragödie stammt von Eduard Lassen, der vier Jahrzehnte das Amt des Generalmusikdirektors am Weimarer Hoftheater innehatte. Lassen schrieb seine „Faust“-Musik für ein international beachtetes Theater-Ereignis, das 1876 in Weimar über die Bühne ging: die erste Gesamtinszenierung beider Teile durch den Regisseur Otto Devrient. Zu dem zwölfstündigen Doppelabend steuert Lassen ein großes spätromantisches Orchester bei.
Nach dieser Uraufführung führte ein halbes Jahrhundert lang kein Weg an Lassens Schauspielmusik vorbei. Die Weimarer Aufführung ging auf Tournee. Lassens Musik wurde aber auch in andere Inszenierungen übernommen und gelangte so bis nach Stockholm, London und St. Petersburg.
Sogar in Frankreich, beim „Erbfeind“, begeisterte man sich für Goethes „Faust“. Charles Gounod machte aus dem ersten Teil eine Oper, die hierzulande unter dem Titel „Margarete“ aufgeführt wird. Erst durch diese Oper, in der Gretchens unglückselige Liebe zu Faust im Vordergrund steht, fand das breite Publikum des 19. Jahrhunderts Zugang zu Goethes Drama.
Goethes musikalischer Schatten reichte bis in die Moderne. Monumentalstes Zeugnis ist Gustav Mahlers Achte Sinfonie mit der Vertonung der Bergschluchten-Szene des „Faust 2“ – was wiederum die Wiener Zwölftöner um Arnold Schönberg inspirierte.
Es bleibt eine Ironie der Geschichte, dass Goethe selbst einen eher konventionellen Musikgeschmack an den Tag legte und zugleich so viele fortschrittliche Komponisten inspirierte.