Georgien – ein spannendes Reiseland am Rande Europas: jahrtausendalte Stätten und Denkmäler, wildromantische Landschaften, warmherzige Gastfreundschaft.
Als Gott die Erde schuf, als er jedem Volk ein Stück Land zusprach, da waren die Georgier mal wieder zu spät. Gott hatte bereits alles verteilt. Die Georgier aber erklärten, sie kämen geradewegs von einem großen Bankett, wo sie zur Feier seiner Herrlichkeit gegessen und getrunken hätten. Geschmeichelt schenkte Gott dem kleinen Volk, was er für sich selbst reserviert hatte – seinen Garten.
So sollen die Georgier an ihr paradiesisches Fleckchen Erde gelangt sein: subtropische Urwälder, Palmenstrände am Schwarzen Meer, Moore, Seenlandschaften, Steppe und die hohen Gipfel des Kaukasus – auf einer Fläche klein wie Bayern.
Diese alte Geschichte erzählen Rusudan und ihre Tochter Inga in ihrem Wohnzimmer in der Hauptstadt Tiflis, wenn sie beschreiben wollen, was georgische Gastfreundschaft bedeutet. Seit ein paar Jahren bewirten sie Touristen und kochen für die, die es schätzen, auf diese Weise Einblick in die landesüblichen Sitten und Gebräuche zu bekommen. Das gemeinsame Essen ist für die Georgier seit jeher der gesellschaftliche Treffpunkt überhaupt. Und für keinen Geringeren als Alexander Puschkin war jede georgische Speise ein Gedicht.
Vergangenheit trifft Gegenwart
Gottes Garten lag einst an der Seidenstraße, war von Griechen, Mongolen, Türken und Arabern beherrscht und zuletzt 200 Jahre russisch okkupiert. Von allen Völkern konnten sich die Georgier die gelungensten Gerichte abschauen. Strenge Regeln gibt es da, erklärt Inga. Zu Beginn eines Banketts, der Supra, übernimmt einer die Rolle des Tamadas. Er ist eine Art Zeremonienmeister und gibt vor, wann und auf was kollektiv ein Toast ausgesprochen wird. Nach jedem Trinkspruch leert er sein Weinglas in einem Zug, die anderen tun es ihm gleich.
Gottes Garten ist das Mutterland des Weines. Die ältesten Spuren weisen 8.000 Jahre zurück. Herb, fruchtig, milde Säure. Im Abgang eine Spur von Pfirsich und Minze. Ein Gewürz ist dabei, vielleicht Estragon. Es ist ein Weißwein, doch er spiegelt sich eher orangefarben im Glas. Für uns ein wenig zu exotisch. Fast jede Familie auf dem Land verbuddelt in der Erde die Kvevris, die traditionellen amphorenartigen Tongefäße, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählen.
Unsere beiden Köchinnen bringen zuerst dampfende Chatschapuris, mit Käse gefüllte Brotfladen, auf den Tisch – die köstlich schmecken, aber auch schnell satt machen. Danach probieren wir Chinkali, die großen Nudelteigtaschen, die meist mit Hack und Brühe gefüllt sind. Genauso lecker sind Badridschani, Auberginenröllchen mit Walnusspaste, die bunten Dips, Pchali, mal mit Spinat, mal mit Roter Bete. Es fehlen noch die Vorspeisen – und die Kräuter; Kräuter sind hier ein eigenes Gericht.
Nicht nur das Essen in Tiflis ist großartig. Auf Schritt und Tritt wird der Besucher hier mit Vergangenheit und Gegenwart konfrontiert. An Sehenswürdigkeiten mangelt es nicht in der mit 1,1 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Stadt Georgiens: die historische Altstadt mit ihren Häusern von charmant gealtert bis baufällig, eine Seilbahn über den Fluss Kura, Schwefelbäder und Wasserfälle, dazu Prachtbauten und Prachtalleen wie der Rustaweli-Boulevard, monumentale Opernhäuser, Theater, Museen. Läuft man durch das alte jüdische Viertel hoch zur Nariqala-Festung, kommt man der gigantischen Statue „Mutter Georgiens“ ganz nah, die über Tiflis wacht. Im Szeneviertel Sololaki mit jungen Cafés und Bars hinter Jugendstil-Fassaden erfährt man mit allen Sinnen das mediterrane Flair – Rom liegt auf dem gleichen Breitengrad! – Den Boom spürt der Besucher nicht nur, er sieht ihn: Überall werden Hotels gebaut, auch Luxustempel, moderne Gebäude entstehen neben der Altstadt und den alten, sowjetischen Plattenbauten.
Am nächsten Tag fahren wir nach Mzcheta, Hauptstadt Georgiens bis zum 11. Jahrhundert. Hier wurde die erste Kirche des Landes errichtet, im Jahr 337 wurde Georgien als eines der ersten Länder der Welt christianisiert. Heute steht anstelle der ursprünglichen Holzkirche die prächtige Swetizchoweli-Kathedrale, die von der Unesco als Weltkulturerbe unter Schutz gestellt wurde. Drei junge Frauen ziehen uns mit ihrem Gesang christlicher Liturgien in ihren Bann, sodass die gut erhaltenen imposanten Fresken für Momente Nebensache werden.
Über die Alte Heerstraße, die vor Beginn des Eisenbahnzeitalters der bedeutendste Handelsweg Georgiens war, geht es auf endlosen Serpentinen mit vielen grandiosen Ausblicken nordwärts in den Kaukasus. An kleinen Buden entlang der Straße kann man sich mit Obst und Tschurtschchela versorgen, einer typisch georgischen Süßigkeit aus Hasel- und Walnüssen, eingelegt in einen mit Mais- oder Weizenmehl angedickten Traubensaft. Das Ganze hängt dann wie eine dünne Wurst von den Dächern.
Prometheus hing hier am Felsen
Die Bergregion lockt mit unberührter und mythenbeladener Natur. In Stepanzminda, ehemals Kasbegi, etwa ist bei Sonnenaufgang die Sicht auf den schneebedeckten, zuckerhutförmigen Kasbek frei. Hier ließ der Göttervater Zeus den Titanen Prometheus anschmieden, der den Menschen wider das göttliche Verbot das Feuer gebracht hatte. Ein Adler fraß regelmäßig von seiner Leber, die nachwuchs. Erst Herakles konnte ihn von seiner Qual erlösen, indem er den Adler mit einem Pfeil abschoss. Auf der Spitze eines dem Kasbek vorgelagerten Hügels thront wie gemalt die schöne Dreifaltigkeitskirche Zminda Sameba. Von oben überwältigt ein 360-Grad-RundumBlick: auf den strahlenden Kasbek, auf den gegenüberliegenden verschneiten Bergkamm und auf Kasbegi. Ganz allein ist man hier nicht: Wo es schön ist, sind auch Touristen unterwegs.
Auf dem Weg zur Schwarzmeerküste kommt man unweigerlich an dem Ort Gori vorbei; allein bekannt als der Geburtsort Stalins. Weitaus interessanter ist die nahe Höhlenstadt Uplisziche. Schon im 6. Jahrhundert v. Chr. bis hinein ins 13. Jahrhundert lebten hier Menschen in Kalksteinhöhlen. Sieht man die alte Apotheke, den Tempel, das Theater, das Gefängnis, wird der verborgene Ort auf einmal lebendig, man sinniert über die ungelösten Rätsel dieser Stadt.
Mit der Fahrt gen Westen landen wir wieder in der georgischen Gegenwart. Die 150.000-Einwohner-Stadt Kutaissi ist vielleicht nur ein notwendiger Stopp auf dem Weg in die Bergwelt Swanetiens, doch ein Bummel über den Bauernmarkt oder ein Besuch des Klosters Gelati, Begräbnisstätte der wichtigsten Könige Georgiens, sind einen Abstecher wert.
Auch wenn man schon ein wenig kirchenmüde ist, es lohnt sich. In der Stille der Klostermauern wird einem bewusst, was man schon die ganze Reise über gespürt hat: Ist das so schön hier in Georgien!