Die erste große Hürde ist geschafft. Nach gut zwei Jahren. Der Bundestag hat mehrheitlich den Plänen zu einer Krankenhausreform zugestimmt. Der Bundesrat, die Vertretung der Länder, muss dem formal nicht zustimmen, kann aber weitere Verhandlungen im Vermittlungsausschuss herbeiführen.
Gut zwei Jahre dauert nun das zähe Ringen um eine große Krankenhausreform. Und keiner der Beteiligten bestreitet, dass es eine große Reform braucht. Nur wie die aussehen soll, darüber wird intensiv gerungen und gestritten. Es geht natürlich um Geld, aber vor allem geht es um Strukturen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sprach bei einer ersten Vorlage für Reformen gar von einer „Revolution“.
Alle Beteiligten warnen vor einem Kliniksterben, allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven. Ohne die Reform werde es auf jeden Fall zu einem Kliniksterben kommen, warnen die Befürworter des Gesetzes. Mit dem vorliegenden Gesetz aber auch, sagen Kritiker.
Grundlegender Strukturwandel
Unbestritten ist: Deutschland hat das im europäischen Vergleich teuerste Krankenhaussystem, das aber ist sehr ineffizient. Gesundheitsminister Karl Lauterbach räumte unlängst in einer Befragung des Bundestags ein: „Unser Gesundheitssystem ist das teuerste Gesundheitssystem in Europa und kann ausweislich seiner Qualität nicht überzeugen.“ Jahrzehntelang seien echte Reformen versäumt worden. Obwohl die Grunddilemmata seit Langem offenkundig sind.
In der Corona-Pandemie ist etliches davon deutlich zutage getreten. In der Zeit danach haben Inflation und Lohnsteigerungen die Kosten in die Höhe getrieben. Dazu kommt ein chronischer Personalmangel. Etwa ein Drittel der Krankenhausbetten ist derzeit außer Betrieb. Und die Defizite steigen förmlich von Tag zu Tag. Allein im kleinen Saarland beziffert Gesundheitsminister Magnus Jung das Defizit der Krankenhäuser in diesem Jahr auf gut 100 Millionen Euro, die Berliner Krankenhausgesellschaft rechnet 2024 gar mit einem Gesamtdefizit von mehr als 400 Millionen Euro und 160 Millionen Euro Defizit jährlich. Die geplante Reform sieht im Kern einen Paradigmenwechsel und eine Strukturbereinigung vor.
Der Paradigmenwechsel: Die bisherige Fallpauschale wird zu einem wesentlichen Teil abgelöst. Krankenhäuser erhalten eine Vorhaltepauschale. Der erhoffte Effekt: Die Häuser müssen nicht alle möglichen Behandlungen durchführen, damit über die Fälle Geld in die Kasse kommt. Sie erhalten eine Pauschale, mit der sie Angebote vorhalten können.
Und es soll eine Spezialisierung geben mit dem Ziel einer Qualitätsverbesserung.
Der Effekt, vereinfacht gesagt: Kleinere Standorte werden keine Zukunft als Krankenhaus haben. Für diese Standorte, in der Regel in ländlichen Regionen, könnte es andere Modelle geben, um den Versorgungsauftrag sicherzustellen. Mittlere und größere werden sich spezialisieren. „Wenn es am Ende 20 Prozent weniger Krankenhäuser gibt, die aber bessere Versorgung bieten, dann ist das aus meiner Sicht richtig“, betont Minister Lauterbach.
Ein derartiger Umbau der Krankenhauslandschaft ist nicht zum Nulltarif zu haben. Dafür sollen in einem Transformationsfonds für die Zeit der Umsetzung (2026 bis 2035) rund 50 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.
Im Mittelpunkt der Kritik stehen zwei Aspekte: Das aktuell drängendste Problem für die Krankenhäuser ist die Finanzierung, bis die Reform greift. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hatte das laufende Defizit für alle Krankenhäuser für 2023 mit rund zehn Milliarden Euro beziffert. Ohne eine Zwischen- oder Brückenfinanzierung drohe deshalb noch vor der Reform eine „kalte“ Marktbereinigung durch Insolvenzen. Die Union hatte deshalb im Bundestag ein sogenanntes Vorschaltgesetz gefordert, in dem diese Übergangsphase geregelt werden sollte.
Der zweite wesentliche Kritikpunkt: Bislang kann noch niemand sagen, wie die konkreten Folgen etwa für die Standorte sind. Von Länderseite wird deshalb eine „Auswirkungsanalyse“ eingefordert.
Ein Großteil der Länder ist außerdem sauer auf Bundesgesundheitsminister Lauterbach, weil der – entgegen ursprünglicher Absicht – kein zustimmungspflichtiges Gesetz vorgelegt hat, also eines, bei dem die Länderkammer zustimmen muss. Grund war wohl, dass die Chance auf eine einstimmige Zustimmung bei einem derartigen Thema mit dieser Reichweite nicht besonders groß sein dürfte, erst recht nicht, wenn der nächste Bundestagswahlkampf bereits seine ersten Schatten vorauswirft. Nun ist daraus ein „Einspruchsgesetz“ geworden, bei dem nur einzelne Verordnungen explizit zustimmungspflichtig sind. Über diese Einspruchsmöglichkeit wird nun aller Voraussicht eine Mehrheit der Länder dafür sorgen, dass sich der Vermittlungsausschuss (zwischen Bundestag und Bundesrat) weiter mit der Reform beschäftigen muss.
Umbau ist nicht zum Nulltarif zu haben
Kurz vor der Abstimmung im Bundestag hatte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Dr. Gerald Gaß, bei einer Tagung der Saarländischen Krankenhausgesellschaft in Völklingen an die Länder appelliert: „Zunächst einmal ist wichtig, dass die Forderung der Länder, die sie ja seit Langem erheben, nämlich einer wirtschaftlichen Verbesserung der Krankenhäuser, letztlich auch durchgesetzt wird. Bisher ist im Gesetz keine Möglichkeit vorgesehen, nach der die Krankenhäuser einen Defizitausgleich bekommen, der dringend notwendig ist. Die Krankenhäuser versorgen seit mittlerweile zwei Jahren die Patientinnen und Patienten der Krankenkassen, ohne dass sie dafür eine volle Kostendeckung erhalten. Das hält kein Unternehmen, auch kein Krankenhausunternehmen auf Dauer aus, und deshalb stehen viele Krankenhäuser vor dem Aus. Und wenn das Gesetz keine Besserung vorsieht, dann droht im nächsten Jahr auch dem Saarland, dass etliche Krankenhäuser geschlossen werden müssen, und zwar schlicht und ergreifend nur aus wirtschaftlichen Gründen“.
Gaß räumte aber auch ein, dass an grundsätzlichen Reformen kein Weg vorbeiführt: „Es ist absolut richtig, dass wir die Krankenhausstrukturen, wie wir sie heute kennen, nicht mehr weiterführen können. Dafür fehlen uns letztlich die Fachkräfte. Wir brauchen mehr Konzentration – aber dieser ganze Prozess muss geordnet ablaufen. Wir müssen also die Lage in einer Region ansehen, uns fragen, was passieren muss, wenn ein Standort verlagert wird, fusioniert wird an einem anderen Standort. Was brauchen wir dann dort an ambulanter Notfallversorgung, an grundsätzlichen Angeboten? Das ist Aufgabe der Politik, diesen Transformationsprozess, diesen Veränderungsprozess, der auch dazu führen wird, dass es am Ende weniger Standorte gibt, geordnet zu begleiten, damit Bürgerinnen und Bürger weiter das Gefühl haben, dass sie in einer Region leben, die auch zukünftig gut versorgt ist. Deshalb geht es um Gestalten, es geht um einen geordneten Prozess und nicht um kalte Marktbereinigung durch Insolvenzen“.
Letztlich beteuern auch die Kritiker, es gehe ihnen nicht darum, eine Krankenhausreform zu verhindern, sondern lediglich darum, das jetzt im Bundestag beschlossene Gesetz „besser zu machen“.