Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden: Klimaschutz ist ein Menschenrecht. Ein Urteil mit Signalwirkung – mitten in einer Zeit, in der sich Klimakrise, Kriege und soziale Not zur bedrohlichen Polykrise verdichten.

Die gute Nachricht vorweg: Der Kampf gegen den Klimawandel ist ein Menschenrecht. Ganz offiziell. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im vergangenen Jahr entschieden. Er hat damit einer Klage von 2.500 Schweizer Frauen entsprochen, die gegen die Untätigkeit der Schweizer Regierung geklagt hatten. Das Urteil könnte die Tür für weitere Klagen gegen die Untätigkeit der Regierungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel öffnen, so das Weltwirtschaftsforum. Dahinter stehen gut 1.000, meist internationale Unternehmen, die in Veranstaltungen und Studien auch auf die Klimakatastrophe aufmerksam machen und tatkräftig etwas verändern wollen.
Lobbyarbeit, die das Klima dringend nötig hat. Denn abseits der oben bekannt gegebenen Meldung jagt eine schlechte Nachricht die nächste. Seriöse Wissenschaftler warnen immer lauter vor einer Katastrophe, die der Menschheit droht, wenn sie so weitermacht wie bislang. Dass die Temperatur „nur“ um 1,5 Grad steigt, wie ursprünglich angedacht, wird immer unwahrscheinlicher. Modellrechnungen zufolge wird die Temperatur bis im Jahr 2100 um krasse 3,2 Grad Celsius steigen, so das Umweltbundesamt auf seiner Homepage.
Dauernd schlechte Nachrichten
Dann werden Millionen Menschen in Asien verdursten, weil die Gletscher kein Wasser mehr führen. Städte werden unbewohnbar, weil die Temperaturen dort kaum noch Leben möglich machen. Grundnahrungsmittel werden knapp, was zu Verteilungskämpfen führen wird. Küstenbewohner fliehen ins Binnenland, weil ihre Heimat zu überfluten droht.
Der Klimawandel ist dabei nur eine Krise, die die Menschheit erschüttert. Weltweit. In Deutschland kommt noch die Corona-Krise dazu, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, die Wirtschaftskrise, auch das Saarland bleibt davon nicht verschont. In Saarlouis macht Ford dicht, und in Saarbrücken fürchten Mitarbeiter von ZF um ihre Existenz.
Profan ausgedrückt bedeutet Polykrise: „Wenn es knallt, dann richtig. Die ganze Welt ist eine Krise. Dabei könnte schon allein die klimatisch-ökologische Eskalation menschliche Gesellschaften ins Chaos stürzen“, heißt es im Fachblatt „Spektrum der Wissenschaft“.
Das Versagen der Ökosysteme kann nämlich zu massivem Ernteausfall führen. Werden deshalb die Böden massiv überdüngt, entstehen im Meer Todeszonen, weil die verseuchten Böden das Wasser vergiften. Die Artenvielfalt sinkt jetzt schon dramatisch.
Besonders gefährdet sind Arktis und Antarktis, der Regenwald am Amazonas und der Golfstrom. Sie reagieren besonders empfindlich auf Veränderungen. Klimaforscher wie Nico Wunderling vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung warnt deshalb vor einer drohenden „Kaskade von Kipppunkten“.
„Kippen die Kippunkte könnte ein Planet entstehen, der bis zur Unkenntlichkeit verändert ist“, fürchtet der Klimaforscher Gerald Haug vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz.
Ein Zeitreisender, der ins Jahr 2100 geschickt werde, könnte eine Szenerie schildern, die eher einem fremden Planeten ähnele, der mit unserem nicht mehr viel zu tun habe, mutmaßt die Redaktion vom „Spektrum der Wissenschaft“.
Die vielen Krisen machen natürlich etwas mit uns Menschen, so die Psychologin Juliane Schneider in ihrem Podcast „Aha. Zehn Minuten Alltags-Wissen“. Bei Umfragen im vergangenen Jahr haben 50 Prozent von 1.000 Befragten angegeben, Angst vor der Zukunft zu haben. Fast jeder Zehnte habe sogar große Angst davor. Tendenz steigend, so der Psychiater Mazda Atli in dem Podcast.
In seiner Praxis klagen Klienten vermehrt über chronischen Stress und ständiges Unwohlsein. Oft hätten sie resigniert, so der Psychiater, fürchteten den „Untergang der Welt“, fühlten sich dem hilflos ausgesetzt. Die Lösung dafür hat auch Atli nicht, rät seinen Patienten allerdings, die Ängste aktiv anzugehen, sich für die Umwelt zu engagieren, eben nicht mit dem scheinbar Unvermeidlichen abzufinden. So kann man dem Gefühl der Machtlosigkeit und des „wie gelähmt sein“ entgegenwirken.
Klimawandel: Eine tickende Zeitbombe
Das ist leichter gesagt als getan, denn schon eine moderate Erwärmung des Klimas wird an den Polen die dicken Eispanzer unwiederbringlich verschwinden lassen, da sind sich seriöse Experten einig. Dann ist nämlich nicht mehr genug Meereis da, um die Gletscher davon abzuhalten, ins Meer zu rutschen. Für die Westantarktis bedeutet das wohl das Aus. Deren harter Untergrund liegt zum Teil unter dem Meeresspiegel und würde somit durch immer wärmeres Wasser von unten abgeschmolzen werden.
Der Arktis ginge es auch nicht besser: Je stärker Gletscher schrumpfen, desto tiefer liegen sie und desto wärmer ist die Luft, der sie ausgesetzt sind – ein sich selbst verstärkender Prozess. Schmelzen die Polkappen einmal, gibt es kein Halten mehr, auch wenn das viele Jahrhunderte dauern wird. Unsere Nachkommen müssten mit dem, was wir der Umwelt angetan haben, klarkommen – ob sie das wollen oder nicht.

Die Weltlage zwingt auch Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe umzudenken, sich den Polykrisen zu stellen. Dort kommt zum Klimawandel noch die immer unsichere Weltlage dazu. Gab es etwa 2011 um die 50.000 Kriegstote, so liegt die Zahl seit 2022 bei über 200.000 – sie hat sich also vervierfacht, heißt es auf welthungerhilfe.de. Brennpunkte sind der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Gewalt in Gaza und im Westjordanland, die Bürgerkriege im Sudan und in Äthiopien. Es gibt nicht nur mehr Kriege, die Gewaltkonflikte dauern auch deutlich länger als früher. Im Schnitt 15 Jahre – Tendenz steigend, so die Welthungerhilfe.
Sie ist auch in der Sahelzone und in Ostafrika aktiv, beides politische Krisenherde, die besonders vom Klimawandel betroffen sein werden. Schon jetzt wird das Wetter dort immer extremer, ohne Hilfe von außen werden die Menschen mit den veränderten Lebensbedingungen dort allein gelassen oder über kurz oder lang flüchten müssen, wo kein Leben mehr möglich ist.
Die Aussichten sind düster: „Denn Landbau, der Klima und Umwelt schont, ist nicht unbedingt ertragreich genug, um eine wachsende Bevölkerung zu ernähren“, heißt es auf der Verbandshomepage. Es braucht also Kompromissbereitschaft, um den Hunger vor Ort effektiv zu bekämpfen. Die Welthungerhilfe: „Polykrisen stellen auch uns vor ganz neue Herausforderungen.“
Trotz aller düsteren Prognosen bleibt Hoffnung – denn wir sind nicht machtlos. Das Urteil des EGMR zeigt: Der Kampf für Klimagerechtigkeit kann Wirkung entfalten, wenn Menschen sich zusammenschließen und Verantwortung einfordern. Die Herausforderungen sind gewaltig, doch sie eröffnen auch Chancen für Wandel, Zusammenarbeit und Innovation. Wer sich engagiert, sei es politisch, gesellschaftlich oder im Kleinen, setzt ein Zeichen gegen Ohnmacht – und für eine Zukunft, die mehr ist als ein drohendes Szenario. Denn die Geschichte ist nicht geschrieben – wir schreiben sie mit.